| # taz.de -- Die Rentenrebellen und der Kanzler: Geschichte einer Entfremdung | |
| > Friedrich Merz und die Junge Union – das war mal ein gutes Gespann. Doch | |
| > dann holten Regierungsrealität und Rente sie ein. | |
| Bild: Kanzler Merz und Johannes Winkel, Bundesvorsitzender der Jungen Union, be… | |
| Berlin taz | Am Dienstagnachmittag spricht Friedrich Merz in der | |
| Fraktionssitzung von CDU und CSU, die Stimmung ist angespannt. Es ist | |
| unklar, ob [1][die Mehrheit für das Rentenpaket der Bundesregierung] steht | |
| oder ob es hier, in diesem Saal, weiter zu viele Abweichler*innen gibt. | |
| Wobei, es geht längst um mehr als die Rente. Es geht um die Zukunft der | |
| Koalition. Und die Autorität des Kanzlers. Vielleicht ist es dieser | |
| Augenblick, der den jungen Abgeordneten der Union am Ende in Erinnerung | |
| bleiben wird. Noch mehr als der Auftritt des Kanzlers [2][auf dem | |
| Deutschlandtag] und ihre frostige Reaktion, die über alle Kanäle liefen. | |
| Die 18 jungen Abgeordneten von der CDU und CSU, die sich in der Jungen | |
| Gruppe (JG) zusammengefunden haben, haben sich klar gegen das Paket | |
| gestellt, viele andere in der Fraktion sympathisieren mit der Kritik. Weil | |
| die schwarz-rote Koalition aber nur eine Mehrheit von 12 Stimmen hat, ist | |
| das ein Problem. Seit Tagen nimmt sich Fraktionschef Jens Spahn die jungen | |
| Abgeordneten in Einzelgesprächen vor, am Ende der Fraktionssitzung soll es | |
| eine Probeabstimmung geben. | |
| Dann spricht Merz. Er könnte jetzt um Vertrauen werben, ein bisschen tut er | |
| das auch, ist später zu hören. Aber irgendwann sagt er diesen Satz: „Ich | |
| sehe, wer klatscht und wer nicht.“ Hart, beinahe brutal sei das gewesen, | |
| berichten nachher einige Abgeordnete. Für manche aus der JG klingt es wie | |
| eine Drohung. | |
| Friederich Merz und die Junge Union, die waren einst ein enges Gespann. | |
| Dreimal hat Merz versucht, CDU-Chef zu werden, dreimal war die JU an seiner | |
| Seite. Merz stand für die jungen Konservativen für alles, was sie an Angela | |
| Merkel vermissten: für schneidige Auftritte und klare Kante, für einen | |
| harten Kurs in der Migrationsfrage und mehr konservatives Profil. Die JU, | |
| mehrheitlich waren das Merz-Ultras, immer schon. | |
| ## Verhältnis ist tief erschüttert | |
| In der Berliner JU-Zentrale in der Nähe vom Potsdamer Platz hängt ein | |
| riesiges Foto im großen Besprechungsraum. Es zeigt Merz auf dem | |
| Deutschlandtag 2024, umringt vom JU-Vorstand, alle lachen freudig in die | |
| Kamera, auch JU-Chef Johannes Winkel und Pascal Reddig sind dabei, die | |
| jetzt plötzlich als Rebellen gelten. Bei einem Besuch in diesen Tagen fragt | |
| man sich, ob das Foto wohl bald abgehängt wird. Gut ein halbes Jahr nachdem | |
| Merz zum Kanzler gewählt wurde, ist das Verhältnis zu einer seiner | |
| wichtigsten Unterstützergruppen tief erschüttert. | |
| Im Wahlkampf hat Merz den Eindruck erweckt, wenn er ins Kanzleramt | |
| einzieht, würde allein deshalb alles besser werden. Er: ein Macher. Die | |
| politische Konkurrenz: Versager, allesamt. In der JU haben das viele | |
| geglaubt. Oder sich zumindest diesem Rausch der Selbstgewissheit | |
| bereitwillig hingegeben. Am Ende waren da riesige Erwartungen. Und dann ist | |
| die Enttäuschung gewöhnlich nicht weit. | |
| Bei der Bundestagswahl blieb die Union deutlich hinter dem Erhofften | |
| zurück, „CDU pur“ war passé. Stattdessen: Koalitionsverhandlungen mit der | |
| ungeliebten SPD – und die Lockerung der Schuldenbremse, die Merz im | |
| Wahlkampf noch verteidigt hatte. Die JUler*innen, die fleißig mit kalten | |
| Fingern Plakate aufgehängt und in den sozialen Netzwerken Merz’ Fanpost | |
| verbreitet hatten, aber hatten daran geglaubt. Viele von ihnen haben mit | |
| dem Thema Generationengerechtigkeit Wahlkampf gemacht, mit der schwarzen | |
| Null und [3][mit Rentenpolitik]. Und jetzt das. Plötzlich war da ein Riss | |
| zwischen der JU und dem Kanzler. | |
| Winkel, der JU-Chef, und Reddig, der inzwischen JG-Vorsitzender ist, sind | |
| beide neu im Bundestag. Zum Team „Kanzlerwahlverein“ gehören sie nicht, das | |
| merkt man schnell, wenn man mit ihnen spricht. Beide sind angetreten, um | |
| etwas für ihre Generation zu verändern. Nicht irgendwann, sondern jetzt. In | |
| das komplizierte Thema Rente haben sie sich eingegraben. Und im Rentenpaket | |
| von SPD-Arbeitsministerin Bärbel Bas eine Formulierung entdeckt, die sie | |
| für problematisch halten. Im Kanzleramt und in der Fraktionsführung | |
| versteht man zu diesem Zeitpunkt nicht, wie viel Konfliktpotenzial darin | |
| steckt. | |
| ## Die jungen Abgeordneten setzten auf Veränderungen | |
| Es gehe ihnen nicht, das beteuern die Jungen, um die Haltelinie, also das | |
| Festschreiben des Rentenniveaus bei 48 Prozent des Durchschnittseinkommens | |
| bis 2031. Darauf hatten sich Union und SPD im Koalitionsvertrag | |
| verständigt. [4][Es gehe um einen Satz in Bas Gesetzentwurf,] der ihrer | |
| Ansicht nach über den Koalitionsvertrag hinausgeht und bis 2040 120 | |
| Milliarden Euro zusätzlich kosten könnte. | |
| Noch vor der Sommerpause ziehen sie gegen diesen Satz zu Felde, machen die | |
| Fraktionsführung aufmerksam, sprechen das Thema im CDU-Bundesvorstand an. | |
| Konsequenzen? Keine. Anfang August geht Bas’ Entwurf einstimmig durch das | |
| Kabinett. Die jungen Abgeordneten setzen jetzt auf Veränderungen während | |
| des Verfahrens im Bundestag. Immer wieder bringen sie ihre Kritik vor, doch | |
| das scheint niemanden zu kümmern. | |
| „Das Rentenpaket ist aus Sicht der Jungen Gruppe nicht zustimmungsfähig“, | |
| heißt es in einem Papier, über das Mitte Oktober zuerst der Spiegel | |
| berichtet. Erst jetzt wird der Unionsspitze offenbar klar, wie ernst es die | |
| jungen Abgeordneten meinen. Und dass 18 Stimmen auf dem Spiel stehen, die | |
| gebraucht werden. Das ist auch deshalb bemerkenswert, weil Merz und Spahn, | |
| der die Mehrheit eigentlich organisieren muss, ihre Karrieren zum großen | |
| Teil selbst auf innerparteilichem Widerstand aufgebaut haben. | |
| Unter Merkel hätten die jungen Abgeordneten jetzt Anrufe bekommen, erst vom | |
| Geschäftsführer der Fraktion, dann von deren Vorsitzenden, am Ende | |
| vielleicht aus dem Kanzleramt. Die Ansprache und der Druck wären stetig | |
| gestiegen. Aber jetzt: Der Geschäftsführer und der Vorsitzende der Fraktion | |
| lassen Sympathie für die Kritik durchblicken. Man habe mit der SPD eine | |
| Verabredung bis 2031, aber nicht darüber hinaus, sagt Merz Ende Oktober | |
| sogar öffentlich. Und: „Genau darüber werden wir mit der SPD reden.“ Die | |
| jungen Abgeordneten glauben: Merz kämpft in ihrem Team. Das macht alles | |
| noch schlimmer. | |
| ## Dann folgt Alarmstufe rot | |
| Als Bild knapp zwei Wochen später online titelt „Merz lässt für Bas die | |
| Renten-Rebellen fallen“, fühlt sich die JG verraten. Eine Woche vor ihrem | |
| Deutschlandtag, auf dem Merz als Redner geladen ist – und wo er bisher | |
| stets frenetisch bejubelt wurde. Jetzt dagegen: Alarmstufe rot. | |
| Der Kanzler könnte nun im Vorgespräch mit dem JU-Chef klärende Worte | |
| wechseln, um Verständnis werben – aber er redet lieber mit den Betreibern | |
| des Freizeitparks Rust, in dem die Veranstaltung stattfindet. Dann fordert | |
| er in der Aussprache von der JU Konstruktivität und wirft den Delegierten | |
| einen „Unterbietungswettbewerb“ bei der Rente vor. Am Ende ist dröhnendes | |
| Schweigen. Es folgen ein Koalitionsausschuss mit der Zusage, dass Bas’ | |
| Gesetzentwurf „auf Wunsch der SPD“ unverändert vom Bundestag verabschiedet | |
| werden soll. | |
| Der JG trägt man erst einen ergänzenden Entschließungsantrag mit lauter | |
| Prüfaufträgen für die Rentenkommission an, manche davon durchaus in ihrem | |
| Sinne. Später kassiert man ihn wieder, weil der mächtigen | |
| Mittelstandsvereinigung der Union andere Aufträge nicht gefallen. Noch | |
| nicht einmal bei unverbindlichen Versprechungen stehe ihre Spitze, so | |
| dürften das manche der jungen Abgeordneten empfunden haben. | |
| Aus dem Riss zwischen Bundeskanzler und dem Parteinachwuchs ist längst ein | |
| tiefer Spalt geworden, der bleibt. Auch wenn die von Merz faktisch | |
| eingeforderte Kanzlermehrheit für das Rentenpaket am Freitag bei der | |
| Abstimmung im Bundestag erreicht wurde. | |
| 5 Dec 2025 | |
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| ## AUTOREN | |
| Sabine am Orde | |
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