| # taz.de -- Aufarbeitung von NS-Geschichte: Die Sparkasse, der SA-Mann und die … | |
| > Am 9. November 1938 wurde im hessischen Alsfeld die Synagoge in Brand | |
| > gesteckt. Dann löschte die Feuerwehr – die Sparkasse wollte das | |
| > Grundstück. | |
| Bild: Die Alsfelder Synagoge steht heute nicht mehr, die Aufnahme ist undatiert | |
| Die Enteignung und Verfolgung jüdischer Menschen im Nationalsozialismus | |
| geschah nicht im luftleeren Raum. Sie wurde aktiv begangen, von Menschen in | |
| deutschen Städten, Kommunen, Dörfern. Darüber zu sprechen, fällt bis heute | |
| oft schwer – gerade in kleinen Orten, wo jeder jeden kennt. Häufig hängt es | |
| an wenigen, das Schweigen zu durchbrechen. Dies ist eine Geschichte über | |
| historische Verantwortung und Aufarbeitung. Erzählt werden kann sie heute | |
| nur wegen des langjährigen Engagements meines Vaters Michael Riese, genannt | |
| Micki. | |
| An einem dunklen Herbstabend um kurz nach 21 Uhr hat sich eine | |
| Menschenmenge auf der Straße versammelt. Die Fenster des Gebäudes vor ihnen | |
| sind hell erleuchtet. Es ist nicht der Schein von Lampen, es sind Flammen. | |
| Sie fressen sich durch den Innenraum der Synagoge in Alsfeld. Es ist der 9. | |
| November 1938. Wie [1][an vielen anderen Orten in Deutschland] setzen auch | |
| in dieser hessischen Kleinstadt an diesem Abend Menschen die Synagoge in | |
| Brand, schmeißen die Scheiben jüdischer Wohnungen und Geschäfte ein, | |
| plündern. Wie an vielen anderen Orten weist auch der Alsfelder | |
| NSDAP-Ortgruppenleiter die Feuerwehr an, den Brand nicht zu löschen, | |
| sondern nur die umliegenden Gebäude zu schützen. | |
| Doch in Alsfeld nimmt anders als an vielen Orten in Deutschland die | |
| Geschichte eine ungewöhnliche Wendung. Zeitzeugen berichten, dass die | |
| Feuerwehr am Ende doch das Feuer in der Synagoge löschte – nach | |
| Aufforderung eines örtlichen SA-Manns. | |
| ## Die Verstrickungen der Geldinstitute in „Arisierungen“ | |
| Es ist dies keine Geschichte von Zivilcourage, im Gegenteil: Es geht um | |
| Profiteure von NS-Verbrechen, um sogenannte „Arisierung“ und um die | |
| Verstrickungen der örtlichen Sparkasse darin. Diese Verstrickungen sollen | |
| nun wissenschaftlich aufgearbeitet werden. | |
| Unter der Leitung des Historikers Eckart Conze von der Universität Marburg | |
| wird in Kooperation mit der Historischen Kommission für Hessen die Rolle | |
| der Vorgängerinstitute der heutigen Sparkasse Oberhessen im | |
| Nationalsozialismus untersucht. Es soll um die Verstrickungen der | |
| Geldinstitute in sogenannte Arisierungen gehen, als Kreditgeberin, als | |
| Käuferin, aber auch um die Nazifizierung der Banken selbst, ihren Umgang | |
| mit jüdischen Mitarbeiter*innen und Kund*innen ebenso wie die | |
| Besetzung von Schlüsselpositionen mit überzeugten Nazis. | |
| Beauftragt hat diese Studie die Sparkasse Oberhessen, die sie aus eigenen | |
| Mitteln finanziert. „Als öffentlich-rechtliche Sparkasse ist es Ausdruck | |
| unserer gesellschaftlichen Verantwortung, uns mit unserer Vergangenheit | |
| auseinanderzusetzen“, sagt Ulrich Kaßburg, Vorstandsvorsitzender der | |
| Sparkasse Oberhessen. „Mit dem umfangreichen Projekt wollen wir Transparenz | |
| schaffen und für demokratische Werte einstehen.“ | |
| Das klingt nach einem starken Willen zur Aufklärung. Doch damit im November | |
| die offizielle Aufarbeitung beginnen kann, mussten Menschen in Alsfeld | |
| jahrelang die Geschichte ihres Ortes erforschen, ehrenamtlich. Und das in | |
| einem Klima, in dem viele lieber schweigen wollen. | |
| ## Als seien die kleinen braunen Männchen aus dem All gekommen | |
| „Es ist noch nicht lange her, da wurde in Alsfeld nur sehr schamhaft über | |
| die Pogromnacht am 9. November 1938 gesprochen“, sagt Joachim Legatis, | |
| Journalist und engagiert im Förderverein zur Geschichte des Judentums im | |
| Vogelsberg. Es gebe zwar schon seit vielen Jahren eine Gedenkveranstaltung. | |
| „Aber da wurde sehr bemüht nicht darüber gesprochen, wer das eigentlich | |
| war, der hier als brutaler Mob durch die Stadt gezogen ist, wer Scheiben | |
| eingeschlagen und Menschen körperlich angegriffen hat: die Leute aus dem | |
| Ort und Umbegung nämlich, die eigenen Eltern, Onkel, Freunde der Familie“, | |
| sagt Legatis. | |
| Zeitzeugen berichteten später von der Verwüstung: „Die Bänke waren | |
| umgestürzt und zerschlagen“, erinnert sich Michael Maynard, | |
| Holocaust-Überlebender aus Alsfeld. „Zubehör war abgerissen, Gebetbücher | |
| zerrissen und herumgeworfen. Man hatte versucht, den Bodenbelag zum | |
| Feuermachen zu benutzen, Bänke waren angekohlt.“ Alles Glas sei zerschlagen | |
| gewesen, alle Türen im Inneren zersplittert. | |
| „Es gab Menschen, die widersprochen haben oder eingeschritten sind – aber | |
| es waren sehr wenige“, sagt Joachim Legatis. „Und auch, dass Alsfeld schon | |
| sehr früh eine Hochburg der Nazis war, darüber wurde hier sehr lange | |
| geschwiegen. Als seien die kleinen braunen Männchen aus dem All gekommen | |
| und hätten die Synagoge verwüstet, und als wären sie 1945 spurlos | |
| verschwunden.“ Erst im Jahr 2022 widmete sich die Stadt Alsfeld | |
| ausführlicher ihrer NS-Geschichte: mit einem Kapitel in der Festschrift zum | |
| 800-jährigen Jubiläum der Stadt. | |
| Was geschah mit der Alsfelder Synagoge nach der Pogromnacht 1938? „Dass es | |
| ‚brave Alsfelder‘ waren, die sich da bereichert haben, darüber wollten die | |
| Leute damals nicht sprechen“, sagt Legatis. Ein erster Hinweis darauf | |
| findet sich in dem 1988 erschienenen Buch „Geschichte der Juden in Alsfeld“ | |
| der Lokalforscher Heinrich Dittmar und Herbert Jäkel. „Auch da heißt es | |
| aber lediglich sehr neutral, das Grundstück sei an eine Bank überschrieben | |
| worden“, sagt Legatis. | |
| Eine Erklärung, die manchen nicht reicht. Einer von ihnen ist der Lehrer | |
| und Kommunalpolitiker Michael Riese, damals Vorsitzender im Förderverein. | |
| „Micki wollte dem auf den Grund gehen, hat nachgebohrt“, sagt Legatis. „Er | |
| ist in Archive gegangen und hat dort gesucht – und Unterlagen gefunden, die | |
| die Sparkasse ins Zentrum rückten.“ | |
| ## Der Sparkassendirektor war Chef der Alsfelder SA | |
| Diese Dokumente sind heute [2][auf der Webseite des Fördervereins] | |
| einsehbar. Am 29. Dezember, keine zwei Monate nachdem die Synagoge | |
| ausbrannte, kaufte die Bezirkssparkasse Alsfeld das Grundstück. Der | |
| Kaufpreis: Die Bank erließ der jüdischen Gemeinde eine Darlehensschuld von | |
| 3.700 Reichsmark. Das Synagogengebäude sollte abgerissen werden, an seiner | |
| Stelle Wohnhäuser entstehen. | |
| Vor dem Notar erschien an diesem Dezembertag für die Sparkasse deren | |
| Direktor Hermann Trips, gleichzeitig Obersturmführer und Chef der Alsfelder | |
| SA. Vermutlich war er derjenige, der in der Pogromnacht die Feuerwehr rief. | |
| So beschrieb es etwa Michael Maynard, der Sohn des damaligen | |
| Gemeindevorstehers Philipp Moses. In seinen Zeitzeugenberichten ist die | |
| Rede von einem SA-Mann Hermann T., der einige Zeit nach der Pogromnacht bei | |
| seinem Vater erschien. | |
| Er habe sich erstaunt gegeben, dass die jüdische Gemeinde nicht versucht | |
| habe, der Sparkasse die Synagoge zum Kauf anzubieten, sagte Maynard. „Er | |
| deutete dann an, dass er nicht wieder dasselbe tun könne wie am 9. | |
| November, das heißt, die Feuerwehr zu benachrichtigen, falls die Synagoge | |
| nicht bald der Sparkasse überschrieben würde.“ Auch müsse die Gemeinde | |
| andernfalls sofort die noch offene Hypothek aufbringen. Es war eine kaum | |
| verhohlene Drohung des Sparkassendirektors Hermann Trips. | |
| Trips sei für seinen Anruf bei der Feuerwehr von anderen Nazis als | |
| „Judenfreund“ gerügt worden. Er habe sich damit verteidigt, dass er dies | |
| nur getan habe, um „einen Wertgegenstand für die Bank zu erhalten“. Dann | |
| habe Trips das Gespräch mit dem Hinweis beendet, dass man ihm „in die Ohren | |
| geflüstert“ habe, falls die Synagoge weiter in jüdischen Händen bliebe, | |
| würde in der Silvesternacht ein „großes Feuerwerk“ stattfinden. | |
| Die jüdische Gemeinde hatte keine andere Wahl, als sich der Erpressung zu | |
| beugen. Die Sparkasse baute auf dem Gelände Wohnraum, teils mit den Steinen | |
| der abgerissenen Synagoge. | |
| ## Ein Antrag im Kreistag war der Wendepunkt | |
| Die Aussagen des Zeitzeugen, der Kaufvertrag, die Korrespondenz zwischen | |
| Sparkasse, Bürgermeister, NSDAP-Kreisleitung und weiteren NS-Behörden sind | |
| heute öffentlich, einsehbar auf der Webseite des Fördervereins. Die | |
| Reaktionen in der Stadt? „Schweigen“, sagt der Journalist Legatis. „Micki | |
| nutzte dann seine Funktion als Kreistagsmitglied, um die Aufarbeitung | |
| voranzubringen.“ | |
| Im Mai 2022 stellte die Fraktion Die Linke/Klimaliste, deren Mitglied | |
| Michael Riese war, einen Antrag im Vogelsberger Kreistag: „Der Kreis derer, | |
| die daran beteiligt waren, die jüdische Bevölkerung ihrer wirtschaftlichen | |
| Existenz zu berauben, war umfänglich“, heißt es darin. „Geschwindigkeit u… | |
| Ausmaß“ der sogenannten Arisierungen seien vor allem in den Anfangsjahren | |
| von lokalen Akteuren bestimmt gewesen. „Sparkassen und Volksbanken waren | |
| lokal die wichtigsten Finanzhäuser in der Region.“ Banken seien „auf | |
| verschiedene Weise“ beteiligt gewesen, gegenüber ihren jüdischen | |
| Kund*innen „oder indem sie sogenannte Arisierungskredite für die neuen | |
| Eigentümer vergaben“. | |
| Die Beteiligung regionaler Geldinstitute sei jedoch bisher nicht | |
| aufgearbeitet worden. „Vor diesem Hintergrund mögen die Vogelsberger | |
| Vertreter im Verwaltungsrat der Sparkasse Oberhessen sich für eine | |
| Aufarbeitung der Rolle der damaligen Sparkassen in der Region an den | |
| Arisierungen einsetzen.“ Ebenso solle sich der Kreistag dafür einsetzen, | |
| dass auch die Volksbanken ihre damalige Rolle untersuchen ließen. | |
| Nach Jahrzehnten des Schweigens war dieser Antrag ein Wendepunkt. Der | |
| Kreistag stimmte mit 40 Ja-Stimmen zu 4 Nein-Stimmen und einer Enthaltung | |
| zu. „Das war vor dreieinhalb Jahren“, sagt Dietmar Schnell, | |
| Fraktionsvorsitzender der Linken/Klimaliste. „Gut, dass die Aufarbeitung | |
| nun wirklich startet. Wir erwarten, dass die Ergebnisse dann auch | |
| öffentlich präsentiert und diskutiert werden.“ Er bedaure es jedoch, dass | |
| die Volks- und Raiffeisenbanken nicht ebenfalls aktiv würden. „Die sind an | |
| Aufarbeitung offenbar gar nicht interessiert.“ Die Sparkasse habe sich da | |
| deutlich aufgeschlossener gezeigt. „Aber auch sie brauchte erst den Impuls | |
| von außen.“ | |
| ## In Frankfurt gab es Streit | |
| Die Untersuchung leiten wird Eckart Conze von der Universität Marburg. Im | |
| Auftrag der Sparkasse erarbeiteten er und zwei wissenschaftliche | |
| Mitarbeiter im Jahr 2024 zunächst eine sogenannte Explorationsstudie: „Wir | |
| mussten erst einmal herausfinden, was es an Materialien gibt, an Dokumenten | |
| und Quellen, um abschätzen zu können, ob eine systematische | |
| wissenschaftliche Aufarbeitung machbar ist“, sagt er im Gespräch mit der | |
| taz. Das Ergebnis ist eindeutig: „Es gibt eine sehr reiche Material- und | |
| Quellengrundlage.“ Es gebe Unterlagen in öffentlichen und kommunalen | |
| Archiven, etwa den Finanzverwaltungen. Vor allem seien da die Unterlagen | |
| der Sparkasse selbst, die heute im hessischen Wirtschaftsarchiv in | |
| Darmstadt eingesehen werden könnten. „Sonst würde ich ein solches Projekt | |
| nicht übernehmen“, sagt Conze. | |
| Eine Bemerkung, die nicht trivial ist. Viele Sparkassen haben ihre | |
| Geschichte zwar noch nicht aufarbeiten lassen, die erste ist die | |
| oberhessische Bank aber nicht. So hat etwa die Sparkasse Dortmund gerade | |
| erst ein Buch über ihre Rolle in der Nazizeit vorgestellt. | |
| Doch nicht immer läuft eine solche Aufarbeitung konfliktfrei ab. Wie bei | |
| der Frankfurter Sparkasse, die zu ihrem 200-jährigen Bestehen eine | |
| Festschrift beauftragt hatte, die sich in einem Kapitel auch der NS-Zeit | |
| widmen sollte. Einer der damit betrauten Historiker, Ralf Roth, stieß in | |
| diesem Zusammenhang auf zehntausende Konten jüdischer Kund*innen, die | |
| damals gesperrt und deren Inhaber*innen enteignet wurden. Auch habe die | |
| Bank jüdische Mitarbeiter verfolgt und sei als „NS-Musterbetrieb“ geführt | |
| worden. Ein Viertel ihres Jahresgewinns habe sie an den Gauleiter von | |
| Hessen-Nassau gespendet. Die Täter seien nach dem Krieg weiter in führenden | |
| Positionen bei der Sparkasse geblieben. | |
| Das aber passte den Auftraggebern offenbar nicht. Das mit der Festschrift | |
| beauftragte Institut für Bank- und Finanzgeschichte entzog Roth den Auftrag | |
| wieder. Zuvor hatte dieser kritisiert, das Institut wolle Erkenntnisse | |
| zurückhalten. Nach monatelangen Streit verkündeten die Frankfurter | |
| Sparkasse und die Polytechnische Gesellschaft Ende Mai 2022, dass nun das | |
| Fritz Bauer Institut damit betraut worden sei, die „Geschichte beider | |
| Institute während der NS-Zeit in eigenen Forschungsprojekten näher | |
| aufarbeiten zu lassen“. Das Projekt ist noch nicht abgeschlossen. | |
| ## Die Sparkasse Oberhessen geht voran | |
| „Es gibt zwar schon Studien zu den Sparkassen und der NS-Zeit, aber | |
| flächendeckend untersucht ist dieses Feld noch lange nicht“, sagt Eckart | |
| Conze. Oft seien es, wie im Fall der ersten Untersuchung in Frankfurt, | |
| einzelne Kapitel als Teil zum Beispiel von Festschriften. „Insofern geht | |
| die Sparkasse Oberhessen hier schon voran, indem sie sagt: Wir lassen | |
| unsere eigene Geschichte mit Fokus auf die NS-Zeit aufarbeiten.“ | |
| Ergebnissen könne er natürlich nicht vorgreifen, betont Conze. Aber es gebe | |
| ein breites Spektrum an Themen und Fragen, denen man sich widmen wolle. | |
| Zum einen die sogenannten Arisierungen, wie im Fall der Alsfelder Synagoge. | |
| „Wenn wir über Sparkassen sprechen, dann sprechen wir nicht über große | |
| Geldinstitute, sondern über die kleinen Banken vor Ort, mit breiter Präsenz | |
| und ganz nah an den Privatkunden, den Kleinkunden, den kleinen | |
| Gewerbetreibenden“, sagt Conze. „Wir dürfen nicht unterschätzen, wie | |
| entscheidend diese lokale und regionale Präsenz für die Wirtschaft und die | |
| Finanzpolitik des NS war, und für die verbrecherischen Dimensionen dieser | |
| Politik.“ | |
| An den „Arisierungen“ seien die Sparkassen in verschiedenen Formen | |
| beteiligt gewesen, sagt Conze: als Käufer, als Vermittler von | |
| „Arisierungsgeschäften“, als Makler, als Kreditgeber. Man müsse „direkt… | |
| 30. Januar 1933 ansetzen“, sagt Conze. „Was verändert sich nach diesem | |
| Datum in den Banken?“ Mit welchen Kunden beende man die | |
| Geschäftsbeziehungen mit jüdischen wie auch anderen von den Nazis | |
| verfolgten Gruppen? Was passiere in der Personalstruktur, wer wurde | |
| entlassen, wer eingestellt, vor allem in den Leitungspositionen? | |
| „Vielfach wurden Banken nazifiziert, sie haben sich aber auch selbst | |
| nazifiziert. Oft hört man die beschönigende Erzählung, man habe ja keine | |
| Wahl gehabt. Es gab aber auch viel vorauseilenden Gehorsam“, sagt der | |
| Historiker. „Im Fall Alsfeld war der Sparkassendirektor ja offenbar auch | |
| ein führender Nazi. Diese Verschränkungen sind interessant und helfen zu | |
| erklären, warum die sogenannten Arisierungen und andere Formen der | |
| Kollaboration oftmals so reibungslos funktionierten.“ | |
| Denn der Raub und die Enteignung jüdischen Vermögens seien natürlich | |
| wichtige Schwerpunkte der Forschung. „Aber darin erschöpft es sich nicht“, | |
| sagt Conze. [3][So seien gerade die Sparkassen „entscheidende | |
| Kapitalsammelstellen“ für Kriegsanleihen gewesen und hätten so dazu | |
| beigetragen, den Krieg zu finanzieren]. Ihm ist wichtig zu betonen: „Wir | |
| untersuchen die Sparkasse Oberhessen und den Nationalsozialismus, nicht | |
| ihre Rolle im Nationalsozialismus. Das heißt: Wir enden nicht am 8. Mai | |
| 1945, sondern schauen auf die Kontinuitäten.“ Die Studie werde auch den | |
| Umgang mit etwaigen Entschädigungen und Wiedergutmachungen thematisieren | |
| sowie die Frage personeller Kontinuitäten. „Es gibt gute Gründe, | |
| anzunehmen, dass die NS-Verstrickungen auch in Oberhessen in den | |
| Nachkriegsjahren noch eine Rolle gespielt haben“, sagt Conze. Mit | |
| Ergebnissen sei in zwei bis drei Jahren zu rechnen. | |
| ## Auch die Kleiderfabrik wurde unter Druck und für wenig Geld verkauft | |
| Ergebnisse, auf die Joachim Legatis aus Alsfeld gespannt wartet. Und von | |
| denen er sich noch mehr erhofft als neue Erkenntnisse zur Synagoge. So habe | |
| es zum Beispiel noch eine Kleiderfabrik gegeben, Steinberger und Strauss. | |
| Dem einen Geschäftsführer gelang rechtzeitig die Flucht aus Deutschland, | |
| der andere wurde von den Nazis ermordet. Für ihn liegen heute Stolpersteine | |
| in Alsfeld. Steinberger habe die Fabrik unter Druck und für wenig Geld an | |
| den Inhaber der Kleiderfabrik Bücking verkaufen müssen, bis in die 1980er | |
| Jahre hinein bestand sie weiter. | |
| Auch die bis 2019 bestehende Alsfelder Brauerei hatte eine einschlägige | |
| Geschichte. 1935 musste der Inhaber Karl Wallach das seit 1858 im | |
| Familienbesitz befindliche Unternehmen an eine frisch gegründete | |
| Genossenschaft aus Gastwirten verkaufen. Seine Schwiegertochter Charlotte | |
| Wallach berichtete Ende der 1980er Jahre, wie die Familie von Vertretern | |
| der NSDAP unter Druck gesetzt worden sei. Ihr selbst, damals schwanger, sei | |
| eine Pistole an den Bauch gehalten worden. Versuche, die Brauerei nach 1945 | |
| wieder zurückzuerlangen, scheiterten. „War auch bei diesem Verkauf die | |
| Sparkasse im Spiel?“, fragt Joachim Legatis. Dass eine Bank involviert war, | |
| liege nahe. | |
| „Es hat mehrere Jahrzehnte gedauert, bis man offenbar bereit ist, auch | |
| dorthin zu schauen, wo es wehtut“, sagt Legatis. Dass es jetzt eine | |
| systematische Aufarbeitung gibt, begrüßt er sehr. „Das nimmt auch den Druck | |
| von den Engagierten vor Ort, die bisher all das Material und Wissen | |
| zusammengetragen haben, auch gegen die Abwehrhaltung ihrer Umgebung“, sagt | |
| er. „Lokalforscher sind nicht beliebt. Echt nicht“, erzählt Legatis. | |
| „Nestbeschmutzer sind das, auch heute noch. So traurig das ist.“ | |
| Eine Leistung, die auch der Marburger Historiker Conze betont. „Es ist noch | |
| nicht lange her, da haben Historiker die Arbeit der lokalen Initiativen nur | |
| mit spitzen Fingern angefasst“, sagt er. Das habe sich zum Glück geändert. | |
| „Man kann die Arbeit dieser Initiativen gar nicht hoch genug bewerten. Als | |
| Impulsgeber, aber auch die genuine Forschungsleistung, die diese Menschen | |
| erbringen“, meint Conze. „Auch unsere Untersuchung wird auf dem aufbauen, | |
| was Engagierte vor Ort geleistet haben.“ | |
| Ohne die Beharrlichkeit einzelner Engagierter in Alsfeld würde die Arbeit | |
| an dieser Studie nun nicht beginnen. Micki Riese wird ihre Fertigstellung | |
| nicht mehr erleben. Er ist im Dezember 2024 verstorben. | |
| 9 Nov 2025 | |
| ## LINKS | |
| [1] /Reichspogromnacht/!t5054800 | |
| [2] https://juedische-geschichte-vogelsberg.de/ | |
| [3] /Goetz-Alys-Wie-konnte-das-geschehen/!6107576 | |
| ## AUTOREN | |
| Dinah Riese | |
| ## TAGS | |
| Schwerpunkt Nationalsozialismus | |
| Hessen | |
| "Arisierung" | |
| Lesestück Recherche und Reportage | |
| GNS | |
| Der 9. November | |
| Reden wir darüber | |
| Theater | |
| NSDAP | |
| KZ Stutthof | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Theaterstück zur Bornplatzsynagoge: Wiedergewinnung einer Synagoge | |
| Zerstörung und Verlust prägen jüdische Geschichte auch in Hamburg. Jetzt | |
| widmet sich ein Theaterstück dem Wiederaufbau der Bornplatzsynagoge. | |
| Götz Alys „Wie konnte das geschehen?“: Die Mitte machte mit | |
| Götz Alys neues Buch sammelt die Erkenntnisse seiner Forschung zum | |
| Nationalsozialismus. Es sucht Antworten auf die Frage: „Wie konnte das | |
| geschehen?“ | |
| Mein Vormieter Max Anschel (1): Mein Vormieter, ermordet im KZ Stutthof 1944 | |
| In der Nazizeit lebte die Familie Anschel in der Elisabethkirchstraße in | |
| Berlin-Mitte, im Haus, in dem heute unser Autor wohnt. Eine Spurensuche, | |
| die nahe geht. |