| # taz.de -- Linke in Lateinamerika: In der Defensive | |
| > Linke Kräfte haben auch in Lateinamerika mit dem Vormarsch der | |
| > Ultrarechten zu kämpfen. Die USA mischen sich so unverhohlen ein wie | |
| > lange nicht mehr. | |
| Bild: Eine der wenigen linken Hoffnungsträgerinnen in Lateinamerika: Mexikos P… | |
| Mar del Plata, Argentinien, November 2005: Die südamerikanischen | |
| Präsidenten Néstor Kirchner (Argentinien), Lula da Silva (Brasilien) und | |
| Hugo Chávez (Venezuela) bringen das US-Projekt einer Freihandelszone von | |
| Alaska bis Feuerland zu Fall. Chávez feiert anschließend mit Zehntausenden | |
| in einem Stadion, US-Präsident George W. Bush reist geschlagen ab. Es war | |
| der wohl symbolträchtigste Moment der „rosaroten Welle“ in Lateinamerika, | |
| als linke Staatschefs das neue Selbstbewusstsein des Subkontinents und die | |
| Hoffnung auf eine gerechte Gesellschaft verkörperten. | |
| Sie profitierten von hohen Weltmarktpreisen für Erdöl, Soja oder Kupfer und | |
| legten mit diesen Einnahmen Sozialprogramme auf, mit denen Millionen der | |
| Aufstieg aus der Armut in die Mittelschicht gelang. Auf den Weltsozialforen | |
| in Brasilien forderten soziale Bewegungen, die viele linke Wahlsiege erst | |
| ermöglicht hatten, einen tiefgreifenden ökosozialen Wandel. In der | |
| Verfassung Ecuadors wurden die Rechte der Natur verankert, in Bolivien | |
| setzten Indigene eine „plurinationale“ Republik durch. Heute ist von diesem | |
| Aufbruch kaum etwas übrig. | |
| Progressive Kräfte befinden sich nicht nur in Lateinamerika in der | |
| Defensive, doch auf dem Subkontinent hat sich die Lage in 15 Jahren | |
| besonders dramatisch gedreht. Der „Linksruck“ hat kein einziges der | |
| Strukturprobleme der Region gelöst. Mehr denn je ist sie auf ein | |
| exportorientiertes, umweltzerstörerisches Wirtschaftsmodell festgelegt, in | |
| dem Agroindustrie, Bergbau und fossile Brennstoffe die wichtigsten | |
| Devisenbringer sind. Organisierte Kriminalität, Korruption und soziale | |
| Ungleichheit nehmen zu. | |
| ## Trump will Kontrolle | |
| Die USA intervenieren so direkt wie schon seit Jahrzehnten nicht mehr. | |
| Donald Trump strebt die Kontrolle über den gesamten Doppelkontinent an. Die | |
| Kongresswahlen in Argentinien gewann überraschend die Partei des | |
| ultrarechten Präsidenten Javier Milei, nachdem Washington mit einer | |
| Milliardenhilfe drohende Turbulenzen auf den Finanzmärkten abgewendet | |
| hatte. Anschließend verkündete Trump: „Wir konzentrieren uns sehr auf | |
| Südamerika und sind dabei, dort großen Einfluss zu gewinnen.“ [1][Im Rennen | |
| um Rohstoffe will er China zurückdrängen.] | |
| Brasilien belegt er mit Strafzöllen, um eine Verurteilung seines | |
| Verbündeten Jair Bolsonaro zu verhindern. Die Grenze zu Mexiko wird | |
| abgeschottet, Menschen lateinamerikanischer Herkunft in den USA werden | |
| brutal verfolgt und abgeschoben. Auch als Schuldige am hohen Drogenkonsum | |
| im Lande hat Trump Latinos ausgemacht, Schnellboote mit mutmaßlichen | |
| Drogenhändlern lässt er in der Karibik und [2][im Pazifik versenken]. | |
| Kolumbiens linker Präsident Gustavo Petro i[3][st für ihn der Chef eines | |
| Narcokartells]. Seit August kreuzen US-Kriegsschiffe vor der Küste | |
| Venezuelas, das dortige Regime soll [4][mithilfe der CIA gestürzt werden]. | |
| Die Macht der alten und neuen Oligarchien ist ein weiteres Hindernis für | |
| die linken Kräfte in Lateinamerika. In Honduras, Paraguay und Brasilien | |
| wurden ab 2009 reformorientierte Staatsoberhäupter durch „sanfte | |
| Staatsstreiche“ gestürzt. Der Sieg von Jair Bolsonaro 2018 wurde erst | |
| möglich, weil Lula wegen eines – mittlerweile aufgehobenen – | |
| Gerichtsurteils im Gefängnis saß. In Brasilien, Chile oder Kolumbien werden | |
| progressive Präsidenten oft von rechten Parlamentsmehrheiten ausgebremst, | |
| Wirtschaft, Justiz und Medien tun ein Übriges. | |
| Hausgemachte Probleme kommen hinzu. Milei ist auch deswegen [5][so | |
| erfolgreich], weil sich die peronistische Opposition ideenlos und | |
| zerstritten präsentiert. Ex-Präsidentin Cristina Kirchner, wegen Korruption | |
| in Hausarrest, gibt als autoritäre Chefin der Mitte-links-Partei immer noch | |
| den Ton an und verhindert systematisch einen Generationenwechsel. Sie ist | |
| nicht die Einzige, die sich für unverzichtbar hält: In Bolivien | |
| beschleunigte der vormalige Hoffnungsträger Evo Morales den Niedergang der | |
| „Bewegung zum Sozialismus“. Zuletzt bekämpfte er jahrelang seinen | |
| Ex-Minister und Nachfolger Luis Arce. Bei der jüngsten Wahl trat dann | |
| schließlich keiner der beiden an, die zwei linken Kandidaten blieben im | |
| einstelligen Bereich. | |
| Ecuadors früherer Staatschef Rafael Correa, ebenfalls wegen Korruption | |
| verurteilt, will die Geschicke seiner Partei noch von seinem belgischen | |
| Exil aus bestimmen und schadete damit „seiner“ Kandidatin Luisa González. | |
| Sie verlor im April dieses Jahres die Stichwahl gegen Daniel Noboa, der auf | |
| einen harten Kurs gegen die Drogenmafia und seine Nähe zu Donald Trump | |
| setzte. In Brasilien sind Wohl und Wehe der einst innovativen | |
| Arbeiterpartei PT mit dem mittlerweile 80-jährigen Lula verknüpft, der 2026 | |
| seine vierte Amtszeit anstrebt. Eine Ausnahme bildet das kleine Uruguay, wo | |
| die sozialdemokratische „Breite Front“ den Ton angibt. Ohne jede Chance | |
| sind Progressive hingegen in Peru oder Paraguay. Nach Nicaragua unter dem | |
| Ortega-Clan mündete auch Venezuelas „Sozialismus des 21. Jahrhunderts“ in | |
| eine Diktatur. | |
| ## Es gibt Hoffnungsträger | |
| All dies begünstigt den Vormarsch der gut vernetzten Ultrarechten. In Chile | |
| haben sogar zwei Rechtsextreme gute Chancen, den Linken Gabriel Boric zu | |
| beerben: José Antonio Kast und der Milei-Bewunderer Johannes Kaiser. Nayib | |
| Bukele aus El Salvador hat sich selbst als „coolen Diktator“ bezeichnet und | |
| gilt wegen seines kompromisslosen Vorgehens gegen Bandenkriminalität als | |
| Vorbild seiner Gesinnungsgenossen. | |
| Hoffnungsträger:innen in diesem düsteren Panorama gibt es durchaus: | |
| etwa Mexikos Präsidentin Claudia Sheinbaum, die wegen beherzter | |
| Sozialpolitik und resoluten Auftretens gegen Donald Trump sehr beliebt ist. | |
| Und vor allem die vielen, meist unsichtbaren Aktiven sozialer Bewegungen | |
| und Basisgruppen, die sich auf sämtlichen Gebieten dem reaktionären | |
| Rollback entgegenstellen. Auch in Lateinamerika ist das letzte Wort noch | |
| nicht gesprochen. | |
| 7 Nov 2025 | |
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| ## AUTOREN | |
| Gerhard Dilger | |
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