| # taz.de -- Neues Musikvideo von Taylor Swift: Eine schöne Leiche kehrt zurück | |
| > Das neue Musikvideo des Weltstars gleicht einem Fiebertraum. Das | |
| > Landesmuseum Wiesbaden profitiert davon. Was haben nur alle mit dieser | |
| > Ophelia? | |
| Bild: Friedrich Heyser „Ophelia“, um 1900 | |
| Ohhh Ophelia. „Nieder fielen die rankenden Trophäen und sie selbst ins | |
| weinende Gewässer. Ihre Kleider verbreiteten sich weit und trugen sie | |
| sirenengleich ein Weilchen noch empor, indes sie Stellen alter Weisen sang, | |
| als ob sie nicht die eigne Not begriffe, wie ein Geschöpf, geboren und | |
| begabt für dieses Element. Doch lange währt’ es nicht, bis ihre Kleider, | |
| die sich schwer getrunken, das literarme Kind von ihren Melodien | |
| hinunterzogen in den schlamm’gen Tod.“ | |
| So beschreibt Getrude, Hamlets Mutter, deinen Tod (warum nur hat sie dir | |
| nicht geholfen, wo sie doch alles so genau beobachtet hat?). Nun gut, du | |
| ertrinkst, ein bisschen erstaunt, ein bisschen indifferent und in jedem | |
| Fall sehr schön. So unendlich schön. | |
| Es ist die Geliebte von Hamlet, die da beim Blumenpflücken in den Fluss | |
| fällt, oder sich hineinfallen lässt. Ist es Unfall oder Selbstmord, so ganz | |
| klar ist es nicht, sie ist ja nun auch schließlich schon verrückt geworden, | |
| ja ganz wirr im Kopf, kaputtgespielt vom Patriarchat, zerrissen von Vater, | |
| Bruder, König, Geliebtem und so weiter und so fort. Da kann man schon mal | |
| das Gleichgewicht – oder den Lebenswillen verlieren. | |
| Nun gut, immerhin ist sie berühmt geworden. Erdacht von einem Mann | |
| (Shakespeare), für die Ewigkeit auf die Leinwand gemalt von vielen Männern, | |
| am berühmtesten wohl als präraffaelitische Ikone von John Everett Millais. | |
| Aber auch der mystische Symbolist Odilie Redon malte Ophelia gleicht | |
| mehrmals: verwunschen und verwaschen und natürlich war sie wie geschaffen | |
| für eine Interpretation im Jugendstil, der als Jugendbewegung ja | |
| schließlich sowas wie der Urvater der Emos war. | |
| ## Besucherboom im Landesmuseum Wiesbaden | |
| Der deutsche Historienmaler Friedrich Wilhelm Theodor Heyser bettete seine | |
| Ophelia um 1900 eher schwebend als schwimmend in einen brackigen Tümpel, | |
| die Augen so sittlich gesenkt, die Lippen so sinnlich geöffnet. Das weiße | |
| Kleid der Unschuld wird zum Leichentuch, die gepflückten Blumen gehen schon | |
| unter. Nur ein paar Mohnblüten, internationales Symbol für Tod, treiben | |
| noch zwischen den Seerosen. | |
| Im Landesmuseum Wiesbaden hängt diese Version der schönen Leiche Theodor | |
| Heysers, der zugegebenermaßen eher zu den Nebendarstellern der deutschen | |
| Kunstgeschichte gehört und nun unverhofft späten Ruhm erhält – | |
| [1][ausgerechnet durch Taylor Swift]. Fans der US-Sängerin strömen jetzt in | |
| das 200 Jahre alte Museum, seit diese das Gemälde in ihrem neuesten | |
| Musikvideo zitierte. „Wir erleben derzeit einen regelrechten Ophelia-Boom | |
| und sind darüber ziemlich überrascht und glücklich“, sagte die | |
| Museums-Sprecherin Susanne Hirschmann dem britischen [2][Guardian]. | |
| Denn auch der US-Weltstar hat nun eine Ode an Ophelia geschrieben: „The | |
| Fate of Ophelia“ heißt die Single, deren Video mit ebenjener von Heyser in | |
| Öl gebannten Szene eröffnet. Nur, dass es eben Swift selbst ist, die da so | |
| liegt, in einem Museum – oder ist es ein Hotel? Eine Mall? Ein Spielcasino | |
| in Las Vegas? Auf jeden Fall in einem Raum, in dem ein Bild in einem | |
| goldenen Rahmen hängt und nun, man merkt schon es geht los, was kommt wird | |
| sehr kompliziert zu beschreiben: Es gleicht einem KI-Fiebertraum aus der | |
| Zukunft in der Kultur nur noch in Happy-Meal tauglichen Nuggets serviert | |
| wird, so durchpüriert, dass es vollkommen irrelevant ist, was drinsteckt, | |
| alles schmeckt gleich, nach fettigem Nichts, aber irgendwie gut. | |
| ## Swift schrieb das Drehbuch und führte selbst Regie | |
| In schnellen Schnitten besingt die Königin der Nylonstrumpfhosen hier das | |
| Schicksal der tragischen Heldin „The eldest daughter of a nobleman / | |
| Ophelia lived in fantasy / But love was a cold bed full of scorpions / The | |
| venom stole her sanity“ heißt es da. So oder so ähnlich hätte das Swift | |
| wohl auch gedroht – fast wäre sie ertrunken, aber dann kam ihr Retter (wie | |
| alle wissen, auch die, die es gar nicht wissen wollen, ist Swift mit dem | |
| Prom-King-Prototypen und Football-Star Travis Kelce liiert) und rettete | |
| sie: „All that time / I sat alone in my tower / You were just honing your | |
| powers / Now I can see it all / Late one night / You dug me out of my grave | |
| and / Saved my heart from the fate of / Ophelia“. | |
| Während sie das singt, wechselt sie Kleidung und Frisuren in | |
| TikTok-Geschwindigkeit. Hintergründe und Kontexte des Videos, für das Swift | |
| selbst Regie und Drehbuch verantwortete, changieren in einer Willkür mit, | |
| als hätte man irgendwas mit Fluch der Karibik, Nobuyoshi Araki, The | |
| Carters, Maria Švarbová, Shakespeare, Pamela Anderson, De Chirico, Moulin | |
| Rouge und Uwe Barschel in einen Videogenerator gepromptet. Die Ästhetik ist | |
| so glattgebügelt, als käme das alles direkt aus dem 3D Drucker. | |
| Auch [3][die Musik ist eingänglich und simpel]. Es verwundert nicht, dass | |
| der Song bei Spotify sowohl den Tages- als auch den Wochenrekord als | |
| meistgestreamten Titel brach. Kritikerstimmen erkannten Spuren von Adele, | |
| Eurythmics und Duffy, zumindest irgendwas mit 2000er Pop. Ann Powers lehnte | |
| sich bei NPR sogar aus dem Fenster und meinte, Elemente von „Clint | |
| Eastwood“ der Gorillaz zu erkennen. Bei der Autorin dieses Textes nuschelt | |
| es hingegen eher leise „Lana Del Rey“ im Hinterkopf. | |
| Die Positivdrehung der tragischen Geschichte in einen poppigen Lovesong ist | |
| ungewöhnlich und vielleicht sogar klug. Schon 1996 bedienten sich Nick Cave | |
| und Kylie Minogue für das Video zu ihrem Song „Where the Wild Roses Grow“ | |
| visuell an John Everett Millais' „Ophelia“-Gemälde. Bob Dylan besingt | |
| Ophelia in typischer Dylan-Manier in „Desolation Row“, doch glücklich geht | |
| hier nichts aus. Der Tod im Patriachat bleibt der Tod im Patriarchat. | |
| Bei Taylor Swift hingegen löst sich das Drama im Wohlgefallen der | |
| luxuriösen Badewanne auf. Der Kerl ist ein Guter, er hat sie gerettet. Sie | |
| muss weder den Verstand verlieren noch sich ertränken, es ist eben nicht | |
| alles schlecht. Darüber, dass die glitzernde Trad-Wife-Unschuld nun die | |
| kulturelle Rettung der amerikanischen Popmusik sein soll, könnte man | |
| ähnlich verrückt werden wie Ophelia. Oder einfach lauthals lachen und sich | |
| mit dem Landesmuseum Wiesbaden freuen, das nun zumindest ein paar | |
| Besucherinnen mehr verzeichnen kann. | |
| 17 Oct 2025 | |
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| [1] /Taylor-Swift-Die-Entzauberung-eines-Popstars/!6116701 | |
| [2] https://www.theguardian.com/music/2025/oct/16/taylor-swift-fans-german-muse… | |
| [3] /Neues-Album-von-Taylor-Swift/!6117576 | |
| ## AUTOREN | |
| Hilka Dirks | |
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