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# taz.de -- „Das rote Haus“ am Maxim Gorki Theater: Die Geschichte ist noch…
> Das Stück „Das rote Haus“ am Maxim Gorki Theater blickt auf ein
> Arbeiterinnenwohnheim in den 1960er Jahren. Basis sind Romane von Emine
> Sevgi Özdamar.
Bild: Der kommunistische Wohnheimleiter ist auch der Deutschlehrer in „Das ro…
Im Maxim Gorki Theater in Berlin liegen schwarzweiße Postkarten aus.
Sechziger Jahre, vier junge Frauen in schick geschnittenen Mänteln schauen
sich Schaufenster an. Lebenslust, Sehnsucht nach Eleganz, Swinging Sixties?
An die erste Generation der Gastarbeiterinnen in Deutschland denkt man eher
nicht.
Ihnen aber ist die Produktion „Das Rote Haus“ auf der Bühne und die
[1][gleichnamige Ausstellung im diesjährigen Herbstsalon des Gorki
Theaters] gewidmet. Es ist die letzte Spielzeit [2][der Intendantin Shermin
Langhoff], die mit dem Fokus auf migrantische Stoffe nachhaltig verändert,
was im Theater erzählt wird. „Das rote Haus“ als gesamtes Projekt nimmt
noch einmal den vermeintlichen Anfang in den Blick, als die dringend
benötigten Gastarbeiter Deutschland ökonomisch zum Wohlstand verhalfen. Um
gleich zu erzählen, dass dies keineswegs der Anfang war.
Im Theaterstück „Das rote Haus“, inszeniert von [3][Ersan Mondtag,] stehen
vier ältere Frauen im Mittelpunkt, die zum Arbeiten bei Telefunken nach
Berlin gekommen waren. Alt geworden kämpfen Canan, Keriman, Saadet und
Yüksel gegen Erinnerungslücken, junge Pflegerinnen, die sie manchmal mit
ihren Enkelinnen verwechseln, helfen ihnen bei der Rekonstruktion ihrer
Lebensläufe und verkörpern sie bei der Ankunft in Berlin.
Oft waren ihre Eltern oder Großeltern als sephardische Juden oder aus
Griechenland und Armenien vertrieben in die Türkei gekommen, zu Türkinnen
wurden sie erst in Berlin. Fast immer steht der Wunsch nach Unabhängigkeit
hinter der Entscheidung, in Deutschland zu arbeiten. Teils kommen sie aus
gebildeten Elternhäusern. Schon in diesen kurzen biografischen Abrissen
merkt man (als deutsche Zuschauerin ohne Migrationshintergrund), wie viel
dem Klischee der Gastarbeiterinnen widerspricht.
Ein Wartesaal im Bahnhof, ein Schlafsaal im Arbeiterinnenwohnheim, eine
Fabrikhalle – diese Stationen deutet der Bühnenraum an, alle etwas düster,
einschüchternd, bedrohlich. Neben den Frauen gibt es noch die Figur eines
Hausmeisters, von einer der Bewohnerinnen für Otto von Bismarck gehalten.
Tatsächlich war der als Kind an diesem Ort in einer Erziehungsanstalt
gewesen, die ihn mit schwarzer Pädagogik traumatisiert hat. Frank Büttner,
lange ein Star an Castorfs Volksbühne, mimt den vermeintlichen Bismarck,
der als Gespenst und Karikatur zwischen den Frauen umhergeistert.
## Emanzipationsgeschichten der Frauen
Der Text des Stücks geht zum Teil auf Romane von [4][Emine Sevgi Özdamar]
zurück, in denen die Schriftstellerin über ihre Zeit in einem Wohnheim in
der Stresemannstraße in Kreuzberg erzählte, mit kommunistischem
Wohnheimsleiter und Ausflügen in die Theater in Ostberlin. Teils aber auch
auf Interviews mit anderen Bewohnerinnen dieses Heims und ihren Töchtern.
Die vier erzählten Biografien sind fiktiv, aber nahe an den realen
gestrickt. Mehr von den realen Biografien, den Emanzipationsgeschichten der
Frauen und ihrem politischen Engagement erfährt man in der Ausstellung.
Die Inszenierung trägt schwer an einem Überschuss an Informationen. Zwar
werden die biografischen Skizzen, mit denen die vier Protagonistinnen und
ihre Familien vorgestellt werden, von sehr schönen Animationen begleitet:
Trotzdem fällt es schwer, ihnen und ihren jüngeren Alter Egos als
individuellen Figuren zu folgen. Dabei kommt es darauf gerade an.
Ein Chor tritt auf, der Anatolian Women’s Choir, und flutet die Bühne mit
gefühlvollem Sound, der stets das Verlorene betrauert. Das Stück
verarbeitet auch, in kurzen Zitaten aus Nachrichten, die wieder wachsende
Feindlichkeit gegenüber eingewanderten Deutschen. Und endet mit einer
düsteren Fiktion der erzwungenen Remigration: Da wird das Wohnheim zur
Sammelstelle vor der Deportation.
Warum das alles so erzählt wird, ist nachvollziehbar in dieser Zeit, in der
mit negativen Bildern des Fremden wieder so viel Politik gemacht wird. Auch
das Setting zwischen Erinnern und einem Vergessen, das nicht nur auf dem
Alter der älteren Einwanderinnen beruht, sondern auch auf den vielen
Verdrängungsleistungen, die sie selbst aufbringen mussten, ist
einleuchtend.
Dennoch ist der Abend nicht rund, dem recherchebasierten Text fehlt eine
eigene Sprache. Deutlich wurde das auch, als am 3. Oktober nach der
Vorstellung Emine Sevgi Özdamar zu einer Lesung aus ihrem Roman „Die Brücke
vom Goldenen Horn“ auf die Bühne kam. Da erfährt man aus jedem Absatz, aus
dem Bau der Sätze, dem oft witzigen Spiel mit Worten so viel mehr über die
Perspektive der Angekommenen, ihrem Gefühl der Isolation und des
Zusammenhalts unter den Frauen.
8 Oct 2025
## LINKS
[1] /Eroeffnung-6-Herbstsalon-im-Gorki/!5960981
[2] /Auszeichnung-fuer-Shermin-Langhoff/!5390500
[3] /Nibelungen-am-Berliner-Ensemble/!5772951
[4] /Buechnerpreis-fuer-Emine-Sevgi-Oezdamar/!5890166
## AUTOREN
Katrin Bettina Müller
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