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# taz.de -- Stück über das Leben der Philosophin: Schafft drei, vier, fünf H…
> Am Deutschen Theater in Berlin arbeitet man sich in „Die drei Leben der
> Hannah Arendt“ durch ihre Biografie. Mehr als Wikipedia-Enactment ist das
> nicht.
Bild: Die Schauspieler:innen versuchen die Philosophin mit vereinten Kräften z…
Als der Vater des 14-jährigen Mädchens im Spitzenkragenkleid an Syphilis
gestorben ist, wendet sie sich an ihre Mutter: Sie habe zwar alles von Kant
gelesen, aber noch immer nicht alle Antworten. „Eine Frage habe ich noch,
Mama: Was ist Geschlechtsverkehr?“
In der nächsten Szene sieht man das Mädchen als erwachsene Frau in einem
Fernsehstudio sitzen. Mit dicker Hornbrille und überakzentuierter
Sprechweise erklärt sie einem vor Ehrerbietung geradezu piepsenden
Journalisten, warum ihr Weg zwangsläufig zum Philosophiestudium führen
musste – und warum sie dann doch lieber Professorin für Politische Theorie
geworden sei: der Freude am Denken wegen.
[1][Hannah Arendt] als Mädchen in Königsberg, Hannah Arendt in Marburg bei
Heidegger und in Heidelberg bei Jaspers. Hannah Arendt im Romanischen Café
in Berlin 1933, als der Reichstag brennt, und Hannah Arendt im Pariser
Exil, neben dem verzweifelten Walter Benjamin und 1941 kotzend mit Heinrich
Blücher über der Reling hängend bei der Flucht über den Atlantik nach New
York.
Wie einen „Krimi aus vielen Leben“ hat [2][Regisseurin Theresa
Thomasberger] die Geschichte der bekanntesten deutschen Philosophin
inszeniert. Ihr Stück „Die drei Leben der Hannah Arendt“, das am Samstag im
Deutschen Theater in Berlin Premiere hatte, hat sich offenbar vorgenommen,
die 1975 verstorbene Denkerin so umfassend wie nur möglich zu porträtieren;
bis zu fünf verschiedene Hannah Arendts tummeln sich auf der Bühne, um ihre
„drei Leben“ darzustellen: Denken, Lieben, Handeln.
## Flexibler Rollentausch
Als Quellen dienten dabei Arendts Originalschriften sowie die biografische
Graphic Novel des US-Zeichners Ken Krimstein. Und ein legendäres
Fernsehinterview, das Arendt 1964 im ZDF mit dem Politjournalisten Günter
Gaus führte.
Das Collagenhafte des Stücks wird unterstrichen durch das fluide Spiel der
Darsteller*innen, die flexibel die Rollen tauschen, fast jede spielt neben
einer Arendt auch einen Heinrich Blücher, einen Martin Heidegger, einen
Kurt Blumenfeld.
Manchmal ist das umwerfend komisch, besonders die beiden Kinderdarsteller
Theo Steinbeck und Jakob Stöver überzeugen als eifrig parlierende Günter
Gausens. Auch Abak Safaei-Rad sticht heraus als gefeierte jüdische
Starintellektuelle Arendt, die das deutsche Fernsehpublikum mit
geschliffenen Worten, hörbarem ostpreußischen Zungenschlag und trockener
Ironie beeindruckt.
An den Schauspieler*innen lag es also nicht, dass der Abend im
Deutschen Theater nicht funktionierte. Was auf der minimalistisch
ausgestatteten Bühne unter Zuhilfenahme unzähliger Theaterzigaretten
aufgeführt wurde, war eine aus vielen Mosaikstücken zusammengesetzte
Geschichtsstunde, die leider von keinem größeren künstlerischen Einfall
zusammen gehalten wurde. Bis auf ein paar Brecht-Weill-artige
Choreografien, die zwischenzeitlich für Schwung sorgten, floss der Abend
dröge dahin.
## Bildungsauftrag erfüllt – immerhin
Krieg, Vertreibung, Exil, die Hinwendung zur Totalitarismusforschung sowie
der Eichmann-Prozess und die Debatte um das Buch „Eichmann in Jerusalem“ –
artig wurde eine biografische Station nach der anderen abgearbeitet.
Für ein paar junge Leute im Premierenpublikum, die sich, den Gesprächen
beim Verlassen des Saals nach zu urteilen, noch nie näher mit Hannah
Arendts Werken befasst haben, mag dieser Abend einen Nerv getroffen haben:
„Ich werde auf jeden Fall was von ihr lesen“, versicherten sich drei
gegenseitig beim Hinausgehen. Insofern: Bildungsauftrag erfüllt. Wer sich
von diesem Theaterabend aber mehr als gehobenes Wikipedia-Enactment
erwartet hatte, ging enttäuscht nach Hause.
Dabei scheint es in der gegenwärtigen politischen Lage dies- und jenseits
des Atlantiks dringend geboten, sich wieder mit [3][Hannah Arendts
unerschrockenen Analysen zum Ursprung des Faschismus] und mit ihren
Schriften und Begriffen, etwa der Banalität des Bösen, zu beschäftigen. Die
Frage „What would Hannah say?“ hängt angesichts der Ratlosigkeit zwischen
Höcke, Trump und Gazakrieg geradezu in der Luft, nicht zuletzt aus Mangel
an Zeitgenoss:innen mit vergleichbarer Gedankenschärfe.
Auf deutschen Theaterbühnen hat Hannah Arendt jedenfalls gerade Konjunktur.
Am Hamburger Thalia-Theater begeisterte Tom Kühnels Denkspektakel mit
Corinna Harfouch, das Deutsche SchauSpielHaus Hamburg hat ein theatrales
Reenactment des TV-Gesprächs mit Günter Gaus im Programm; und im Suhrkamp
Verlag erschien unlängst die Stückfassung für eine Arendt-Komödie des
Autor:innentrios Karin Wieland, Heinz Bude und Natan Sznaider.
Im Deutschen Theater wird Thomasbergers Stück flankiert von mehreren
Diskussionsabenden, etwa zum „Wagnis der Öffentlichkeit“. Mehr Wagnis wäre
auch theatral schön gewesen.
27 Oct 2025
## LINKS
[1] /Hannah-Arendt-Ausstellung-in-Berlin/!5681502
[2] /Theaterstueck-Maennerphantasien-am-DT/!5973853
[3] /Philosoph-ueber-Hannah-Arendt/!5990268
## AUTOREN
Nina Apin
## TAGS
Deutsches Theater
Theater Berlin
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Philosophie
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Henrik Ibsen
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