# taz.de -- Während Rettungsaktion der NGO Sea-Watch: Libysche Küstenwache gi… | |
> Die Sea-Watch 5 hatte Freitagnacht gerade 66 Menschen aus dem Mittelmeer | |
> geborgen. An Bord war auch taz-Redakteur Fabian Schroer. Es ist nicht das | |
> erste Mal, dass ein Rettungsschiff unter Beschuss gerät. | |
Bild: Die Besatzung der Sea-Watch 5 hilft einer Gruppe Geflüchteter während e… | |
In der Nacht auf Freitag [1][hat ein Schiff der libyschen Küstenwache (LCG) | |
während einer Rettungsaktion der NGO Sea-Watch im zentralen Mittelmeer | |
interveniert] und [2][dabei einen Schuss abgegeben]. Der Vorfall ereignete | |
sich, als die Crew der Sea-Watch 5 66 Menschen in internationalen | |
Gewässern, etwa 100 Kilometer südlich von Malta, aus Seenot gerettet hatte. | |
An Bord war unter anderem taz-Redakteur Fabian Schroer. | |
„Wir sind schockiert, dass mit einem so aggressiven Vorgehen gegen die | |
Sea-Watch 5 auch unser taz-Kollege in Gefahr geraten ist“, sagt | |
taz-Chefredakteurin Ulrike Winkelmann. „Der Vorfall zeigt, dass wo | |
Seenotrettung mit militärischen Mitteln bekämpft wird, zusammen mit den | |
Menschenrechten auch die Pressefreiheit missachtet wird.“ Die taz verlange, | |
dass deutsche und europäische Behörden Libyen zur Aufklärung dieses | |
Vorfalls drängen und sich die Sicherheit der Sea-Watch 5 garantieren | |
lassen. | |
Berichte über Gewalt gegen NGO-Rettungsschiffe, [3][teils auch unter | |
Einsatz scharfer Munition durch die LCG gibt es seit 2017]. Die NGO | |
Sea-Watch zählt seit 2016 mindestens 32 „gewaltvolle Vorkommnisse gegen NGO | |
Schiffe“. | |
Erst am 25. August hatte die Crew des Rettungsschiffs Ocean Viking der NGO | |
Sos Mediterannee gemeldet, [4][20 Minuten lang „mit Dauerfeuer“ von der LCG | |
beschossen worden zu sein]. Die Ocean Viking befand sich gerade mit 87 aus | |
Seenot geretteten Menschen auf dem Weg nach Italien. Das Schiff wurde | |
schwer beschädigt. Mittlerweile ermittelt die italienische | |
Staatsanwaltschaft in der Sache. | |
Die LCG wurde ab 2016 vor allem auf Betreiben Italiens in dem | |
Bürgerkriegsland aufgebaut. Seither bekommt sie aus Europa Geld, Training, | |
Schiffe sowie Unterstützung bei der Luftraumüberwachung. | |
Erst am vergangenen Montag hatten 42 zivilgesellschaftliche Organisationen, | |
darunter Amnesty International, die EU-Kommission [5][in einem offenen | |
Brief aufgefordert], die Unterstützung für die LCG einzustellen. | |
„Menschenleben dürfen nicht im Namen des Grenzschutzes missachtet werden“, | |
heißt es darin. Die Unterzeichner verweisen auf eine lange Liste von | |
Gewalttaten, die bei der Aufbringung von Booten in Seenot durch die | |
libysche Küstenwache begangen wurden. Sie werfen libyschen Beamten vor, | |
eine „Kultur der Straflosigkeit für Gewalt“ zuzulassen. | |
Die EU-Kommission bekräftigte indes ihr Engagement für Libyen. „Das haben | |
wir bisher getan und werden es auch weiterhin auf verschiedenen Ebenen tun, | |
und das ist derzeit unsere Politik“, sagte Sprecher Guillaume Mercier zu | |
dem Schreiben. | |
## UN betrachtet Libyen für Geflüchtete als „nicht sicher“ | |
Die LCG ist zu einem wichtigen Akteur der europäischen Flüchtlingsabwehr im | |
Mittelmeer geworden. | |
Seit 2017 stoppt sie mit sogenannten Interceptions Flüchtlingsboote und | |
bringt die Insassen gegen ihren Willen zurück nach Libyen. Im vergangenen | |
Jahr [6][betraf dies nach Angaben der UN-Migrationsorganisation IOM rund | |
21.800 Menschen], in diesem Jahr bisher 16.200. Dabei übermitteln sowohl | |
die EU-Grenzschutzagentur Frontex als auch maltesische und italienische | |
Behörden der LCG die Koordinaten von Flüchtlingsbooten. | |
Zweitens rufen die Rettungsleitstellen von Italien und Malta bei Notrufen | |
in ihren eigenen Zuständigkeitsbereichen immer öfter die LCG, um | |
Schiffbrüchige aufzunehmen und nach Libyen zu bringen, statt nach Europa. | |
Drittens interveniert die LCG bei Rettungsaktionen durch europäische | |
NGO-Schiffe und versucht offensichtlich, diese zu vertreiben – so wie in | |
der Nacht zu Freitag. | |
Die UN hat explizit erklärt, dass sie Libyen [7][für Geflüchtete als „nicht | |
sicher“ betrachtet]. | |
NGOs, darunter Amnesty International, [8][weisen seit Jahren auf mafiöse, | |
auch personelle Verbindungen zwischen der LCG und kriminellen Banden hin], | |
die in das Geschäft mit Kidnapping, Erpressung und Schlepperei in Libyen | |
verstrickt sind. | |
Die EU-Kommission behauptet indes, [9][ihre Unterstützung der LCG führe zu | |
„mehr Rettungen auf See“]. Konkrete Angaben, welchen Umfang die | |
Unterstützung für die LCG hat, macht sie nicht. | |
## Deutschland sieht libysche Küstenwache mittlerweile kritisch | |
Über den EU-Nothilfefonds für Afrika (EUTF for Africa) flossen bis 2021 | |
rund 465 Millionen Euro für migrationsbezogene Maßnahmen nach Libyen. Seit | |
2021 stehen im EU-Programm „Globales Europa“ 65 Millionen Euro für „Schu… | |
und Grenzverwaltung“ in Libyen bereit. Unklar ist, wie viel davon an die | |
LCG fließt. Sicher ist, dass die LCG seit 2018 bewaffnete Patrouillenboote | |
von Italien bekommen hat – und diese auch bei den Attacken auf | |
Rettungsschiffe benutzt wurden. | |
Seit 2016 gehören [10][Ausbildung und „Kapazitätsaufbau“ der LCG] zu den | |
Aufgaben zweier militärischer Operation der EU: bis 2020 der Operation | |
„Sophia“ und dann der Nachfolgerin „Irini“. An beiden ist bzw. war die | |
Bundeswehr beteiligt. „Sophia“ sollte vor allem Schlepper bekämpfen, Irini | |
das Waffenembargo gegen Libyen überwachen. | |
Deutschland sieht die LCG allerdings mittlerweile kritisch. Die Ampel hatte | |
der Bundeswehr untersagt, sich im Rahmen der Irini-Mission an der | |
Ausbildung der LCG zu beteiligen. 2024 sagte eine Vertreterin des | |
Auswärtigen Amtes dazu, man sehe die LCG „nicht als Akteur, mit dem eine | |
Zusammenarbeit möglich ist, aufgrund der relativ gut dokumentierten | |
Menschenrechtsverletzungen.“ Aus dem Bundesinnenministerium hieß es, | |
[11][man wolle „signalisieren, dass wir dieses inakzeptable Verhalten der | |
libyschen Küstenwache nicht unterstützen“.] | |
Kern der EU-Kooperation mit Libyen ist vor allem ein seit 2017 laufendes | |
„Memorandum of Understanding“ zwischen Italien und der Regierung in | |
Tripolis. Die italienische Regierung will das im November regulär | |
auslaufende Memorandum verlängern, ein Bündnis um die Gruppe „Refugees in | |
Libya“ will [12][das mit Protesten in den kommenden Wochen verhindern]. | |
27 Sep 2025 | |
## LINKS | |
[1] /Seenotrettung-im-Mittelmeer/!6116040 | |
[2] https://sea-watch.org/libysche-miliz-beschiesst-rettungsschiff-sea-watch-5/ | |
[3] /Toedlicher-Zwischenfall-im-Mittelmeer/!5459105 | |
[4] https://www.sosmediterranee.de/aktuelles/ocean-viking-unter-beschuss | |
[5] https://www.refugeesinlibya.org/post/eu-commission-stop-funding-abuse-in-li… | |
[6] https://libyaobserver.ly/inbrief/libyan-coast-guard-intercepted-about-28000… | |
[7] https://crisisresponse.iom.int/sites/g/files/tmzbdl1481/files/appeal/docume… | |
[8] https://www.amnesty.org/en/wp-content/uploads/2021/05/MDE1975612017ENGLISH.… | |
[9] https://www.consilium.europa.eu/de/infographics/eu-action-migration-libya/ | |
[10] https://www.operationirini.eu/about-us/ | |
[11] https://www.bundestag.de/resource/blob/1056138/54_Wortprotokoll_10-04-2024… | |
[12] https://www.refugeesinlibya.org/post/stop-the-memorandum-italy-libya | |
## AUTOREN | |
Christian Jakob | |
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