| # taz.de -- Flüchtlingsabwehr im Mittelmeer: Weiter mit den libyschen Folterern | |
| > Trotz anhaltender Menschenrechtsverletzungen: Deutschland und Italien | |
| > entscheiden sich für weitere Kooperation mit Libyens Küstenwache. | |
| Bild: Ein Schiff der libyschen Küstenwache bei einer Sea-Watch-Rettungsaktion … | |
| taz | [1][Schüsse] auf Retter, Folter von Migrant:innen, mafiöse Geschäfte: | |
| Seit Jahren häufen sich Berichte über schwerste Menschenrechtsverletzung | |
| der libyschen Küstenwache (LCG) und der mit ihr verbundenen Milizen. | |
| Trotzdem haben Italien und Deutschland am Mittwoch unabhängig voneinander | |
| entschieden: Die Zusammenarbeit geht weiter. | |
| Am Mittwoch winkte der Bundestag die Verlängerung des Bundeswehr-Mandats | |
| für die EU-Militärmission Irini durch. Diese soll das Waffenembargo gegen | |
| Libyen überwachen, als „Nebenaufgabe“ aber auch die LCG weiter aufbauen und | |
| schulen. An Letzterem hatte sich Deutschland bisher wegen deren | |
| Menschenrechtsverstößen explizit nicht beteiligt. „Grundsätzlich gilt für | |
| die Bundesregierung: [2][Es gibt keine deutsche bilaterale Unterstützung | |
| für die libysche Küstenwache]“, sagte ein Sprecher des Auswärtigen Amtes | |
| noch Ende September der taz. | |
| Kürzlich hatte die NGO Sea Watch eine [3][Dokumentation] von 60 gewaltsamen | |
| Angriffen auf Seenotretter im Mittelmeer durch die LCG veröffentlicht. Bei | |
| einem neuerlichen [4][Angriff] während einer Rettungsaktion am Montag wurde | |
| ein Mensch lebensgefährlich und zwei weitere schwer verletzt. | |
| Doch im neuen Bundeswehr-[5][Mandat] ist die „Schulung“ der LCG als Aufgabe | |
| genannt. So solle ein „Gleichlaut zwischen Bundestags- und EU-Mandat“ | |
| geschaffen werden, sagte ein Sprecher des Bundesverteidigungsministeriums | |
| der taz. Allerdings gebe es derzeit „keine konkreten Planungen zur | |
| Wahrnehmung der Ausbildungsaufgabe durch die Bundeswehr“. Doch die zu | |
| Ampel-Zeiten verfolgte Linie ist damit passé. | |
| ## „Beihilfe zu Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ | |
| Die Linken-Abgeordnete Lea Reisner, früher selbst als Freiwillige in der | |
| Seenotrettung aktiv, sagte, die Bundesregierung wolle die Zusammenarbeit | |
| mit libyschen Milizen ausbauen, „die auf zivile Rettungsschiffe und | |
| flüchtende Menschen schießen.“ Was als Beitrag zur europäischen Stabilität | |
| verkauft werde, sei „in Wahrheit Beihilfe zu Verbrechen gegen die | |
| Menschlichkeit,“ so Reisner. | |
| Auch in Rom hatte sich das Parlament am Mittwoch mit dem Thema befasst. Zur | |
| Debatte stand die turnusmäßige Verlängerung einer aus dem Jahr 2017 | |
| stammenden Vereinbarung mit Libyen zur Flüchtlingsabwehr. Getroffen hatte | |
| sie damals die sozialdemokratisch geführte Regierung unter Paolo Gentiloni. | |
| Am Dienstag beantragte aber ein Bündnis von Oppositionsparteien unter der | |
| PD-Chefin Elly Schlein, die Zusammenarbeit mit der LCG zu stoppen. Diese | |
| sei von Milizen durchsetzt, „die jeden Tag Menschen- und Grundrechte mit | |
| Füßen treten“, sagte Schlein. | |
| Es gebe zahlreiche Zeugnisse über „Gräueltaten, Folter, Menschenhandel, | |
| Morde, Verletzungen der grundlegendsten Rechte, Schüsse gegen | |
| Migrantenboote,“ so Schlein. Doch am Mittwoch wies Rechtskoalition unter | |
| Ministerpräsidenten Giorgia Meloni den Antrag im Parlament ab. Es wird also | |
| weiter Schiffe, Geld, Training und Ausrüstung geben, damit die LCG | |
| Flüchtlinge auf dem Mittelmeer stoppt und zurückholt. Ziel sei der „Kampf | |
| gegen den Menschenhandel“, behauptete indes Meloni. Fast wortgleich | |
| begründete das auch Auswärtige Amt in Berlin, warum es die Möglichkeit | |
| geschaffen habe, sich am „Kapazitätsaufbau“ in Libyen zu beteiligen. | |
| Seit Dienstag [6][protestiert] dagegen in Rom ein Bündnis um die Gruppe | |
| [7][Refugees in Libya] (RiL). Zu einer „Überlebenden-Bühne“ auf der Piazza | |
| Vidoni am Samstag bringt sie rund 50 Geflüchtete aus zehn Ländern in Europa | |
| und Nordamerika zusammen, die einst in den libyschen Folterlagern | |
| inhaftiert waren. „Wir werden nie vergessen, was uns dort angetan wurde“, | |
| sagt der aus Sudan stammende RiL-Gründer David Yambio. In den insgesamt | |
| drei Lagern, in denen er in den Jahren 2019 und 2020 interniert war, wurden | |
| bis zu 7.000 Menschen festgehalten. | |
| „Man kann sich nicht hinlegen, es gibt kaum Wasser und Toiletten, bei 45 | |
| Grad schmilzt dein Körper förmlich.“ Das ganze System sei darauf ausgelegt, | |
| die Menschen zu terrorisieren, um Lösegeld zu erpressen oder sie für | |
| Zwangsarbeit weiterzuverkaufen, sagt Yambio. „Sie sagen, es ginge in den | |
| Kampf gegen Menschenhandel – dabei sind die Milizen in Libyen die größten | |
| Menschenhändler.“ Dass Italien und die EU Akteure unterstützen, die tief in | |
| dieses Geschäft verstrickt seien, dürfe nicht unwidersprochen bleiben. „Sie | |
| glauben, niemand zieht sie zur Rechenschaft.“ Das müsse enden. Niemand | |
| solle sagen können, er wisse nicht, was in Libyen geschieht, sagt Yambio. | |
| ## „Stark von der Organisierten Kriminalität beeinflusst“ | |
| Der Kampagne gegen das Memorandum of Understanding mit Libyen angeschlossen | |
| hatte sich auch die in Italien einflussreiche Anti-Mafia-Bewegung. „Für uns | |
| ist klar, dass die Situation in Libyen stark von der Organisierten | |
| Kriminalität beeinflusst ist“, sagt Giorgio Sammito von der NGO | |
| [8][Libera]. Das Bündnis kämpft seit Jahren dafür, dass Vermögenswerte | |
| krimineller Netzwerke in gemeinnützige Projekte überführt werden. | |
| Sammito sieht starke Parallelen zwischen dem Agieren der libyschen Milizen | |
| und der italienischen Mafia: „Infiltration des Staates, faktische Kontrolle | |
| über ein Territorium, Gewalt als Machtinstrument – das sind Ähnlichkeiten�… | |
| sagt Sammito. In Libyen sei kaum noch zwischen kriminellen Milizen und | |
| staatlichen Akteuren zu unterscheiden. Umso schlimmer sei, dass Italien und | |
| die EU solche Akteure weiter aufbauen. | |
| Libera setzt sich seit Jahren für das Gedenken an die Opfer von | |
| Mafia-Morden ein. „Ich glaube, dass es da Berührungspunkte mit den Kämpfen | |
| der Flüchtlinge gibt“, sagt Sammito. „Bei uns geht es darum, die anonymen | |
| Toten sichtbar zu machen“, sagt er. Die toten Flüchtlinge erscheinten in | |
| der öffentlichen Wahrnehmug meist nur als namenlose Zahlen. „Das ist eine | |
| Form der Entmenschlichung. Man muss ihnen ihre Würde zurückgeben. Dabei | |
| wollen wir mithelfen.“ | |
| Am Freitag will das Protestbündnis deshalb eine Liste mit den bekannten | |
| Daten von rund 60.000 Menschen, die seit 1993 im Mittelmeer zu Tode kamen | |
| in der Innenstadt von Rom entrollen. | |
| Im Anschluss will die Gruppe Refugees in Libya mit einem Tribunal an einen | |
| besonders schweren Völkerrechtsverstoß Italiens erinnern: Im vergangenen | |
| Januar war der libyschen General Osama Almasri Njeem bei einem Fusballspiel | |
| in Turin [9][festgenommen] worden. Unter Almasris Kommando standen mehrere | |
| Internierungslager in Libyen. Wegen schwerster Misshandlung der dort | |
| inhaftierten wird Almasri vom Internationalen Strafgerichtshof ICC in Den | |
| Haag gesucht. Der Vorwurf: Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Doch die | |
| Meloni-Regierung lieferten Almasri nicht aus, sondern ließ ihn von der | |
| italienischen Luftwaffe nach Tripolis zurück fliegen. | |
| „Niemand benennt die Verantwortlichen für dieses Unrecht“, sagt | |
| RiL-Sprecher David Yambio, der selbst in mindestens einem der Lager | |
| inhaftiert war, das Almasri befehligt hatte. „Also tun wir es.“ | |
| Am Samstag hatte die NGO „Ärzte für Menschenrechte“ (MEDU) mit Blick auf | |
| die Parlamentsdebatte Papst Leo in einen Bericht mit dem Titel „Die | |
| Folterfabrik“ übergeben. 3.000 Menschen, die zwischen 2014 und 2020 in den | |
| libyschen Intierungslagern schwerste Menschenrechtsverletzungen erlitten | |
| haben, wurden für den Bericht befragt. „Nichts hat sich seitdem geändert“, | |
| sagte MEDU-Koordinator Alberto Barbieri. Auch Amnesty International und | |
| Human Rights Watch hatten die Zusammenarbeit scharf kritisiert. | |
| 16 Oct 2025 | |
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| [1] /Waehrend-Rettungsaktion-der-NGO-Sea-Watch/!6116093 | |
| [2] /Seenotrettung-im-Mittelmeer/!6115216 | |
| [3] https://sea-watch.org/60-libysche-angriffe-auf-see-bundesregierung-plant-li… | |
| [4] https://mediterranearescue.org/en/news/dopo-gli-spari-libici-sbarcano-a-poz… | |
| [5] https://dserver.bundestag.de/btd/21/020/2102068.pdf | |
| [6] https://www.refugeesinlibya.org/post/action-days-in-rome-stop-mou | |
| [7] https://www.refugeesinlibya.org/ | |
| [8] https://www.libera.it/ | |
| [9] /Italien-liess-international-gesuchten-libyschen-Folterer-vorsaetzlich-lauf… | |
| ## AUTOREN | |
| Christian Jakob | |
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