| # taz.de -- Mit der Seawatch im Mittelmeer (3): „Ich glaube, wir sind bereit�… | |
| > Die Crew der Seawatch übt die Rettung von Flüchtlingen. Dann erreicht sie | |
| > ein Hilferuf aus Nähe von Lampedusa. Gefunden wird nur ein leeres Boot. | |
| Bild: Noch wird nur geübt: Die Sea-Watch 5 Crew auf dem Rettungsboot „Echo“ | |
| Um zwanzig nach sechs am Donnerstagmorgen kommt ein Mayday auf Kanal 16 | |
| rein. „Da ist ein Boot in Not, sie brauchen Hilfe!“, habe es auf der | |
| Notfrequenz des mobilen Seefunkdienstes geheißen, sagt Einsatzleiterin | |
| Eliora Henzler. Die Besatzung der Sea-Watch 5 hat sich um sie geschart, ein | |
| paar stehen, andere sitzen auf dem genoppten pvc-boden. Henzler schaut aus | |
| dem Fenster und zieht die Stirn in Falten. | |
| Über acht Stunden Fahrt sind es. Die Funker identifizieren sich nicht, | |
| vielleicht seien es Fischer gewesen, wird auf der Brücke spekuliert. Die | |
| Position liegt nahe [1][der Insel Lampedusa], damit sei die italienische | |
| Küstenwache zuständig. Trotzdem ändert das Seenotrettungsschiff seinen | |
| Kurs, um dem Notruf nachzugehen. | |
| [2][Seit Tagen pflügt die Sea-Watch 5 durchs Mittelmeer]. Tag und Nacht | |
| laufen die Maschinen, die das Schiff mit einer Geschwindigkeit von 8 | |
| Knoten, etwa 15 km/h, in Richtung der libyschen Search and Resuce Region | |
| (SRR) bewegen. An einigen Orten an Deck ist es so laut, dass man sich nicht | |
| unterhalten kann. Inzwischen ist auch der Ausguck besetzt. Je eine Person | |
| steht vorn, eine achtern, backbord, steuerbord auf dem Brückennock und | |
| sucht mit dem Fernglas nach Booten, alle 15 Minuten wird gewechselt. | |
| ## Kleine weiße Pflaster hinterm Ohr | |
| Unter Deck fühlt es sich an, wie auf einem Karussell auf dem Rummel – eher | |
| ein Kinderkarussell allerdings, die Wellen sind nur etwa einen Meter hoch. | |
| Trotzdem tragen einige Besatzungsmitglieder bereits kleine weiße Pflaster | |
| hinter ihren Ohren. Die Präparate der Firma Baxter enthalten den Wirkstoff | |
| Scopolamin, der hilft, wenn man seekrank wird. Auf einer Atlantiküberfahrt | |
| habe sie einmal fünf Meter hohe Wellen erlebt, erzählt Matrosin Eva Keuter: | |
| Nach jedem Wellenberg eine Achterbahnfahrt in die Tiefe. | |
| Am Mittwoch fahre ich zum zweiten Mal mit auf Rettungsbootübung. Die beiden | |
| RIBs (Rigid Inflatable Boats) namens „Echo“ und „Alpha“, kleine | |
| Schlauchboote mit einem festen Rumpf, fahren mit etwa 30 Knoten deutlich | |
| schneller als das Mutterschiff. Das kann sehr vorteilhaft sein, wenn die | |
| Zeit knapp ist. | |
| Einige Crewmitglieder und auch ich werden auf einem bananengelben Bötchen | |
| ausgesetzt, damit die RIB-Teams den Ernstfall proben können. Mohamed | |
| Sharaf, der kulturelle Mediator der Seawatch 5, steht vorn am Bug von | |
| „Alpha“, dem kleineren der beiden Boote und übergibt Rettungswesten, | |
| während er die vermeintlichen Schiffbrüchigen auf Arabisch, Englisch oder | |
| Französisch beruhigt. | |
| „Ich kann kaum glauben, wieviel Arbeit in dieses Training gesteckt wird“, | |
| erzählt mir Mohamed Sharaf, als er in Rettungsweste und Helm aus dem Boot | |
| steigt. Er habe das Gefühl, sein Verständnis von Rettungsmissionen habe | |
| sich in den letzten Tagen stark verbessert. „Ich glaube wir sind bereit“, | |
| sagt er mit festem Blick. | |
| Die RIB-Teams werden an diesem Tag nochmal rausfahren, weiter trainieren, | |
| im Ernstfall noch besser vorbereitet sein. Als der Kran „Alpha“ wieder an | |
| einem Drahtseil aus den Wellen hievt, leuchtet das orangene Boot bereits in | |
| der tiefstehenden Sonne. | |
| ## Ein leeres Boot | |
| Um halb 11 Uhr mittags am Donnerstag meldet Seabird, die | |
| Luftaufklärungsmission von Sea-Watch, dass ihre Flugzeuge den Bereich | |
| gesichert haben, auf den sich der Notruf vom morgen bezog. Ein leeres Boot | |
| sei entdeckt worden, kein Anzeichen von Menschen im Wasser. Ob das darauf | |
| hindeutet, dass hier bereits gerettet wurde, oder der anonyme Notrufer sich | |
| vertan hat, kann bis dahin niemand sagen. | |
| Die Sea-Watch 5 nimmt wieder Kurs Richtung Süden. „Es könnte gut sein, dass | |
| wir ein paar Tage hin und her fahren, oder auch, dass wir morgen eine | |
| Rettung haben“, hatte Henzler bereits am Tag zuvor gesagt. | |
| 25 Sep 2025 | |
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| ## AUTOREN | |
| Fabian Schroer | |
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