Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Christlicher Nationalismus: Die Lieblingswaffe der Rechtspopulisten
> Während Demokratien bröckeln, wird das Christentum von Rechten entdeckt.
> In den USA, Ungarn oder BRD: Der Glaube dient einer Politik der
> Ausgrenzung.
Bild: Feiern Charlie Kirk als christlichen Märtyrer: Besucher*innen der Trauer…
Viktor Orbán spricht gern vom „christlichen Europa“ – und meint damit
[1][ein Ungarn], das Migranten draußen hält und die liberale Demokratie
gleich mit. Symbolkräftig ließ er die Krone von Stephanus dem Heiligen, der
als erster König von Ungarn die heidnischen Magyaren christianisierte, aus
dem Nationalmuseum ins Parlament überführen. [2][Giorgia Meloni beschwört]
in Rom „Gott, Familie und Vaterland“ – eine Dreifaltigkeit gegen
Feminismus, Gleichberechtigung und Vielfalt.
In Frankreich berufen sich Marine Le Pen und Éric Zemmour auf das
„[3][jüdisch-christliche Erbe]“ – eine Formel, die nichts anderes bedeut…
als: Muslime gehören nicht zu Frankreich. Und in den Niederlanden? Da mimt
Geert Wilders den Hüter christlicher Werte, obwohl sein Lebensstil mit
christlicher Moral wenig zu tun hat.
Deutschland steht dieser Entwicklung in nichts nach. Im AfD-Wahlprogramm
ist das Christentum nicht etwa Religion, sondern der Zement der „deutschen
Identität“ und mit „unserer“ Kultur „eng verbunden“. Somit ist die
muslimische Zuwanderung die größte Gefahr für die
„christlich-abendländische Kultur in Deutschland“, wobei auch vor einer
„Islamisierung“ Deutschlands gewarnt wird. Die christliche Religion wird
zur Grenzmarkierung aufgerüstet.
In den USA hat sich diese Allianz von Politik und Christentum längst
etabliert. Evangelikale Pastoren segnen Präsidentschaftskandidaten,
Wahlkämpfe verlaufen wie Erweckungsgottesdienste. Donald Trump verkauft
Bibeln wie andere Politiker Basecaps und inszeniert sich [4][als
„nichtkonfessioneller“ Messias], während J. D. Vance seine Konversion zum
[5][Katholiken erfolgreich vermarktet] und sich so den Rückhalt der
erzkonservativen Republikaner sichern will.
Eindrucksvoll wurde die enge Verbindung bei der [6][Trauerfeier für den
ermordeten Charlie Kirk] in Arizona beschworen. Die höchsten Ebenen der
US-Regierung und der evangelikalen Kirche verschmolzen bei dem Gottesdienst
zu einer sakralen Einheit, um Kirk als modernen christlichen Märtyrer zu
feiern.
## Scharfe Waffe im Kulturkampf
Die Botschaft der Rechtspopulisten ist überall dieselbe: „Wir“ sind die
Hüter der Tradition, „die anderen“ – Muslime, Liberale, Feministinnen,
Homosexuelle – bedrohen die göttliche Ordnung. Religion wird zur scharfen
Waffe in einem Kulturkampf, der Gesellschaften spaltet und Demokratien
zermürbt.
Das Christentum wird nicht als Glaubenspraxis verstanden, sondern als
Abgrenzungsmarker. Es geht nicht um Nächstenliebe, sondern um Grenzziehung
und Ausgrenzung. Wer dazugehört, darf sich sicher fühlen, wer draußen
steht, wird zur Gefahr erklärt. Statt integrativer Kraft wird Religion zum
Ausweis nationaler Identität – sie ist Machtwerkzeug und Passierschein
zugleich.
Diese Strategie hat einen Vorteil: Sie immunisiert gegen Kritik. Wer Orbán
widerspricht, widerspricht Gott. Wer Melonis Familienpolitik kritisiert,
stellt sich gegen die „Schöpfungsordnung“. Politik wird so von der
sachlichen Ebene mit notwendiger Diskussion und Auseinandersetzung
entbunden und mit moralischer Absolutheit gepanzert.
Marine Le Pen ließ ihre Anhänger bei einem Besuch der Kathedrale von Reims
wissen: „Frankreich muss sich an die Versprechen seiner Taufe erinnern. Es
gibt Menschen, die glauben an den Himmel, und solche, die daran nicht
glauben. Aber ich glaube!“ Und die AfD träumt offen von einer
„Rückabwicklung“ liberaler Errungenschaften – im Namen des „christlich…
Abendlands“.
Tragisch ist das auch, weil die Sprache des Christentums einmal eine andere
war. Nächstenliebe, Barmherzigkeit, Solidarität – all das, was einst den
Schwachen Hoffnung versprach, wird heute zur Maske einer harten Agenda.
## Nicht nur politische Rhetorik
Doch es geht nicht nur um politische Rhetorik, Minderheiten verlieren ihre
Rechte. Frauen, die selbstbestimmt über ihren Körper entscheiden wollen,
Homosexuelle, die heiraten möchten, Migranten, die Teil der Gesellschaft
sein wollen – sie alle werden zu Zielscheiben. Seit Jahren schränkt Orbán
unter dem Vorwand des Kinderschutzes die Rechte von LGBTQ+-Menschen ein und
verbietet Aufklärungsbücher in Schulen und Bibliotheken.
Meloni will „die Familie stärken“, indem sie alle Lebensformen jenseits der
traditionellen Kleinfamilie abwertet. Und die AfD möchte die christliche
Identität retten, indem sie Migranten dämonisiert und Flüchtlinge
entrechtet. Christus soll gepredigt haben, Fremde aufzunehmen – doch die
neuen Kreuzritter sehen in jedem Fremden einen Feind. Hier zeigt sich die
eigentliche Perversion: Die Religion, die einst den Unterdrückten Stimme
gab, wird zur Ideologie der Herrschaft und Abgrenzung umfunktioniert.
Diese Einstellung könnte auf den ersten Blick fast lächerlich wirken, wenn
sie nicht so gefährlich wäre. Die sakrale Rüstung, mit der Rechtspopulisten
ihre Politik verkleiden, ist effektiv. Sie macht aus knallharter
Machtpolitik eine quasi-heilige Mission. Wer sich dagegen stellt, gilt
nicht mehr als politischer Gegner, sondern als Feind Gottes. So wird
Demokratie zur Nebensache, Diskussion zur Blasphemie, Opposition zum
Frevel.
Die Kirchen selbst verheddern sich in Widersprüchen: Einerseits wollen sie
sich als Bollwerk gegen den Rechtspopulismus verstehen, andererseits
profitieren sie seit Jahrhunderten von derselben Logik der kulturellen
Deutungshoheit. Wenn die Bischöfe heute erschrocken den Schulterschluss von
Kreuz und Nationalismus beklagen, dann übersehen sie, wie tief beide schon
immer ineinandergegriffen haben.
Gerade hierzulande müsste man genauer hinsehen: Ist das Gerede vom
„christlichen Abendland“ der Versuch eines letzten Abwehrzaubers gegen die
Moderne – oder nicht vielmehr der Beweis, dass Religion, wenn sie politisch
instrumentalisiert wird, stets dazu neigt, Freiheit und Vielfalt zu
ersticken und zur Waffe im Arsenal der Populisten verkommt.
Leider lassen sich die Kirchen in Deutschland und anderen Ländern von den
Rechtspopulisten vereinnahmen, statt lautstark ihre Stimme zu erheben und
sich von nationalistischem Irrsinn abzugrenzen.
2 Oct 2025
## LINKS
[1] /Ungarn-und-die-Zivilgesellschaft/!6101688
[2] /Meloni-als-starke-Frau-Europas/!6072518
[3] /Christi-Himmelfahrt-und-der-Messianismus/!6006987
[4] https://hpd.de/artikel/trump-und-nicht-konfessionellen-christen-22966)
[5] https://hpd.de/artikel/jd-vance-atheisten-zum-katholiken-strategischer-scha…
[6] /Trauerfeier-fuer-Charlie-Kirk/!6114719
## AUTOREN
Ralf Nestmeyer
## TAGS
Religion
rechtsnational
Glaube
Ausgrenzung
Viktor Orbán
Giorgia Meloni
Éric Zemmour
Marine Le Pen
Christentum
GNS
Schwerpunkt USA unter Trump
Kita
USA
## ARTIKEL ZUM THEMA
Trennung von Staat und Kirche: Religion gehört nicht in die Kita
In Neumünster eröffnet die erste muslimische Kita Schleswig-Holsteins. Das
ist eine verständliche Entscheidung, aber es bleibt ein fahler
Beigeschmack.
Religiöse Rechte in den USA: Herrschaft der Minderheit
Die politisch-religiöse Rechte in den USA hat gesiegt. Nach dem
Abtreibungsrecht widmet sie sich dem Abbau weiterer Bürgerrechte.
glaubensfragen: Kampf um die rechte "Religionskunde"
Dem unter SchülerInnen ungeliebten Fach "Biblische Geschichte" geht es an
den Kragen: Während die CDU will, dass an Schulen auch "Islamkunde"
angeboten wird, fordern die Grünen ein Fach "Religionskunde" für alle
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.