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# taz.de -- Cozy Games und Kapitalismus: Indoktrination per Palme
> Cozy Games kommen oft antikapitalistisch daher. Dabei indoktrinieren sie
> uns neoliberal. Das Indie-Spiel „Tiny Bookshop“ ist dafür ein gutes
> Beispiel.
Bild: So gemütlich, so neoliberal: „Tiny Bookshop“
Anne hat mir eine Palmenpflanze geschenkt. Der Topf steht nun vor meinem
mobilen Bücherladen. Heute verkaufe ich auf dem Flohmarkt der Kleinstadt
St. Bookston. Die Sonne scheint, im Hintergrund hört man den Wind durch die
Bäume rauschen, mein Anhänger ruckelt sanft, wenn Menschen ein- und
ausgehen, um nach Büchern zu stöbern. Die Palme schaukelt friedlich ihre
Blätter im Wind.
Anfang August ist „[1][Tiny Bookshop]“ erschienen und sammelt seither
äußerst positive Rezensionen. Darin fährt man mit dem Buchladen durch die
Stadt, unterhält sich mit den Bewohner:innen, gibt [2][Buchempfehlungen] ab
und dekoriert geschickt den Wagen.
[3][Die Palme] zum Beispiel sieht nicht einfach nur hübsch auch. Sie bringt
mir auch einen finanziellen Vorteil. Sie sorgt nämlich dafür, dass meine
Chance, einen Klassiker zu verkaufen, um zwei Prozent steigt. Je länger ich
meine Palme anstarre und nachdenke, desto sicherer werde ich mir: Die Palme
indoktriniert mich mit neoliberaler Ideologie.
Es ist kein Zufall, dass Pflanzen so oft ein zentraler Bestandteil
sogenannter „cozy Games“ sind. Diese Spiele zeichnen sich oft durch eine
softe Ästhetik und ein zeitdruckfeies Spielprinzip aus. Gemein ist ihnen,
dass sie ihren Spieler:innen ein Gefühl von Sicherheit und Komfort
vermitteln. Häufig geht es darum, sich um Pflanzen und Tiere zu kümmern.
[4][Letzteres ist laut einem wissenschaftlichen Artikel aus dem Jahr 2024
eine kapitalistische Machtfantasie]. Die Natur dient im Kapitalismus dazu,
gebändigt, kontrolliert und ausgebeutet zu werden. Genau das tun wir in
Farming-Simulatoren. Oder wenn wir Pflanzen in Töpfe setzen, vor unseren
Buchladen stellen und damit unseren Umsatz steigern.
Cozy Games sind eine Form von Eskapismus. [5][In meiner
allerersten„zockerzecke“-Kolumne habe ich geschrieben, wie toll ich cozy
Games finde], denn oft konstruieren sie virtuelle Welten, in denen Dinge
möglich sind, die es anderswo aufgrund kapitalistischer, patriarchaler oder
kolonialistischer Realitäten nicht sind – seien es Gleichberechtigung oder
bezahlbarer Wohnraum. In Cozy Games sind diese basalen Bedürfnisse in der
Regel gedeckt. Man darf stattdessen in einer perfekten virtuellen Welt
seine Zeit dafür nutzen, sich selbst zu verwirklichen.
Dass diese kleinen Utopien wichtig sind, dabei bleibe ich. Denn mit ihnen
können wir nicht nur gedanklich aus der belastenden Weltlage flüchten,
sondern auch alternative Systeme erlebbar machen. Der Tiny Bookshop erhält
neue Waren zum Beispiel ausschließlich über Kleinanzeigen, es sind also
Secondhand-Bücher. Geile Idee!
Und doch fußt das ganze Spielprinzip darauf, möglichst viele Bücher zu
verkaufen und größtmöglichen Gewinn zu erzielen, um dieses wieder in neue
Ausstattung zu investieren, und so immer weiterzuwachsen. Dass alles süß
und soft aussieht, ändert nicht daran, dass die kapitalistische Grundidee
dahinter in der wirklichen Welt immer zu ausbeuterischen Verhältnissen
führen wird. Dessen sollten wir uns bewusst sein, wenn wir uns mal wieder
in unsere kleinen Utopien flüchten.
Transparenzhinweis: In einer früheren Version dieses Textes war
fälschlicherweise von „Tiny Bookstore“ die Rede. Das Spiel heißt jedoch
„Tiny Bookshop“. Wir haben den Fehler korrigiert.
7 Sep 2025
## LINKS
[1] https://neoludic.games/de/projekte/tiny-bookshop
[2] /taz-FUTURZWEI-Buchliste-Winter-2024/25/!vn6055709/
[3] /Posse-um-Palmen-beim-BND-in-Berlin/!5476055
[4] https://czasopisma.uni.lodz.pl/Replay/article/view/23168
[5] /Videospiel-Genre-cozy-Games/!6032409
## AUTOREN
Alexandra Hilpert
## TAGS
Kolumne Zockerzecke
Games
Neoliberalismus
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