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# taz.de -- „Marsch für das Leben“ in Berlin: Der gegenseitige Wunsch nach…
> In Berlin, Köln und Zürich demonstrierten fundamentale Christ:innen und
> Rechte gegen Schwangerschaftsabbrüche – in Berlin so wenige wie zuletzt
> 2004.
Bild: „Lebensschützer“ in Köln 2025
Berlin taz | Die Gegendemonstrant:innen sind zuerst da. Hunderte
Queerfeminist:innen stehen am späten Samstagvormittag auf dem
Europaplatz im Schatten des Berliner Hauptbahnhofs. Sie halten blaue und
violette Transparente in die Höhe, einige sitzen an Biertischen unter
Pavillons und basteln Schilder. „Abort the Patriarchy“ und „My Body, My
Fucking Choice“ steht darauf.
[1][Wie seit mittlerweile 15 Jahren mobilisierte auch in diesem Jahr das
Bündnis „What the Fuck“] zusammen mit der Initiative „Make Feminism a
Threat“ gegen den „Marsch für das Leben“. Auf einer weiteren Kundgebung …
Bündnisses für sexuelle Selbstbestimmung wurde ebenfalls für das Recht auf
körperliche und reproduktive Selbstbestimmung und für sicheren Zugang zu
Gesundheitsversorgung demonstriert. Laut Organisator:innen stellten
sich insgesamt rund 2.000 Menschen auf Gegendemonstrationen und bei
Blockadeaktionen den Abtreibungsgegner:innen aus dem
christlich-fundamentalistischen und rechten Milieu entgegen.
„Ich bin aus Sorge um den grassierenden Antifeminismus und die zunehmende
Einschränkung von Abtreibungsrechten weltweit gekommen“, sagt eine
Demoteilnehmerin der taz. Bevor sie weitererzählen kann, endet das Gespräch
abrupt, die Aufmerksamkeit der Menge richtet sich auf einen Mann: Der
rechtsextreme Streamer, Ex-NPD-Mitglied Stephan Böhlke hat sich unter die
Leute gemischt und filmt sie. Als eine Demonstrantin ihn mit Wasser
bespritzt, wird er handgreiflich, die Polizei muss einschreiten.
## Der Marsch beginnt
Auf der anderen Seite des Hauptbahnhofs, auf dem Washingtonplatz,
[2][beginnt um 13 Uhr schließlich in sengender Sonne der „Marsch für das
Leben“]; zeitgleich finden in diesem Jahr erstmals auch Kundgebungen in
Köln und Zürich statt. Organisiert vom Bundesverband Lebensrecht (BVL)
bringt die Lebensschutz-Szene dabei jährlich antifeministische
Akteur:innen aus dem christlich-fundamentalistischen,
rechtskonservativen und dem rechtsklerikalen Milieu sowie der extremen
Rechten zusammen.
Rund 2.000 Menschen aus ganz Deutschland haben sich laut Polizeiangaben bei
dem Marsch in Berlin versammelt, um gegen Schwangerschaftsabbrüche und
Sterbehilfe zu demonstrieren – deutlich weniger als in den Jahren zuvor.
Neben einigen Familien mit Kindern sind vor allem eine große Zahl an
Männern anwesend, unter ihnen auch katholische Priester. Grüne Ballons
schweben über dem Platz vor dem Hauptbahnhof, weiße Kreuze wurden rechts
neben der Bühne errichtet, „im Gedenken an durch Abtreibung Getöteten“.
Rings um die Versammelten haben Organisationen aus dem Lebensrecht-Milieu
Stände aufgebaut, darunter die Aktion Lebensrecht für Alle (Alfa), die
Christdemokraten für Leben und die Stiftung für das Leben.
Auch die AfD-Politikerin Beatrix von Storch und ihr Ehemann Sven von Storch
sind zugegen, ebenso wie der AfD-Politiker Vadim Derksen und die CDU-nahe
Lebensrechtlerin Mechthild Löhr. Außerdem sind der katholische Erzbischof
von Regensburg, Rudolf Voderholzer, und Weihbischof Matthias Heinrich aus
Berlin gekommen. Dazu, dass sie zusammen auf einer Veranstaltung mit
prominenten AfD-Politiker:innen stehen, wollen sich die katholischen
Kleriker jedoch gegenüber der taz nicht äußern. Nicht öffentlich in
Erscheinung trat hingegen die zuvor erwartete französische Aktivistin
Marie-Lys Pellissier, die in Frankreich „Marche pour la vie“ organisiert.
Stattdessen feiert BVL-Vorständin Alexandra Linder in ihren Redebeiträgen
den Erfolg der Lebensschutz-Bewegung im Kampf gegen eine Liberalisierung
des Abtreibungsrechts. „Wir freuen uns sehr, dass die Politik jetzt
aufmerksamer ist als früher“, sagt Linder. [3][Sie erwähnt die gescheiterte
Wahl von Frauke Brosius-Gersdorf zur Bundesverfassungsrichterin im Juli]
sowie die verhinderte Abstimmung im Bundestag zu Paragraf 218. Der jetzigen
schwarz-roten Bundesregierung wirft sie vor, im Koalitionsvertrag ein
„Narrativ eines angeblichen Versorgungsmangels“ bei
Schwangerschaftsabbrüchen zu verbreiten. Die großangelegte und
repräsentative Studie zu den „Erfahrungen und Lebenslagen ungewollt
Schwangerer“ (ELSA) zog Linder dabei ebenfalls in Zweifel.
Bei einer Schweigeminute für alle „durch Abtreibung ums Leben gekommene
Kinder“ rief die BVL-Vorständin schließlich dazu auf, auch dem extrem
rechten [4][US-amerikanischen Politaktivisten Charlie Kirk] zu gedenken,
der „in der Wahrnehmung seiner Meinungsfreiheit unter anderem im Bereich
des Lebensrecht nicht nur angeklagt, festgenommen oder diffamiert, sondern
sogar ermordet worden“ sei. Der rechtspopulistische politische Aktivist und
Trump-Vertraute war am 10. September während einer Veranstaltung bei einem
Attentat auf ihn getötet worden.
## Tiefschläge für Selbstbestimmung
Auf der anderen Seite der Spree, vor dem Paul-Löbe-Haus, ist zur gleichen
Zeit die Kundgebung des Bündnisses für sexuelle Selbstbestimmung in vollem
Gange. Deren Teilnehmer:innen tragen grüne Halskrausen, das Symbol der
feministischen Streikbewegung in Argentinien, und Rote Regenschirme, das
Zeichen für den Widerstand gegen Diskriminierung und Kriminalisierung von
Sexarbeiter:innen. An der Aktion beteiligt sind Frauenzentren und
Beratungstellen wie Pro Familia, die Omas gegen rechts, Ärzte der Welt,
sowie Mitglieder der Linke-, SPD-, und Grünen-Fraktion.
„Seit dem letzten Jahr hat sich vieles verändert“, sagte die
frauenpolitische Sprecherin der Grünen-Fraktion im Bundestag, Ulle Schauws,
vor dem Paul-Löbe-Haus. [5][Die durch CDU und FDP verhinderte Abstimmung
zur Entkriminalisierung des Schwangerschaftsabbruchs und Abschaffung von
Paragraf 218] sei ein „grandioser Tiefschlag“ gewesen. Der Paragraf regelt,
dass Schwangerschaftsabbrüche grundsätzlich illegal und nur in
Ausnahmefällen straffrei sind. „Was uns aber gelungen ist, ist, dass wir
mit vereinten Kräften die Stimmung in diesem Land gekippt haben“, so
Schauws. Eine repräsentative Bevölkerungsumfrage im Auftrag des
Bundesfrauenministeriums (BMFSFJ) im April ergab, dass 80 Prozent der
deutschen Bevölkerung die Rechtswidrigkeit von Schwangerschaftsabbrüchen
für falsch halten.
Stephanie Schlitt, stellvertretende Vorsitzende des Bundesverband Pro
Familia, würdigte in diesem Zuge auch Frauke Brosius-Gersdorf, die „im Auge
des Sturms dem ganzen Land erklärt hat, warum das Gesetz zum
Schwangerschaftsabbruch geändert werden muss und auch geändert werden
kann“. Deren Diffamierung, so eine Sprecherin des Bündnisses „What the
Fuck“, habe der „Lebensschutzbewegung“ Aufwind gegeben.
[6][Eine großangelegte und konzertierte Kampagne gegen die
Verfassungsrechtlerin] hatte dazu geführt, dass der SPD-Kandidatin trotz
vorheriger Wahl im Richterwahlausschuss im Plenum die nötige Mehrheit
fehlte. Maßgeblich an der Kampagne gegen Brosius-Gersdorf war CitizenGO
beteiligt gewesen. Die konservative Pro-Life-Organisation mit Sitz in
Spanien, wird vom Kreml sowie konservativen Organisationen aus den USA
finanziert. Ein Bericht des Europäischen Parlamentarischen Forums für
sexuelle und reproduktive Rechte, zeigte kürzlich, dass viele
[7][Antiabtreibungsnetzwerke in Europa tiefe Wurzeln in den USA haben]. Die
christliche Rechte in den USA gab demnach seit 2019 jährlich rund 22
Millionen Dollar für europäische Organisationen aus, die gezielt
Frauenrechte untergraben.
## Internationale Vernetzung
„Die,Lebensschutzbewegung’ hat ihre Vernetzungen in den letzten Jahren
verstärkt – sowohl international, als auch in Deutschland“, sagt die
Sprecherin von „What The Fuck“. „Hierzulande haben sie eine starke Lobby
mit Einfluss auf Bildung und Gesetzgebung.“ Es gehe ihnen also nicht mehr
nur um ein vollumfängliches Abtreibungsverbot, sondern auch darum, mit
Falschinformationen im Internet Hetze gegen trans* Menschen, queere
Bildungsarbeit und die Ehe für alle zu betreiben.
Fast zeitgleich setzen sich schließlich die Demos für und gegen ein
Abtreibungsverbot auf ihren unterschiedlichen Demonstrationsrouten in
Bewegung. Die Demonstrant*innen für ein liberaleres Abtreibungsrecht
tragen einen Uterus im Knast aus Pappmaché, andere Plakate mit der
Aufschrift: „Flinta* sind keine Brutkästen“ oder „Weg mit §218“. In B…
auf CSU-Chef Markus Söder, der in der vergangenen Woche Deutschland ohne
Auto, Chemie und Maschinenbau mit einer „Frau ohne Unterleib“ verglichen
hatte, steht auf einem Plakat auch: „Unterleib ist keine Metapher, Herr
Söder, sondern Selbstbestimmung“.
Die Abtreibungsgegner:innen wiederum halten während des „Marsch für
das Leben“ rund um den Berliner Hauptbahnhof vorgefertigte Schildern in die
Höhe, auf denen heißt es: „Abtreibung ist Unrecht“, „No Children – no
Future“, „Menschenwürde kennt kein Alter“ und „Inklusion beginnt vor d…
Geburt“. Beim Einbiegen in die Luisenstraße geht es für sie dann kurz nicht
weiter: Gegendemonstrant:innen verhindern mit einer Sitzblockade auf
der Demoroute das Weiterkommen; die Fundamentalist:innen müssen im
Spalier passieren, bis kurze Zeit später die Blockade von der Polizei
geräumt wird.
Bis zum Ende des Marsches und der Kundgebung kommt es immer wieder zu
kleineren Störaktionen von Seiten der Gegendemonstrant:innen. In Gruppe
stehen Pro-Choice-Aktivist:innen am Straßenrand entlang der Route und rufen
oder singen „My Body, My Choice“, „Eure Kinder werden so wie wir, eure
Kinder werden alle Queer“ und „Hätte Maria abgetrieben, wärt ihr uns
erspart geblieben“.
Zumindest einen Teilnehmer beim „Marsch für das Leben“ konnten sie auf
diese Weise augenscheinlich überzeugen: Dieser änderte plötzlich seine
Meinung zur Abtreibung und rief in die Richtung der Feminist:innen: „Na
hätten sie euch mal lieber abgetrieben!“
21 Sep 2025
## LINKS
[1] /Marsch-fuer-das-Leben/!6113769
[2] /Marsch-fuer-das-Leben-/!6113745
[3] /Rechte-Hetze-gegen-Brosius-Gersdorf/!6097369
[4] /Nach-der-Ermordung-Charlie-Kirks/!6110419
[5] /Die-FDP-und-der-Paragraf-218/!6052197
[6] /Rechte-Hetze-gegen-Brosius-Gersdorf/!6097369
[7] /Allianzen-gegen-Selbstbestimmung/!6109978
## AUTOREN
Amelie Sittenauer
Lilly Schröder
## TAGS
sexuelle Selbstbestimmung
Reproduktive Rechte
Paragraf 218
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