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# taz.de -- Allianzen gegen Selbstbestimmung: Das Recht auf Abtreibung wird glo…
> Deutsche Abtreibungsgegner*innen werden von US-amerikanischen
> Pro-Life-Organisationen unterstützt – nicht nur strategisch, sondern auch
> finanziell.
Bild: Rechte Bewegungen gegen Rechte von Frauen: „Marsch für das Leben“ im…
Berlin taz | Donald Trump erhielt im Februar einen Brief, der von
Dutzenden amerikanischen Pro-Life-Organisationen unterzeichnet war. Unter
dem Titel „Pro-Life-Führer danken der Trump-Regierung für Maßnahmen zum
Schutz von Babys“ enthält er Sätze wie diesen: „Derselbe gesunde
Menschenverstand, der die Geschlechterverwirrung ablehnt, die leugnet, dass
ein Mann ein Mann oder eine Frau eine Frau ist, sollte ebenso die
Abtreibungsverwirrung ablehnen, die leugnet, dass ein Baby ein Baby ist.“
Zwischen den vielen Unterzeichnern von Gruppen aus den USA sticht ein Name
hervor: Aktion Lebensrecht für Alle e. V., die laut eigenen Angaben
„größte Pro-Life-Organisation“ Deutschlands. Ihre Unterschrift symbolisie…
die gegenseitige Abhängigkeit solcher Organisationen innerhalb globaler
Antiabtreibungsnetzwerke, die tiefe Wurzeln in den USA haben.
„Abtreibungsgegner*innen in Deutschland beobachten genau, welche Taktiken
in den USA erfolgreich waren, und ziehen daraus Inspiration“, sagt Elodie
Fischer von der Berliner Ortsgruppe des [1][Frauenkollektivs], einer
sozialistischen Frauengruppe. Aber welche Strategien haben
Antiabtreibungsaktivisten aus den USA übernommen? Wie äußert sich
internationale Vernetzung konkret? Fließt auch Geld aus den USA nach
Deutschland?
Eines der jüngsten Beispiele für internationale Vernetzung betrifft die
designierte Verfassungsrichterin [2][Frauke Brosius-Gersdorf]. Sie zog
ihre Kandidatur nach einer Verleumdungskampagne zurück. Eine der
wichtigsten Gruppen in der Kampagne gegen sie war CitizenGO. Die
multinationale konservative Organisation mit Sitz in Spanien hatte die
Petition „Keine radikale Anti-Lebens-Aktivistin im
Bundesverfassungsgericht: Stimmen Sie gegen Frauke Brosius-Gersdorf!“ ins
Leben gerufen. Sie stellte den mehr als 148.000 Unterzeichnern die
Formulierungen zur Verfügung, mit denen sie sich direkt an Mitglieder der
CDU und CSU wenden konnten. „Sieg!“, verkündete die Organisation [3][am 7.
August, als Brosius-Gersdorf zurückzog.]
## Kampf gegen Brosius-Gersdorf Teil von größerer Strategie
Ähnliche Erklärungen von CitizenGO über siegreiche Kampagnen in den USA
folgten. Etwa nachdem Trump die Bundesfinanzierung für ausländische
Gruppen, die den Zugang zu Abtreibungen unterstützen, beendet und Gefangene
begnadigt hatte, die wegen Blockaden von Abtreibungskliniken und
Belästigung von Patientinnen verurteilt worden waren.
„Bei der Kampagne der Rechtsextremen gegen Brosius-Gersdorf ging es nicht
nur um Abtreibung“, sagt Imme Scholz, Co-Präsidentin der
Heinrich-Böll-Stiftung. „Die Ablehnung einer Kandidatin, die weitgehend
moderat ist, sich aber klar gegen die AfD positioniert, ist Teil einer
größeren rechtsextremen Strategie: Das Verfassungsgericht soll politisiert
und damit in seiner Fähigkeit, Gesetze auszulegen, delegitimiert werden.“
Die Richter, die Trump während seiner ersten Amtszeit ernannt hatte, trugen
mit ihren Stimmen dazu bei, dass der Oberste Gerichtshof das Urteil in der
[4][Rechtssache Roe v. Wade] von 1973 aufgehoben und damit das
verfassungsmäßige Recht der US-Bürger auf Abtreibung im Jahr 2022 beendet
hat. [5][Das Strategiepapier „Project 2025“,] das von Persönlichkeiten mit
engen Verbindungen zur aktuellen Regierung formuliert wurde, fordert unter
anderem, den Versand von Medikamenten zur Abtreibung zu verbieten. Das soll
mittels eines weitgehend veralteten Gesetzes aus dem Jahr 1873 namens
Comstock Act durchgesetzt werden.
Das wäre auch in Deutschland möglich. „Der Zugang zu
Abtreibungsmedikamenten in Deutschland könnte in ähnlicher Weise weiter
eingeschränkt werden, wenn die bestehenden Gesetze strenger ausgelegt
werden“, sagt Annika Kreitlow, Assistenzärztin für Gynäkologie und
Geburtshilfe in Berlin. Derzeit muss sie, um ihren Patientinnen Mifepriston
und Misoprostol gemäß deutschem Recht zu verschreiben, diese
Abtreibungsmedikamente aus anderen europäischen Ländern oder direkt beim
Hersteller bestellen, anstatt sie in „normalen Apotheken“ zu beziehen. Die
Lieferung kann bis zu sechs Wochen dauern.
## Zugang zu Abtreibungsmedikamenten bereits erschwert
„Die Situation, die wir derzeit mit Abtreibungsmedikamenten haben, ist sehr
kompliziert“, sagt Kreitlow. „2019 wurde beispielsweise der Import des
international häufig verwendeten Medikaments Cytotec (Misoprostol) in
Deutschland durch politischen Druck des damaligen CDU-geführten
Gesundheitsministeriums eingeschränkt, sodass es nun nur noch schwer zu
bekommen ist. Ähnliche Einschränkungen sind auch in der Zukunft denkbar.“
Elodie Fischer vom Frauenkollektiv verweist zudem auf das im Dezember vom
bayerischen Landtag beschlossene Verbot von Telemedizinberatungen über
Schwangerschaftsabbrüche. „Wenn man das nationale Recht nicht ändern kann,
wendet man sich an die Bundesländer“, sagt Fischer. „Diese Strategie ähne…
der in den USA.“
Beziehungen zwischen Organisationen in Deutschland und den USA bestehen
auch in finanzieller Hinsicht, wie ein aktueller [6][Bericht des
Europäischen Parlamentarischen Forums für sexuelle und reproduktive Rechte]
zeigt: Konservative Organisationen in den USA stellen große finanzielle
Mittel für Antiabtreibungsbewegungen in Europa bereit. Seit 2019 gab die
christliche Rechte in den USA jährlich rund 22 Millionen Dollar für
europäische Organisationen aus, die die Gleichstellung der Geschlechter
untergraben.
Der Bericht identifiziert Prinzessin Gloria von Thurn und Taxis als eine
Schlüsselfigur der Bewegung gegen Rechte von Frauen und LGBTQI in
Deutschland. Er hebt hervor, dass die milliardenschwere Fürstin auch „enge
Beziehungen zu einer Reihe von rechtsextremen Akteuren in den USA
unterhält“, darunter Samuel Alito, Richter am Obersten Gerichtshof der
USA, Steve Bannon und die Alliance Defending Freedom (ADF).
Die ADF hat Millionen US-Dollar in den Kampf gegen das Recht auf Abtreibung
in den USA und der EU gesteckt. Die letzte verfügbare Steuererklärung von
ADF International wies jährliche Ausgaben in Höhe von mehr als 5 Millionen
US-Dollar in Europa aus. Als eine deutsche Pro-Life-Gruppe 2019 daran
gehindert wurde, vor einem Pro-Familia-Zentrum in Pforzheim zu
protestieren, reichte eine Gruppe namens 40 Days for Life mit rechtlicher
Unterstützung von ADF Klage ein. Die Gruppe gewann den Prozess im Jahr
2022. Deutschland verabschiedete allerdings später [7][ein Gesetz, das
Belästigungen im Umkreis von 100 Metern um Beratungsstellen und
Abtreibungskliniken verbietet.]
40 Days for Life ist eine Organisation mit Sitz in den USA, die in den
vergangenen Jahren ihren Namen und ihre Organisationstaktiken für mehrere
Proteste in Deutschland zur Verfügung gestellt hat. Für Europa waren laut
ihrer Steuererklärung rund 407.000 US-Dollar für Zuschüsse und „Bildung,
Ausbildung, Öffentlichkeitsarbeit, Gebet“ vorgesehen.
Während die Ärztin Kreitlow vor ihrer Praxis in Berlin noch keine Proteste
von 40 Days for Life erlebt hat, sind ihre Kollegen bei Pro Familia in
Frankfurt am Main „jeden Tag“ mit Pro-Life-Aktivisten konfrontiert, die in
der Nähe campieren. Im März wurde die dortige Beratungsstelle mit dem Wort
„Mörder“ beschmiert.
„Trotz der importierten Gelder und Strategien ist die deutsche
Antiabtreibungsbewegung selbst kein Import aus den USA“, sagt Imme Scholz
von der Heinrich-Böll-Stiftung. „Die deutschen
Antiabtreibungsorganisationen haben zwar organisatorische und rhetorische
Fähigkeiten von älteren US-amerikanischen Pendants gelernt und durch
konservative transatlantische, traditionalistische christliche
Lobbynetzwerke wie Agenda Europe nach Deutschland gebracht. Aber die
Abtreibungsgegner*innen waren auch schon vor der Vernetzung mit den
USA da, ziemlich authentisch und echt.“
## Mehr als 80 Prozent der Deutschen gegen §218
Gerade sei „eine stärkere Sichtbarkeit von Abtreibungsgegner*innen
und Antiabtreibungsaktivist*innen“ in Deutschland zu beobachten, sagt
Scholz. „Was wir nicht sehen, ist eine Veränderung in der Haltung der
öffentlichen Mehrheit zum Thema Abtreibung“, ergänzt sie. Mehr als 80
Prozent der Deutschen sind laut repräsentativen Umfragen der Meinung, dass
Abtreibung nicht unter Strafe gestellt werden sollte.
Dennoch bleibt die Bundesregierung untätig. Auch die Ampelkoalition
vermochte das Abtreibungsrecht nicht zu ändern. Könnte die Untätigkeit der
Regierung in Bezug auf Abtreibungen durch die USA beeinflusst sein?
Konservative, aber auch Menschen aus der Mitte des politischen Spektrums
seien versucht, das deutsche Abtreibungsgesetz unverändert zu lassen, um
„den sozialen Frieden in dieser Frage zu wahren“, sagt Ärztin Kreitlow.
Diese Politiker seien der Meinung, dass der Gesetzgeber das Thema so weit
wie möglich vermeiden sollte, „um keinen Kulturkampf wie in den USA
auszulösen“.
„Aber wenn die Bundesregierung nicht handelt, wird auch das Folgen für den
Zugang zu Abtreibungen haben“, sagt sie. „Viele der Ärzte, die
Abtreibungen durchführen, werden in den nächsten Jahren in den Ruhestand
gehen. Jüngere Generationen lernen nicht automatisch Abtreibungen in ihrer
Ausbildung und entscheiden sich aus verschiedenen Gründen später selber
nicht für die Durchführung“, so Kreitlow.
Diese Faktoren, zusammen mit den bestehenden staatlichen Beschränkungen im
Bereich Schwangerschaftsberatung, Medikamente und Ausbildung von Ärzten,
werden dazu führen, dass es mit der Zeit immer schwieriger wird, in
Deutschland eine Abtreibung vornehmen zu lassen.
## „Das Wichtigste ist jetzt, weiter Druck auszuüben“
„Die Konservativen gewinnen, wenn wir einfach alles so lassen, wie es ist“,
warnt Kreitlow daher. „Das Wichtigste ist jetzt, das Thema in der
Diskussion zu halten und weiter Druck auszuüben. Denn wenn wir aufhören,
gewinnen sie. Und wenn wir nichts tun, wird sich alles noch weiter
verschlechtern. Deshalb müssen wir lauter werden und stärker sein.“
Elodie Fischers Frauenkollektiv plant, in diesem Monat gegen den „Marsch
für das Leben“ in Berlin und Köln zu protestieren. „Wir müssen jetzt akt…
werden und den Menschen wirklich zeigen, dass es jetzt an der Zeit ist zu
kämpfen“, sagt Fischer. „Es ist viel einfacher, für den Erhalt von Rechten
zu kämpfen, als für deren Erlangung.“
13 Sep 2025
## LINKS
[1] https://frauenkollektiv.de/
[2] /Wahl-zur-Verfassungsrichterin/!6099841
[3] /Schwarz-Rot-in-der-Krise/!6102598
[4] /Oberstes-Gericht-in-den-USA/!5863159
[5] /Abtreibungsrecht-in-den-USA/!6052967
[6] /Antifeministische-Allianz/!6094245
[7] /Gesetz-gegen-Abtreibungsgegner/!6019176
## AUTOREN
Caroline Smith
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