| # taz.de -- „Marsch für das Leben“: Abtreibungsgegner wittern Aufwind | |
| > Am Wochenende wird in Berlin und Köln wieder zum „Marsch für das Leben“ | |
| > aufgerufen. Auftreten sollen auch internationale, teils vorbestrafte | |
| > Sprecher*innen. | |
| Bild: Schulterschluss zwischen fundamentalen Christen und Rechtsextremen: auf d… | |
| München taz | Am 20. September marschieren sie wieder: In Berlin und Köln | |
| ruft der Bundesverband Lebensrecht (BVL) zum jährlichen „Marsch für das | |
| Leben“ auf. Vergangene Demonstrationen zeigen: Die sogenannte | |
| Lebensschutz-Szene ist nach [1][rechts offen], ihre Events sind ein | |
| Schulterschluss verschiedener antifeministischer Akteur*innen aus | |
| konservativen, rechtsklerikalen und teils extrem rechten Milieus. | |
| Im Aufruf des BVL zum Marsch ist von „bis zu 10.000 Menschen“ die Rede, die | |
| auf die Straße gehen werden. Realistisch ist das eher nicht. In den | |
| vergangenen Jahren lag die Zahl meist bei rund 4.000, Busladungen aus dem | |
| deutschsprachigen Raum inklusive. Doch 2025 steht die Demo unter besonderen | |
| Vorzeichen: Nach der gelungenen und stark von der Szene [2][befeuerten | |
| Kampagne] gegen die Wahl der Staatsrechtlerin Frauke Brosius-Gersdorf ins | |
| Bundesverfassungsgericht wittert die Bewegung politischen Rückenwind. | |
| Brosius-Gersdorf, die unter anderem Mitglied der | |
| Expert*innenkommission zur Frage war, ob Schwangerschaftsabbrüche | |
| legalisiert werden sollten, war der Szene zu liberal. Ihre Verhinderung | |
| wird nun als Erfolg und Beleg gelesen: Die Bewegung sei auf dem Vormarsch. | |
| ## Neuer Schwung für alte Allianzen | |
| Zwar ist die „Lebensschutz“-Bewegung personell seit Jahren eher stagnierend | |
| als wachsend. Organisatorisch allerdings tut sich etwas: Man vernetzt sich | |
| zunehmend mit internationalen Akteur*innen, nutzt gezielt Plattformen | |
| abseits etablierter Medien und freut sich in ihrem diesjährigen Aufruf zum | |
| „Marsch“ über „neue Medien“ der eigenen Couleur, mit denen die vermein… | |
| eng gewordenen Debattenräume erweitert werden. Man inszeniert sich als | |
| Opfer der „Mainstream-Presse“ und spricht von „Zensur“ und „Cancel | |
| Culture“, wenn Kritik an den teils antidemokratischen Positionen [3][laut | |
| wird]. | |
| Derweil rückt die Szene politisch näher an die AfD, ohne sich offen an sie | |
| zu binden. Das zeigt einerseits die Teilnahme von AfD-Funktionär*innen wie | |
| Beatrix von Storch oder Franz Schmid an ihren Demonstrationen. Darüber | |
| hinaus [4][beruft] die AfD prominente Anti-Choice-Akteure wie Kristijan | |
| Aufiero von „profemina-1000plus“ oder Tomislav Čunović von „40 days for | |
| life“ als Sachverständige in den Rechtsausschuss des Bundestags. | |
| Brisant wird es 2025 allerdings nicht nur auf der Straße: In Köln und | |
| Berlin finden neben dem „Marsch“ flankierende Jugendveranstaltungen statt, | |
| organisiert von der „Jugend für das Leben“ (JfdL) – eine | |
| Nachwuchsorganisation des Vereins „Aktion Lebensrecht für Alle“, faktisch | |
| ein Radikalisierungsinstrument. In Berlin spricht in diesem Jahr die | |
| Organisatorin des „Marche pour la vie“, dem französischen Pendant des | |
| „Marsch für das Leben“, die französische Aktivistin Marie-Lys Pellissier. | |
| ## Vorbestrafte US-Aktivistinnen als Vorbilder? | |
| In Köln sprechen zwei noch deutlich problematischere Gäste: Caroline Smith | |
| und Lauren Handy von der US-amerikanischen Gruppe „Progressive | |
| Anti-Abortion Uprising“ (PAAU). PAAU inszeniert sich als | |
| „links-progressiv“, ist aber vor allem eine militante | |
| Anti-Abtreibungstruppe mit einem Faible für rechtliche Grauzonen. Die | |
| Gruppe [5][stürmt Kliniken], verbreitet Desinformation über medizinische | |
| Abläufe und sucht gezielt die Eskalation. | |
| Lauren Handy ist wegen teils schwerwiegender Delikte verurteilt – und soll | |
| nun vor Kindern und Jugendlichen auftreten. 2023 wurde sie zu 57 Monaten | |
| Haft verurteilt, nachdem sie 2020 gewaltsam in eine Klinik in Washington | |
| D.C. eingedrungen war. Einsicht? Fehlanzeige. Handy sieht sich als | |
| „Lebensretterin“ – und wurde Anfang 2025 von Donald Trump begnadigt. | |
| Einer der bizarrsten Fälle, den PAAU zu verantworten hat, ereignete sich | |
| 2022: Lauren Handy und ihre Mitstreiterin Terrisa Bukovinac behaupteten, | |
| eine Kiste mit abgetriebenen Föten von einem Entsorgungsunternehmen | |
| erhalten zu haben. Fünf davon verwahrten sie in einer Gefriertruhe – | |
| mutmaßlich, um ein Mordverfahren gegen das behandelnde Klinikpersonal | |
| einzuleiten. Die Geschichte ist in sich widersprüchlich, der | |
| Logistikdienstleister bestreitet die Übergabe. Fest steht: Das FBI fand bei | |
| einer Durchsuchung tatsächlich fünf Föten in Handys Wohnung. Die | |
| forensische Untersuchung ergab später, dass alle Abtreibungen rechtmäßig | |
| erfolgt waren. Angeklagt wurden Handy und Bukovinac in dem Fall bisher | |
| nicht. | |
| ## Export radikaler Aktionsformen nach Deutschland? | |
| Ausgerechnet Lauren Handy soll nun in Köln vor Kindern und Jugendlichen | |
| sprechen: Eine Bewegung, die sich als moralisch überlegen stilisiert, | |
| schult ihren Nachwuchs an Vorbildern, die auf Regelbruch, Einschüchterung | |
| und emotionalisierte Desinformation setzen. Wer Jugendlichen beibringt, | |
| dass medizinische Fakten verhandelbar sind und Recht nur dann gilt, wenn es | |
| ins eigene Weltbild passt, betreibt keine Aufklärung, sondern gezielte | |
| Manipulation. | |
| Der Aktionsstil von PAAU ist in Deutschland bislang eher die Ausnahme. Doch | |
| mit der Einladung solcher Rednerinnen wird eine Tür geöffnet. Schon in den | |
| vergangenen Jahren kam es immer wieder zu Auftritten internationaler Gäste, | |
| die durch antisemitische Relativierungen, rassistische Rhetorik oder | |
| verschwörungsideologische Anklänge auffielen. | |
| In München erklärte etwa Matt Britton auf der Bühne des „Marsch fürs Lebe… | |
| 2023, dass Deutschland Geflüchtete importiere, während es „deutsche Babys | |
| töte“ – ein rassistisches Narrativ. 2025 relativierte der Franziskanerpater | |
| Paulus Tautz in seiner Rede den Holocaust als er Protest gegen Verbrechen | |
| des NS-Regimes im Konzentrationslager Dachau mit dem gegen | |
| Schwangerschaftsabbrüche [6][verglich]. | |
| ## Möglicher Weg zur Sichtbarkeit | |
| Was, wenn der importierte Stil Schule macht und Klinikblockaden nach | |
| US-Vorbild plötzlich als „ziviler Ungehorsam“ verkauft werden? Einer Szene, | |
| die medial kaum Beachtung findet und zahlenmäßig stagniert, könnten | |
| konfrontative Aktionen bald als probater Weg zur Sichtbarkeit erscheinen. | |
| Der „Marsch für das Leben“ in Berlin startet in diesem Jahr erstmals vom | |
| Hauptbahnhof, in Köln vom Neumarkt. In beiden Städten formiert sich breiter | |
| Gegenprotest: feministische Bündnisse, medizinisches Fachpersonal, queere | |
| Gruppen und linke Initiativen wollen die Straße nicht dem selbsternannten | |
| „Lebensschutz“ überlassen. | |
| 19 Sep 2025 | |
| ## LINKS | |
| [1] /Pro-Life-Bewegung/!6038644 | |
| [2] /Wahl-zur-Verfassungsrichterin/!6099841 | |
| [3] https://bundesverband-lebensrecht.de/lebensrecht-ist-menschenrecht-marsch-f… | |
| [4] https://www.bundestag.de/resource/blob/1000378/Liste-der-Sachverstaendigen.… | |
| [5] https://apnews.com/article/abortion-activists-clinic-blockade-trial-fetuses… | |
| [6] https://www.feierwerk.de/firm/publikationen/marsch-fuers-leben-kleiner-radi… | |
| ## AUTOREN | |
| Lina Dahm | |
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