| # taz.de -- Wirbel um Schwangerschaftsabbruch: Abtreiben ist Menschenrecht | |
| > Dreihundert Abgeordnete wollen eine Neuregelung des § 218. Alles nur | |
| > Wahlkampf? Die Selbstbestimmung über den Uterus kommt wieder zu kurz. | |
| Bild: Der Strafrechtsparagraf 218 soll gestrichen werden | |
| Der Schwangerschaftsabbruch soll neu geregelt werden. Völlig unvermittelt | |
| und ohne parlamentarischen Vorlauf hat eine Abgeordnetengruppe von Grünen | |
| und SPD im Bundestag einen [1][Reformvorschlag] eingebracht. Der | |
| Strafrechtsparagraf 218 soll gestrichen werden. Das überrascht. Soll damit | |
| polarisierender Wahlkampf gemacht werden? | |
| Hat doch die scheidende Ampel ihrem [2][Anspruch auf Fortschritt in | |
| Frauenfragen] nicht genügt. Die Förderung von Projekten gegen Gewalt an | |
| Frauen und die [3][steigende Anzahl an Femiziden] sowie das Handeln gegen | |
| Zwangsprostitution fehlten. | |
| Nun soll ein historisches Frauenthema, die [4][Streichung des § 218], im | |
| Eilverfahren „abgearbeitet“ werden. Im Schnelldurchlauf ist so eine | |
| Menschenrechtsfrage nicht zu behandeln. Es braucht mehr Raum und Zeit, um | |
| [5][angemessen zu diskutieren.] | |
| Schließlich geht es um das Frauenbild, das die bisherige | |
| Verfassungsrechtsprechung prägte. An diesem sind seither alle Versuche, den | |
| § 218 zu streichen, gescheitert. Denn der Lebensschutz des Ungeborenen | |
| wurde darin über das Selbstbestimmungsrecht der Frau gestellt. | |
| Das Grundrecht auf Gleichstellung wird der Frau da, wo sie offenkundig „das | |
| andere Geschlecht“ ist, durch eine Gebärpflicht verletzt. Diese | |
| biologistische Festlegung ist die menschenrechtliche Frage, um die es | |
| eigentlich gehen muss. | |
| ## Freiheit bis zur zwölften Woche | |
| Mit der [6][vorgeschlagenen Regelung] soll die Frau künftig zwar straffrei, | |
| der Schwangerschaftsabbruch aber weiterhin rechtswidrig sein. Für Fragen | |
| nach der zwölften Woche soll das Schwangerschaftskonfliktgesetz den Rahmen | |
| vorgeben. | |
| Zählt bis zur zwölften Woche ihr Selbstbestimmungsrecht, wird es mit | |
| fortschreitender Schwangerschaft schwächer und an das Recht des Embryos und | |
| Fötus gebunden. Das ist neu. Aber keine Abkehr vom Frauenbild, das es zu | |
| überwinden gilt. | |
| Was zunächst wie eine pragmatische Lösung erscheint – Fristenregelung in | |
| den ersten drei Monaten und Straffreiheit – ist angreifbar. Wird der Frau | |
| in der gesamten Schwangerschaft die freie Entscheidung, ob sie Mutter | |
| werden will, zugestanden? Das ist zu bezweifeln. | |
| ## Konkurrenz zwischen Embryo und Frau | |
| Hier wird die Konkurrenz zwischen Embryo und Frau erneut nicht aufgehoben. | |
| Mit der Festlegung, den Embryo bis zur zwölften Woche aus dem Lebensschutz | |
| auszuschließen, kann man zwar den Stichtag für eine erleichterte Abtreibung | |
| begründen. | |
| Aber die Frage, ob die Selbstbestimmung über die körperliche Integrität und | |
| Emanzipation als das menschenrechtliche Argument ausschlaggebend ist, | |
| bleibt beantwortet. | |
| Das ist nicht unwesentlich. Hat doch das Bundesverfassungsgericht in einer | |
| anderen Grundsatzentscheidung – zur Befürwortung von Sterbehilfe – die | |
| Autonomie in die unantastbare Menschenwürde eingebunden. Daher muss man | |
| heute fragen: Kann die Gebärpflicht, in welcher Form auch immer, überhaupt | |
| menschenrechtskonform sein? | |
| ## Neuer Rechtsstatus für Embryo | |
| Die Initiatorinnen des Reformvorschlags orientieren sich an der | |
| [7][ExpertInnenkommission der Bundesregierung]. Diese schlägt die generelle | |
| Straffreiheit für die Frau vor, favorisiert – und das ist neu – ein | |
| „gestuftes Würdekonzept“ für den Embryo im Uterus. | |
| Begründet wird das von den ExpertInnen mit seinem Entwicklungsgrad bis zur | |
| zwölften Woche. Ab dann vergrößere sich der Grundrechtsstatus des Fötus. Im | |
| Verlauf der Schwangerschaft nimmt die Selbstbestimmung der Frau also stetig | |
| ab. | |
| Doch wie lassen sich unterschiedliche Grundrechte des Embryos begründen? In | |
| der frühen Phase des Lebens wird schließlich nicht unterschieden, ob sich | |
| der Embryo im Labor oder Uterus entwickelt. | |
| Das [8][Embryonenschutzgesetz] garantiert die Menschenwürde des | |
| Ungeborenen. Wird die Fristenregelung das ändern? Der Gedanke drängt sich | |
| auf, ob das ein Türöffner für das Forschen am menschlichen Embryo ist. Ob | |
| die Abgeordnetengruppe dieses Ziel verfolgt, ist nicht bekannt. | |
| ## Anachronistisches Frauenbild bleibt | |
| Was bewegt sich nun im Vergleich zum Status quo? Die Straffreiheit. Sie ist | |
| eine wichtige, aber nicht die einzige emanzipatorische Herausforderung. Es | |
| geht ebenso um das Menschenbild der Frau; um eine [9][Patriarchats- und | |
| kulturkritische Auseinandersetzung] und um die besondere Geschichte des | |
| Abtreibungsrechts in Deutschland. | |
| Die prinzipielle Gebärpflicht braucht eine Aufarbeitung. Der § 218 ist von | |
| einer [10][anachronistischen Ideologie] von Mutterschaft geprägt. Die DDR | |
| hatte mit ihrem Abtreibungsrecht die Entmündigung der Frau aufgehoben. | |
| Dieses moderne Frauenrecht überlebte die Wiedervereinigung nicht. | |
| Es ist ein größerer Bogen zu schlagen, wenn heute über eine Reform des | |
| Schwangerschaftsabbruchs zu reden ist. Klare, menschenrechtliche Argumente | |
| im Interesse der Frauen sind vonnöten, nicht nur, aber gerade weil am | |
| [11][rechten Rand Frauenfeindlichkeit] auflebt. | |
| ## Neues Gesetz wirft Fragen auf | |
| Die Bedenken gegen den Reformvorschlag beziehen sich nicht nur auf den | |
| eiligen politischen Stil, sie beziehen sich auf den Gesetzestext selber. | |
| Viele Fragen wirft er auf. | |
| Und im Ergebnis bliebe das biologistische Frauenbild nicht erschüttert, und | |
| das Embryonenschutzgesetz stünde bei einem gestuften Rechtsstatus des | |
| Embryos zur Diskussion. Was wäre mit dieser Fristenregelung also gewonnen? | |
| Ohne fundamentalistische Anmutungen müssen diese Überlegungen nun morgen im | |
| Bundestag erörtert werden. Bevor ein so wichtiges Rechtsthema zur | |
| Abstimmung gestellt wird, muss Gelegenheit bestehen, sich gesellschaftlich | |
| und im Parlament der Werte zu vergewissern, auf denen ein zeitgemäßes | |
| Frauenrecht gründet. | |
| Gerade bei kontroversen Positionen ist es geboten, ein respektvolles Klima | |
| zu schaffen. Ob eine Schwangere bereit ist, Mutter zu werden, kann einzig | |
| ihre Entscheidung sein. Dieses Postulat gilt es, in eine Gesetzesreform | |
| einzubringen. | |
| 4 Dec 2024 | |
| ## LINKS | |
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| [4] /Schwangerschaftsabbrueche-in-Deutschland/!6000620 | |
| [5] /Legale-Schwangerschaftsabbrueche/!6040262 | |
| [6] https://www.bundestag.de/presse/hib/kurzmeldungen-1029928 | |
| [7] https://www.bmfsfj.de/bmfsfj/aktuelles/alle-meldungen/sachverstaendigenkomm… | |
| [8] /Ethische-Forschung-an-Embryos/!5957197 | |
| [9] /Abtreibungsrecht-in-den-USA/!6047390 | |
| [10] /!1613205/ | |
| [11] /Misogynes-Brauchtum-Klaasohm/!6053810 | |
| ## AUTOREN | |
| Monika Knoche | |
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