# taz.de -- Reproduktive Rechte: Tagesreise zum Schwangerschaftsabbruch? | |
> Wie nah ist nah genug für eine angemessene Versorgung? Die Bundesländer | |
> lehnen strenge Vorgaben für die Erreichbarkeit von | |
> Abtreibungseinrichtungen ab. | |
Bild: Der Gynäkloge Joachim Volz | |
Berlin taz | Joachim Volz gibt nicht auf. Er streitet weiter für das Recht, | |
als Chefarzt der Gynäkologie auch Schwangerschaftsabbrüche durchführen zu | |
können. Gegen ein ablehnendes Urteil des Arbeitsgerichts Hamm hat er | |
Rechtsmittel eingelegt. Eines ist ihm aber bereits gelungen: Es wird wieder | |
über die mangelhafte Versorgungslage bei Einrichtungen zum | |
Schwangerschaftsabbruch diskutiert. | |
Volz arbeitet am Klinikum Lippstadt (NRW). Nach der Fusion seiner | |
evangelischen Klinik mit einem katholischen Träger erhielt er Anfang 2025 | |
die Anweisung, keine Abtreibungen mehr durchzuführen, außer in eng | |
begrenzten medizinischen Notfällen. Das Arbeitsgericht Hamm lehnte seine | |
Klage dagegen ab. Der [1][Arbeitgeber könne derartige Vorgaben machen]. | |
Keine Rolle spielte für das Gericht Volz’ Argument, dass die Frauen der | |
Gegend um Lippstadt kein ausreichendes Angebot für Schwangerschaftsabbrüche | |
mehr finden. | |
Im Schwangerschaftskonfliktgesetz, einem Bundesgesetz, heißt es: „Die | |
Länder stellen ein ausreichendes Angebot ambulanter und stationärer | |
Einrichtungen zur Vornahme von Schwangerschaftsabbrüchen sicher.“ Doch was | |
ist ein „ausreichendes Angebot“? Das Gesetz macht hierzu keine konkreten | |
Vorgaben. | |
Im Sommer wurde die [2][Elsa-Studie zur Lage ungewollt Schwangerer] | |
veröffentlicht. Die Studie im Auftrag des Bundesgesundheitsministeriums | |
kommt zum Ergebnis, dass in 85 Landkreisen (davon 43 in Bayern und 8 in | |
Baden-Württemberg) keine ausreichende Erreichbarkeit von Einrichtungen zum | |
Schwangerschaftsabbruch besteht. Als Kriterium gilt hier, ob mindestens 95 | |
Prozent der Bevölkerung eines Landkreises binnen 40 Minuten mit dem Auto | |
eine entsprechende Klinik oder Arztpraxis erreichen können. | |
## Nur Bremen hat wirksame Regelung | |
Zur Situation in Lippstadt sagt das NRW-Gesundheitsministerium auf Anfrage, | |
dass es in Lippstadt durchaus ein konkretes Angebot gebe. Gemeint ist eine | |
Tagesklinik, die operative und medikamentöse Schwangerschaftsabbrüche | |
durchführt. Weitere Einrichtungen in Bielefeld, Dortmund, Gütersloh und | |
Hamm seien mit dem Pkw in 40 bis 60 Minuten erreichbar. | |
Die Bundesländer akzeptieren das 40-Minuten-Kriterium der Elsa-Studie aber | |
ohnehin nicht. Das Schwangerschaftskonfliktgesetz schreibe keine | |
Wohnortnähe vor. Ausreichend sei, wenn die An- und Rückreise mit | |
öffentlichen Verkehrsmitteln an einem Tag machbar ist. Dementsprechend | |
gehen alle Bundesländer davon aus, dass sie die gesetzlichen Anforderungen | |
für ein „ausreichendes Angebot“ erfüllen. | |
Das Kriterium der Tagesreise stammt aus dem Urteil des | |
Bundesverfassungsgerichts zum Schwangerschaftsabbruch von 1993. Der | |
Bundestag könnte im Schwangerschaftskonfliktgesetz aber durchaus strengere | |
Anforderungen vorgeben. Außerdem könnte der Bundestag regeln, dass die | |
Länder bei schlechter Versorgungslage öffentliche und private Krankenhäuser | |
verpflichten können, ein ausreichendes Angebot sicherzustellen. Laut | |
Bundesverfassungsgericht ist dies möglich, erfordert aber eine spezielle | |
gesetzliche Grundlage. | |
Bisher gibt es nur ein Bundesland, das eine solche Regelung geschaffen hat. | |
In Bremen trat 2023 ein Gesetz in Kraft, nach diesem „ergreift und | |
finanziert die Freie Hansestadt Bremen Maßnahmen, die auf die Herbeiführung | |
und Sicherung eines bedarfsgerechten Angebots hinwirken“. | |
Gesundheitssenatorin Claudia Bernhardt (Linke) sind jedoch keine | |
Versorgungsengpässe bekannt. Deshalb gab es auch noch keine entsprechenden | |
Maßnahmen. | |
Es ist ein Paradox, dass ausgerechnet ein Bundesland mit guter | |
Versorgungslage bereit ist, Engpässe zu beseitigen. Allerdings versichern | |
auch die übrigen Länder, dass sie an einer besseren medizinischen | |
Versorgung interessiert sind und deshalb zum Beispiel an Ärzt:innen | |
appellieren, entsprechende Angebote zu machen. | |
19 Sep 2025 | |
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## AUTOREN | |
Christian Rath | |
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