# taz.de -- England und Wales: Abtreibungen bald straffrei | |
> Bislang blieben Schwangerschaftsabbrüche nur bis zur 24. Woche für Frauen | |
> straflos. Die Gesetzesänderung bezieht die beteiligten Ärzte nicht ein. | |
Bild: Ihr Körper, ihre Entscheidung: Eine Demonstrantin zeigt im September 202… | |
London taz | Frauen in England und Wales, die außerhalb der gesetzlichen | |
Vorgaben abtreiben, müssen künftig keine strafrechtlichen Konsequenzen mehr | |
fürchten. Das entschied das britische Unterhaus am Dienstagabend in einer | |
Abstimmung. Mit 379 zu 137 Stimmen nahm eine Mehrheit den Änderungsantrag | |
der Labour-Abgeordneten Tonia Antoniazzi an. Die Tochter | |
walisisch-italienischer Eltern, die erst seit einem Jahr im Parlament | |
sitzt, schrieb damit Geschichte. Die Änderung markiert einen Bruch mit dem | |
Abtreibungsgesetz von 1967 und dem viktorianischen Gesetz von 1861, welche | |
Abtreibungen stets kriminalisierten. | |
Bislang gelten Schwangerschaftsabbrüche in England und Wales bis zur 24. | |
Woche zwar als rechtswidrig, sind jedoch straffrei. Spätere Abtreibungen | |
sind nur unter besonderen Umständen möglich, etwa, wenn das Leben der | |
Mutter auf dem Spiel steht. Der alte Gesetzestext erlaubt es, für | |
Schwangerschaftsabbrüche lebenslange Haftstrafen zu verhängen. | |
Antoniazzi schilderte den Fall von Nicola Parker, die nach Einnahme eines | |
Abtreibungsmittels in der 26. Woche – zu Hause legal nur bis zur zehnten | |
Woche – festgenommen wurde. Parker gab an, nicht gewusst zu haben, dass sie | |
bereits länger schwanger war. Nach einer Totgeburt wurde sie im Krankenhaus | |
behandelt, verhaftet und ohne Zugang zu Medikamenten in eine Zelle | |
gebracht. Ihr vier Jahre dauernder Rechtsstreit endete mit einem | |
Freispruch, doch sie verlor ihr Einkommen und musste intime Details vor | |
Gericht offenlegen. | |
Antoniazzi berichtete auch von anderen Fällen: Eine junge Mutter, von ihrem | |
gewalttätigen Partner zur Einnahme von Abtreibungspillen gezwungen, | |
verblutete fast. „Als sie festgenommen wurde, drohte ihr Partner, sie zu | |
ermorden, falls sie seine Mittat nenne.“ Während ihr Partner tatsächlich | |
unbehelligt blieb, musste Laura eine zweijährige Gefängnisstrafe absitzen, | |
so Antoniazzi. | |
## Ziehen Schottland und Nordirland nach? | |
Andere Frauen hatten eine Totgeburt und wurden falsch beschuldigt. Neben | |
Frauen, die Opfer häuslicher Gewalt waren, fallen darunter auch Frauen, die | |
Opfer von Menschenhandel oder sexueller Ausbeutung waren. Laut Statistik | |
betraf dies 2023/24 allerdings nur 18 Frauen – 1 Prozent aller | |
Abtreibungen. In sechs Fällen kam es zu Strafverfahren. | |
Die Tatsache, dass Frauen in England und Wales nun nicht mehr als | |
Tatverdächtige angesehen werden, ermöglicht es ihnen, Hilfe zu suchen, ohne | |
Angst vor Bestrafung. Die Regelung gilt zunächst in England und Wales, | |
könnte aber auch Schottland und Nordirland beeinflussen. [1][In Nordirland | |
wurden Abtreibungen bis zur 24. Woche erst 2019 straffre]i, zumindest wenn | |
die Schwangerschaften Resultat einer Vergewaltigung oder Inzestbeziehung | |
waren. | |
Trotz der Gesetzesänderung bleibt die ärztliche Unterstützung von | |
Abtreibungen nach der 24. Woche strafbar. Ein weiterer Antrag, Abtreibungen | |
als Menschenrecht zu deklarieren, wurde abgelehnt. Ebenso scheiterte der | |
Vorschlag der konservativen Abgeordneten Caroline Johnson, eine | |
verpflichtende Beratung für medikamentöse Abtreibungen bis zur zehnten | |
Woche einzuführen. | |
Über 50 Organisationen, darunter der Dachverband britischer | |
Geburtshelfer:innen und Gynäkolog:innen (RCOG), unterstützten die | |
Reform. Die RCOG-Vorsitzende Ranee Thakar nannte die Entscheidung einen | |
„Sieg für Frauen und ihre essenziellen Reproduktionsrechte, Frauenrechte | |
und das Recht auf Selbstbestimmung“. Frauen könnten nun ohne Angst vor | |
Ermittlungen oder Verurteilungen abtreiben. Die Gesetzesänderung tritt erst | |
nach Abschluss aller parlamentarischen Verfahren in Kraft, doch die breite | |
Zustimmung im Unterhaus macht ihre Verabschiedung wahrscheinlich. | |
## Deutschland noch deutlich restriktiver | |
Abtreibungsgegner:innen, darunter christliche Gruppen und die Society for | |
the Protection of Unborn Children (SPUC), kritisierten die Entscheidung | |
scharf. Sie bezeichneten sie als „barbarisch“ und warnten, dass selbst | |
späte Abtreibungen nun straffrei seien. Diese Meinung wurde von | |
[2][Justizministerin Shabana Mahmood] unterstützt. Die Regierung hatte | |
jedoch schon vorher erklärt, dass sie sich der Entscheidung des Parlaments, | |
über die die Abgeordneten ohne Fraktionszwang abstimmten, fügen werde. | |
Die Geschäftsführerin des britischen Schwangerschaftsberatungsdienstes BPAS | |
feierte die Reform als Meilenstein für Frauenrechte – ermöglicht | |
ausgerechnet durch eine Abgeordnete, die einst eine strenge katholische | |
Schule besuchte. | |
Ähnlich wie in der bisherigen Gesetzgebung in England und Wales ist im | |
deutschen Strafgesetzbuchparagrafen 218 festgehalten, [3][dass Abtreibungen | |
grundsätzlich rechtswidrig sind]. Durch Ausnahmeregeln sind sie zwar auch | |
straffrei, allerdings nur innerhalb der ersten zwölf Schwangerschaftswochen | |
und wenn die Frau sich zuvor hat beraten lassen. Auch wenn bestimmte | |
medizinische Gründe vorliegen oder nach einer Vergewaltigung ist ein | |
Abbruch möglich, ohne sich strafbar zu machen. Eine Änderung ist erst | |
einmal nicht absehbar. (mit Agenturen) | |
18 Jun 2025 | |
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## AUTOREN | |
Daniel Zylbersztajn-Lewandowski | |
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