| # taz.de -- Grüner über Energiepolitik: „Die Ministerin ist das Problem“ | |
| > Die Pläne von Wirtschaftsministerin Katherina Reiche könnten die | |
| > Energiewende abwürgen, warnt der ehemalige Wirtschaftsstaatssekretär | |
| > Michael Kellner. | |
| Bild: Eigentlich ist die Richtung klar: mehr Windräder, weniger qualmende Scho… | |
| taz: Herr Kellner, am Montag hat CDU-Wirtschaftsministerin Katherina Reiche | |
| [1][einen Bericht zum Stand der Energiewende und ihre Schlussfolgerungen | |
| daraus vorgestellt]. Was halten Sie davon als ehemaliger Staatssekretär, | |
| der die Energiewende in der Ampel-Regierung mit vorangebracht hat? | |
| Kellner: Der Monitoringbericht spricht sich für eine fortgesetzte | |
| Energiewende aus. Er sagt, wir müssen die Erneuerbaren weiter ausbauen, und | |
| betont, dass es mehr Anstrengungen braucht, wenn wir die Klimaziele nicht | |
| nur für 2030, sondern auch für 2045 erreichen wollen. Eigentlich ist er | |
| eine Arbeitsaufforderung an das Ministerium. Der Monitoringbericht ist | |
| nicht das Problem. Die Ministerin ist das Problem. | |
| taz: Warum? | |
| Kellner: Sie schafft Verunsicherung, indem sie zum Beispiel die Förderung | |
| für private Solaranlagen infrage stellt. Ich bin allen Menschen dankbar, | |
| die in die Energiewende, in den Klimaschutz investieren, die sich eine | |
| Solaranlage aufs Dach schrauben. Da sehen wir große Erfolge. Wer für | |
| Verunsicherung sorgt, verhindert, dass Leute weiter in den Klimaschutz | |
| investieren. Aber das Schlimmste ist: Der Monitoringbericht skizziert die | |
| Strommenge, die 2030 gebraucht wird. Die bisherige Marke von 750 | |
| Terawattstunden wird auf 600 bis 700 Terawattstunden herabgesetzt. Reiche | |
| hat erklärt, dass sie sich am unteren Bereich dieser Bandbreite orientieren | |
| will. | |
| taz: Wieso ist das schlimm? | |
| Kellner: Ein Grund für den derzeit niedrigen Stromverbrauch ist die | |
| konjunkturelle Schwäche der deutschen Wirtschaft. Reiche geht anscheinend | |
| davon aus, dass die Wirtschaft weiter schwächelt, der Boom der | |
| energieintensiven Rechenzentren an Deutschland vorbeiläuft, der Hochlauf | |
| der E-Mobilität, der Wärmepumpe und die energieintensive Industrie | |
| verschwindet. Ohne Dekarbonisierung haben wir keine Chemie- oder | |
| Stahlindustrie mehr. Und deswegen ist es so gefährlich, von einem so | |
| geringen Strombedarf auszugehen. Sie redet der Deindustrialisierung das | |
| Wort. | |
| taz: Die Wirtschaftsministerin müsste das allergrößte Interesse an einer | |
| boomenden Wirtschaft und starken Industrie haben. Treibt sie Unfähigkeit | |
| oder Unwilligkeit? | |
| Kellner: Es ist Unwilligkeit, gepaart mit der Vorstellung, ein | |
| verbleibendes Geschäftsmodell für fossile Energien zu sichern. In ein paar | |
| Jahren wird es heißen: Uns fehlt es an Energie. Reiche will eine übergroße | |
| Flotte an Gaskraftwerken bauen. Und die Logik ist dann, darauf zu setzen, | |
| dabei ist fossiles Gas teuer und klimaschädlich. | |
| taz: Will die Ministerin die begonnene Energiewende rückabwickeln? | |
| Kellner: Sie versucht, überall kleine Hürden und Stolpersteine aufzubauen. | |
| Ich bin sehr besorgt. Wir haben uns nach dem Angriff auf die Ukraine unter | |
| größten Anstrengungen von russischem Gas unabhängig gemacht. Ich warne | |
| davor, dass wir unser Land wieder in eine Abhängigkeit führen. Dieses Mal | |
| nicht von russischem Gas, sondern von amerikanischem Frackinggas. Wir tun | |
| gut daran, auf heimische, erneuerbare Energiequellen zu setzen, und | |
| deswegen brauchen wir eine Elektrifizierung. Mit jeder Wärmepumpe, mit | |
| jeder Batterie, mit jedem Elektroauto machen wir uns unabhängig von | |
| fossilen Energien und schützen das Klima. Deswegen brauchen wir den | |
| Hochlauf der E-Mobilität, der Wärmepumpen und die Dekarbonisierung der | |
| Industrie. [2][Und deshalb haben wir zusätzlichen Strombedarf.] | |
| taz: Reiche sagt, sie will die Energiewende weiterführen, aber stärker auf | |
| die Kosten achten. Ist es nicht richtig, wenn es billiger wird? | |
| Kellner: Ich höre die Worte, aber ich zweifle am Text. Natürlich sollten | |
| Gelder möglichst effizient eingesetzt werden. Wir müssen Kosten einsparen, | |
| etwa über Digitalisierung oder technische Verbesserungen. Wir können auch | |
| Preissignale einführen wie flexible Netzentgelte. Das kann dazu führen, | |
| dass Kosten eingespart werden. Das ist völlig unstreitig innerhalb der | |
| Energie-Community. Nur: Das passt eben nicht dazu, die prognostizierte | |
| Strommenge weiter unten anzusetzen. | |
| taz: Die Ministerin will die Förderung privater Solaranlagen einstellen, | |
| weil sie glaubt, dass sich die Anlagen heute auch ohne rechnen. | |
| Kellner: Sorry, aber das ist der ausgestreckte Mittelfinger statt eines | |
| Dankeschöns dafür, dass die Leute eine Solaranlage bauen. Es droht, dass | |
| der Zubau von Dach-Solaranlagen massiv einbricht. Das wäre fatal. Die | |
| winzige Einspeisevergütung, die es heute gibt, hebelt unglaublich viele | |
| private Investitionen. Geld, das der Staat nicht aufbringen muss. Wenn es | |
| um Kosteneffizienz geht und wir nicht alles mit Steuergeldern zahlen | |
| wollen, dann ist es wichtig, dass die Leute, die das Geld haben, in die | |
| Energiewende investieren. Ich kann allen taz-Leser:innen, die es sich | |
| leisten können, spätestens jetzt zu Solar auf Dach und Balkon raten. | |
| Möglicherweise zieht die Ministerin demnächst den Stecker. | |
| taz: Drohen auch Blockaden durch Reiches Pläne für die Stromnetze? | |
| Kellner: Hier hängt viel von der konkreten Umsetzung ab. Bisher galt, dass | |
| die Netze der Energieerzeugung folgen müssen. Das heißt: | |
| Erneuerbare-Energie-Anlagen müssen angeschlossen werden. Das kann | |
| effizienter werden, zum Beispiel kann eine Überbauung, also der gemeinsame | |
| Anschluss von Windrädern, Solaranlagen, Batterien erfolgen. Aber wenn die | |
| Regierung den Netzbetreibern sagt, ihr müsst Anlagen nicht mehr | |
| anschließen, dann kommt es zu einem echten Abwürgen des Ausbaus. Der | |
| Netzausbau muss weitergehen. Wir bezahlen es doppelt und dreifach, wenn | |
| das nicht geschieht. | |
| taz: Können die Grünen über den Bundesrat Reiches Pläne stoppen? | |
| Kellner: Viele energiewirtschaftliche Regeln auf Bundesebene sind nicht | |
| zustimmungspflichtig. Manches steckt auch in Verordnungen, die gehen nicht | |
| einmal durch den Bundestag. Was wir machen werden, ist natürlich Druck. Ich | |
| weiß, dass es auch in der Union Leute gibt, die an Katherina Reiches Kurs | |
| zweifeln. Auch die SPD muss sich fragen, ob sie das, was wir als Ampel | |
| erreicht haben, wieder abwickeln will. Und wenn sich der Verband des | |
| Maschinen- und Anlagenbaus gemeinsam mit der IG Metall für eine | |
| fortgesetzte Energiewende ausspricht, dann ist das ein starkes Zeichen. | |
| taz: Was sagen die Unternehmen der Branche zu Reiches Plänen? Schließlich | |
| setzen fossile Energiekonzerne mittlerweile auch auf Erneuerbare. | |
| Kellner: Es gibt eine wachsende Unzufriedenheit in vielen Teilen der | |
| Wirtschaft. Wenn ich mit Unternehmen spreche, spüre ich Verunsicherung. Sie | |
| fragen sich, wie geht die Energiewende weiter? Was passiert? Es gibt ein | |
| Rätselraten über das, was die Ministerin vorhat. | |
| taz: Auf jeden Fall will sie Gaskraftwerke bauen. | |
| Kellner: Wir brauchen auch Kraftwerke, die mit Gas betrieben werden, zur | |
| Absicherung der Zeiten, wenn die Sonne nicht scheint und kein Wind weht. | |
| Nur müssen diese Kraftwerke mit grünem Wasserstoff betrieben werden, nicht | |
| mit fossilem Gas. Und: Wir haben nicht nur Gaskraftwerke, sondern auch | |
| andere Technologien, die einspringen können, etwa Großbatterien, | |
| Biogasanlagen oder Pumpspeicherwerke. Katherina Reiche erweckt immer den | |
| Eindruck, das ginge nur mit Gaskraftwerken. Das ist nicht so. Deswegen sage | |
| ich: Lasst uns doch technologieoffen sein, wie die Union gerne so schön | |
| sagt. Sehen wir mal, welche Technologien sich am Markt durchsetzen. | |
| taz: Ist der Ruf nach grünem Wasserstoff nicht Wunschdenken? [3][In | |
| Deutschland wird es davon doch in absehbarer Zeit nicht genug für | |
| Kraftwerke geben]. | |
| Kellner: Das ist ein Henne-Ei-Problem. Wir haben die Infrastruktur | |
| aufgebaut, das Wasserstoffkernnetz entsteht. Aber es fehlen die gesicherten | |
| Abnehmer. Steht fest, dass Kraftwerke ab den Dreißigerjahren mit grünem | |
| Wasserstoff laufen, gibt es die. Wir haben im Sommer sehr viel | |
| Überschussstrom über die Solaranlagen. Das Beste ist, diesen in grünen | |
| Wasserstoff-Molekülen zu speichern. Elektrolyseure, also Maschinen, die | |
| Wasserstoff herstellen, können dastehen, wo viele Erneuerbare sind. | |
| Unternehmen würden investieren, wenn sie eine gesicherte Abnahme hätten. | |
| Deshalb sind wasserstofffähige Kraftwerke so wichtig. Sie sind die | |
| Ankerkunden für den Aufbau einer Wasserstoffwirtschaft. Es braucht jetzt | |
| von der Regierung Planungssicherheit statt Zweifel. | |
| 18 Sep 2025 | |
| ## LINKS | |
| [1] /Energiewende-Bericht/!6110237 | |
| [2] /Katharina-Reiches-Energiewende/!6110293 | |
| [3] /Produktion-von-gruenem-Wasserstoff/!6106477 | |
| ## AUTOREN | |
| Anja Krüger | |
| ## TAGS | |
| Energiewende in Gefahr | |
| Schwerpunkt Klimawandel | |
| Energiewende | |
| Katherina Reiche | |
| Michael Kellner | |
| GNS | |
| Energiewende in Gefahr | |
| Schwerpunkt Klimawandel | |
| Energiewende in Gefahr | |
| Wasserstoff | |
| Energiewende in Gefahr | |
| Energiewende in Gefahr | |
| Katherina Reiche | |
| Energiewende in Gefahr | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Umstrittener Ausbau: Reiche muss ihre Gas-Pläne eindampfen | |
| Die Bundeswirtschaftsministerin wird wohl Abstriche beim geplanten | |
| Mega-Ausbau von Gaskraftwerken machen. Die EU ist offenbar gegen ihre | |
| Pläne. | |
| Energiewende: Erneuerbare decken 57 Prozent des Stromverbrauchs | |
| Die Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien deckt wieder mehr als die | |
| Hälfte des Bedarfs. Nun legen Branchenverbände neue Zahlen vor. | |
| Studie von Ökonomin Claudia Kemfert: Klimaschutz zahlt sich richtig aus | |
| Jeder Euro, der in Schritte gegen die Klimakrise fließt, bringt der | |
| Volkswirtschaft zwischen 1,8 und 4,8 Euro. Das zeigt eine Studie des DIW | |
| Berlin. | |
| DGB-Studie zur Energiewende: Wasserstoff treibt Wirtschaft an | |
| Sollte Niedersachsen auf grünen Wasserstoff setzen? Eine DGB-Studie geht | |
| davon aus, dass der Arbeitsmarkt leidet, wenn das nicht passiert. | |
| Abwürgen der Energiewende: Reiche bremst Wachstumsbranche | |
| Durch den Kurswechsel der Wirtschaftsministerin in der Energiepolitik | |
| bleiben 65 Milliarden Euro an Investitionen aus. Das zeigt eine Studie. | |
| Katharina Reiches Energiewende: Scheitern einkalkuliert | |
| Wirtschaftsministerin Katherina Reiche spart am falsche Ende: Statt jetzt | |
| in die Energiewende zu investieren, bremst sie sie aus. | |
| Energiewende-Bericht: Das Ende der Wende? | |
| Der von Wirtschaftsministerin Reiche in Auftrag gegebene Bericht über die | |
| Energiewende liegt vor. Die Opposition ist entsetzt über die | |
| Schlussfolgerungen. | |
| Photovoltaik schafft Stromüberschuss: Wenn der Solarstrom unterwegs verloren g… | |
| Bei den großen Nord-Süd-Trassen wird jeder Fortschritt mit großem Pomp | |
| gefeiert. Die kleineren Verteilnetze finden wenig Beachtung. Das rächt | |
| sich. |