# taz.de -- Verfassungsschutz in Berlin: Fremdkörper mit Sonderrechten | |
> Der Senat will Berlins Verfassungsschutz mehr Befugnisse verleihen und | |
> gleichzeitig die Rechte von Betroffenen einschränken. Datenschützer | |
> zeigen sich alarmiert. | |
Bild: Wird hier observiert? Kamera an einem Berliner Wohnhaus (Archivbild) | |
Berlin taz | Onlinedurchsuchungen, umfassender Zugriff auf Videoüberwachung | |
und ein abgeschwächtes Auskunftsrecht für Betroffene: Der schwarz-rote | |
Senat will den Verfassungsschutz mit neuen Befugnissen ausstatten. Einen | |
[1][entsprechenden Gesetzentwurf] hatte die Koalition im Mai ins Parlament | |
eingebracht. Nun haben Berlins Datenschutzbeauftragte Meike Kamp und | |
weitere Juristen das Vorhaben der Koalition scharf kritisiert und | |
Nachbesserungen gefordert. | |
Kamp sagte bei einer Anhörung im Verfassungsschutzausschuss des | |
Abgeordnetenhauses am Montagnachmittag, der Entwurf für das neue Gesetz | |
sehe „eine massive Ausweitung von teils höchst eingriffsintensiven neuen | |
Überwachungsbefugnissen“ vor. Heimliche Eingriffe in Grundrechte durch | |
Sicherheitsbehörden seien aber nur verhältnismäßig, wenn es einen | |
entsprechenden Ausgleich für die Betroffenen gebe – etwa ein Recht auf | |
Auskunft über gespeicherte Informationen. „Dies ist im Entwurf nicht | |
ausreichend oder mangelhaft umgesetzt“, beanstandete Kamp. | |
Auch der Jurist David Werdermann von der Gesellschaft für Freiheitsrechte | |
(GFF) sieht große Schwachstellen in dem neuen Gesetz. „Geheimdienste sind | |
[2][Fremdkörper in einer Demokratie]“, betonte er im Ausschuss. Deshalb | |
bräuchten sie enge rechtsstaatliche Bindungen und eine demokratische | |
Kontrolle. Aber: „Der Gesetzentwurf verfehlt diesen Anspruch.“ Das Berliner | |
Gesetz drohe „früher oder später“ vor dem Bundesverfassungsgericht zu | |
landen und in Teilen als verfassungswidrig erklärt zu werden, sagte | |
Werdermann, der bei der NGO Verfassungsklagen koordiniert und damit schon | |
in mehreren Bundesländern Erfolg hatte. | |
Sollte es wirklich so weit kommen, wäre das ein Eigentor. Denn die | |
Neufassung des Berliner Verfassungsschutzgesetzes war unter anderem wegen | |
Urteilen des Bundesverfassungsgerichts [3][zum Verfassungsschutzgesetz auf | |
Bundesebene] sowie [4][zum Bayerischen Verfassungsschutz] aus dem Jahr 2022 | |
notwendig geworden. Darin hatte das Gericht Vorgaben zu sogenannten | |
Eingriffsschwellen gemacht, die regeln, welche Überwachungsmaßnahmen in | |
welchen Fällen gerechtfertigt sind. | |
CDU und SPD wollen deshalb in Berlin drei abgestufte Kategorien einführen. | |
Je nachdem, wie hoch die Beobachtungsbedürftigkeit einer Gruppe oder einer | |
Person bewertet wird, können etwa verdeckte Ermittler oder V-Leute zum | |
Einsatz kommen und zur Observation Autos verwanzt oder Gespräche außerhalb | |
der Wohnung mit einem Richtmikrofon abgehört werden. | |
## Umfassende Echtzeit-Videoüberwachung | |
Doch neben dieser überfälligen Klarstellung will der Senat die Neufassung | |
des Gesetzes auch dazu nutzen, dem Verfassungsschutz völlig neue Befugnisse | |
zu verleihen. Unter anderem soll künftig Videomaterial von öffentlichen | |
Orten zur Observation von Einzelpersonen verwendet werden dürfen. Im | |
Entwurf heißt es dazu, der Verfassungsschutz könne Betreiber von | |
„öffentlich zugänglichen großflächigen Anlagen“ – etwa Sportstätten, | |
Einkaufszentren oder Parkplätze – dazu verpflichten, die Bilder | |
weiterzuleiten und Aufzeichnungen zu übermitteln. | |
Meike Kamp zeigte sich alarmiert: „In einer räumlich sehr engen Situation | |
wie in Berlin wird so letztlich die Möglichkeit einer nahezu | |
flächendeckenden Überwachung geschaffen – und das in Echtzeit“, sagte die | |
Datenschutzbeauftragte. „Insofern könnte die Erstellung von Bewegungs- und | |
Persönlichkeitsprofilen Realität werden“, warnte sie mit Blick auf das | |
technische Potenzial von künstlicher Intelligenz. „Das ist aus unserer | |
Sicht unverhältnismäßig.“ | |
Außerdem sollen die Verfassungsschützer in Zukunft berechtigt sein, | |
sogenannte Onlinedurchsuchungen durchzuführen, also umfangreiche | |
Hackerangriffe auf private Computer mithilfe eines Staatstrojaners. Und für | |
das analoge Ausspähen soll die rechtliche Hürde für die Überwachung von | |
Wohnungen gesenkt werden. | |
Zwei überflüssige Paragrafen, findet der Anwalt David Werdermann. Beides | |
seien so schwerwiegende Grundrechtseingriffe, dass der Verfassungsschutz | |
sie nur bei einer sogenannten konkretisierten oder dringenden Gefahr | |
durchführen dürfe. In solchen Fällen müsste dann allerdings sowieso direkt | |
die Polizei tätig werden, erklärte Werdermann gegenüber der taz: „Die | |
Befugnisse laufen ins Leere.“ In Hamburg sei die Wohnraumüberwachung bei | |
der Neufassung des dortigen Gesetzes komplett gestrichen worden, weil die | |
Behörde sie nicht benötigte, betonte Werdermann. | |
## Opposition kritisiert Ungleichgewicht | |
Berlins Verfassungsschutzchef Michael Fischer verteidigte die Regelungen. | |
Um überhaupt in der Lage zu sein, Onlinedurchsuchungen durchzuführen – wenn | |
auch nur in Amtshilfe für die Polizei –, brauche man das technische | |
Equipment. „Und das schaffen wir nur an, wenn wir das auch dürfen“, sagte | |
Fischer. | |
In der Opposition sieht man das anders: „Von allen möglichen Werkzeugen | |
wurde sich alles aus dem Kasten genommen, die Transparenzpflichten hingegen | |
werden nicht ausreichend festgeschrieben“, kritisierte etwa | |
Grünen-Fachpolitikerin June Tomiak. Auch sie sieht ein Ungleichgewicht | |
zwischen Überwachungsmaßnahmen und Rechten der Betroffenen. „Die Koalition | |
muss nachsteuern“, forderte Tomiak. | |
Tatsächlich ist im Gesetz nur bei Onlinedurchsuchungen und | |
Wohnungsüberwachungen vorgesehen, dass Betroffene im Nachhinein darüber | |
informiert werden. „Auf diese Weise wird effektiver Rechtsschutz | |
vereitelt“, so David Werdermann dazu. „Man kann sich also oft nur dann | |
gerichtlich gegen Überwachung wehren, wenn man durch Zufall davon erfährt.“ | |
Denn auch die Auskunftsrechte für Berlins Bürger*innen will die | |
Koalition stark einschränken. Derzeit kann noch jede*r beim | |
Verfassungsschutz nachfragen, welche Informationen dort zur eigenen Person | |
gespeichert sind. In Zukunft soll man zunächst einen „konkreten | |
Sachverhalt“ und ein „berechtigtes Interesse“ darlegen, um Auskünfte zu | |
erhalten. „Antragsteller*innen wird abverlangt, sich selbst zu | |
denunzieren“, betonte Werdermann. Darüber hinaus fehle es weitgehend an | |
einer Pflicht, Parlament und Öffentlichkeit über die Anzahl der | |
angeordneten Maßnahmen zu informieren. | |
Nach der Expert*innen-Anhörung im Fachausschuss hat die Koalition nun die | |
Gelegenheit, den Entwurf zu überarbeiten. Geht es nach den Plänen von CDU | |
und SPD, soll das Abgeordnetenhaus das Gesetz noch in diesem Jahr | |
verabschieden. | |
Zusätzlich zum großzügigeren Rechtsrahmen soll der Verfassungsschutz dann | |
auch mehr Geld zur Verfügung haben als bisher. Im [5][Haushaltsentwurf] | |
sind derzeit 20,2 Millionen Euro für 2026 und 19,9 Millionen Euro für 2027 | |
eingeplant. „Damit ist das Budget leicht über dem von 2025“, freute sich | |
[6][Innensenatorin Iris Spranger (SPD)]. Das zusätzliche Geld soll vor | |
allem in Personalkosten fließen. In diesem und im vergangenen Jahr waren | |
beim Verfassungsschutz 18 neue Stellen geschaffen worden. Insgesamt verfügt | |
die Abteilung über 284 Stellen. | |
16 Sep 2025 | |
## LINKS | |
[1] https://www.parlament-berlin.de/ados/19/VerfSch/vorgang/vfs19-0097-v.pdf | |
[2] /Rechtsanwalt-ueber-Ueberwachung/!5055829 | |
[3] /Geheimdienste-mit-neuer-Rechtsgrundlage/!5969782 | |
[4] /BVerfG-zu-Verfassungsschutzgesetz/!5847193 | |
[5] /Haushaltsplan-von-CDU-und-SPD/!6106279 | |
[6] /Innensenatorin-Iris-Spranger/!t5827174 | |
## AUTOREN | |
Hanno Fleckenstein | |
## TAGS | |
Schwarz-rote Koalition in Berlin | |
Schwerpunkt Überwachung | |
Verfassungsschutz | |
Datenschutzbeauftragte | |
Geheimdienst | |
Social-Auswahl | |
Schwarz-rote Koalition in Berlin | |
Innensenatorin Iris Spranger | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Reform des Berliner Polizeigesetzes: Riskantes Manöver | |
CDU und SPD bringen ihr neues Polizeigesetz ins Abgeordnetenhaus ein. | |
Berlin befindet sich damit bei der Beschränkung von Freiheitsrechten weit | |
vorn. | |
Bodycams bei Polizei und Feuerwehr: Ungeliebte Spielzeuge | |
Eine unabhängige Untersuchung des Bodycam-Einsatzes bei Feuerwehr und | |
Polizei kommt zu wenig schmeichelhaften Erkenntnissen für die | |
Innenverwaltung. |