# taz.de -- Reisen im postsowjetischen Raum: Die unsichtbare rote Linie der Dik… | |
> Unterwegs in Tadschikistan: Mit jedem Tag wird unsere Autorin in | |
> Gesprächen vorsichtiger und oberflächlicher. | |
Bild: Allgegenwärtig in Tadschikistan: Diktator Emomali Rahmon | |
Der Bruder meines Gastgebers arbeitet für die russischen Geheimdienste. Der | |
Gastgeber erzählt es mir beiläufig am Frühstückstisch. Man sagt [1][in | |
Tadschikistan] immer noch KGB, obwohl der längst aufgelöst ist – als habe | |
sich in 35 Jahren nichts geändert. Russlands Geheimdienste, höre ich oft | |
flüsternd, regierten de facto Tadschikistan. Selbst Diktator Emomalij | |
Rahmon fürchte sie. | |
Wir frühstücken in einem schönen Privathaus; die goldverzierte Deko erzählt | |
von Privileg, wenngleich auf bescheidenem Niveau. Er ist sehr nett, dieser | |
systemtreue Gastgeber, der uns spontan auf der Straße einlud. Wir sprechen | |
lange. Über den Horror der 1990er, den er als Kind erlebte: den Hunger, den | |
verheerenden Bürgerkrieg, den Systemkollaps. Die Diktatur, glaubt er, habe | |
wieder Ordnung gebracht. Und Leute, die Demokratie fordern? „Das ist, wie | |
wenn ein Vater Kinder erzieht. Es sind eben nicht immer alle zufrieden.“ | |
Ich erlebe viele solcher Gespräche in Tadschikistan. Eine Aktivistin übt | |
vernichtende Kritik an der brutalen Diktatur und sagt dennoch: „Ich bete | |
für Rahmons Gesundheit.“ Warum? Sie zitiert Cicero: „Ein ungerechter | |
Frieden ist besser als ein gerechter Krieg.“ Zufrieden ist fast niemand – | |
aber die Aussichten auf erneutes Chaos oder ein Afghanistan-Szenario wiegen | |
noch schwerer. In Westeuropa hat man bloß Verachtung übrig für die | |
Fügsamkeit in vielen postsowjetischen Staaten. Wie tödlich und traumatisch | |
die Zusammenbrüche der Neunziger waren, ist hierzulande weder bewusst noch | |
von Interesse. Schon im Umgang mit Russland war diese Ignoranz | |
folgenschwer. Sie ist es auch für die eigene Zukunft: Wie Instabilität und | |
Niedergang autoritäre Kräfte an die Macht bringen, ist längst auch unser | |
Thema. | |
In Tadschikistans bleierner Stille überkommt mich ein Gefühl von DDR. | |
„[2][In jedem Dorf] sind KGB-Spitzel. Sie wissen, dass ihr gerade hier im | |
Taxi sitzt“, sagt mir ein Taxifahrer im Schutz des Autos. „Ich kann | |
niemandem vertrauen, nicht mal alten Freunden.“ Mit jedem Tag werde ich in | |
Gesprächen vorsichtiger, oberflächlicher. Diktatur wirkt nicht erst durch | |
offene Drohungen, sondern durch unsichtbare rote Linien. Die einzige | |
Lösung: Flucht. Früher ging man nach Russland, heute nach Westeuropa. Das | |
ist meist keine moralische Entscheidung, trotz der verbreiteten Verachtung | |
für Putin. Moral kann sich hier kaum jemand leisten. Als Gründe höre ich | |
eher den russischen Rassismus, schlechtere Verdienstaussichten, Angst | |
[3][vor Rekrutierung in den Krieg]. | |
Und so träumen viele studierte Tadschiken davon, auf englischen | |
Erdbeerplantagen zu landen. Dort, wo jene Briten, die angeblich keine | |
Ausländer mehr wollen, jetzt Tadschiken statt Bulgaren ausbeuten. | |
17 Sep 2025 | |
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## AUTOREN | |
Alina Schwermer | |
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