| # taz.de -- Träume und Trümmer in Syrien: Mit Freude am Leben | |
| > Nach Jahren der Vertreibung trifft sich die Familie unserer Autorin in | |
| > ihrem Elternhaus in der Provinz Idlib. Dabei wirken die Eltern jünger | |
| > denn je. | |
| Bild: Schöpfen neuen Lebensmut aus der Rückkehr in ihre Heimat: die Eltern un… | |
| Es war zehn nach sechs, ein Freitagmorgen Anfang August, als der Wecker | |
| klingelte. Der erste Morgen seit meiner Rückkehr in mein Elternhaus in Kafr | |
| Nabl, eine Kleinstadt im Süden der Provinz [1][Idlib], die für den | |
| Feigenanbau bekannt ist. | |
| Sechs Jahre sind vergangen, seitdem ich meine Heimat verlassen habe. | |
| [2][2019 marschierten Assads Truppen in die Stadt ein], meine Familie floh | |
| in die Flüchtlingslager von Deir Hassan, etwa 80 Kilometer nördlich von | |
| Kafr Nablgelegen. Dort blieb sie die nächsten Jahre, bis sich die Soldaten | |
| des [3][Assad-Regimes] vor einigen Monaten wieder zurückzogen. | |
| Die Flucht trennte mich von meinen Eltern und Geschwistern. Während sie | |
| gezwungen waren, in Deir Hassan zu leben, konnte ich in der Stadt Idlib | |
| bleiben, um mein BWL-Studium abzuschließen und mich auf meine Arbeit als | |
| Journalistin zu konzentrieren. In dieser Zeit sahen wir uns nur ein- oder | |
| zweimal jährlich. Ich sehnte mich sehr nach dem Essen meiner Mutter, vor | |
| allem nach ihrem selbstgebackenen Brot. | |
| An diesem Morgen, zurück in meinem Elternhaus, war ich ungewöhnlich munter, | |
| so dass ich sofort aus dem Bett sprang und in den Hof ging, um frische | |
| Morgenluft zu atmen. Dort knetete meine 74-jährige Mutter den Teig für | |
| unser traditionelles Tannour-Brot, während meine fünfzehn Jahre ältere | |
| Schwester trockenes Holz in den brennenden Steinofen legte. Ich grüßte | |
| leise und hoffte insgeheim, dass sie mich nicht um Hilfe bitten würden. | |
| ## Träume, die ein Vater kaum zu träumen gewagt hatte | |
| In unserem Garten, mit den noch jungen Granatapfelbäumen, standen auch ein | |
| paar kleine Feigenbäume, die mein Vater kürzlich gepflanzt hatte. Ich war | |
| überrascht, als ich sah, wie energisch er Unkraut zwischen den Bäumchen | |
| jätete, sie goss. Kurz darauf hielt er einen Plastikbehälter mit gemahlenem | |
| Mais in der Hand, streute die Körner auf den Boden und rief lautstark seine | |
| Hühner „Taa taa taa taa“, was „Kommt!“ auf Arabisch bedeutet. Voller E… | |
| und mit der Energie eines jungen Mannes verrichtete mein alter Vater, der | |
| nun schon fünfzig Jahre lang als Zimmermann arbeitete, diese Arbeiten. | |
| Gerade als ich ihn fragen wollte, warum er nicht – wie üblich – zur Arbeit | |
| gegangen war, begrüßte er mich mit seinem typischen Lächeln und erzählte, | |
| dass er zuhause geblieben sei, da vier seiner sieben Söhne und Töchter zu | |
| Besuch waren. Für ihn, den 74-jährigen Mann, so sagte er, ginge damit ein | |
| Traum in Erfüllung, den er während der Vertreibung nach Deir Hassan kaum zu | |
| träumen gewagt hatte. | |
| Ein köstlicher Duft unterbrach die Plauderei mit meinem Vater. Es war der | |
| Geruch, den wir Kinder vom Land nur zu gut kennen. Der Duft von frischem | |
| Brot, der aus unserem Lehmofen im Hof strömte. Auf einem Stein vor dem Ofen | |
| rollte meine Schwester handgroße Teigkugeln zu Brotfladen aus. Sie reichte | |
| die langen Teigstücken meiner Mutter, die sie nacheinander auf ein Tuch | |
| legte, um sie anschließend schwungvoll an eine der heißen Ofenwände zu | |
| kleben. Sobald der Teig kleine Blasen bildete, nahm sie die fertig | |
| gebackenen Laibe mit einer schnellen Bewegung mit den Fingern aus dem Ofen | |
| und legte sie auf einen Teller zu den anderen Broten. | |
| ## Auch der zerstörte Lehmofen wird repariert | |
| Seit meiner frühesten Kindheit kannte ich die geschickten Handgriffe meiner | |
| Brot- backenden-Mutter. Ich saß da und beobachtete, wie sie vital und | |
| voller Lebensfreude war, so als wäre sie in den vergangenen Wochen zwanzig | |
| Jahre jünger geworden. Noch vor fünf Monaten, als wir sie wegen ihrer | |
| kranken Herzgefäße zur Operation ins örtliche Krankenhaus bringen mussten, | |
| war sie nicht mehr dieselbe gewesen. Die Vertreibung aus der Heimat, die | |
| harten Lebensumstände im Flüchtlingslager hatten ihr stark zugesetzt. Bei | |
| einem unserer letzten Wiedersehen klagte sie über ihre tauben Beine, wirkte | |
| müde. | |
| Die frische Bergluft und ihre Rückkehr nach Kafr Nabl schienen sich positiv | |
| auf die Gesundheit und den Gemütszustand meiner Eltern, die seit 53 Jahren | |
| miteinander verheiratet sind, auszuwirken. Und dass, obwohl ihr Haus von | |
| Assads Soldaten geplündert und zerstört worden war, so wie die meisten | |
| Häuser in der Gegend. Sie aber ließen sich davon nicht entmutigen, sondern | |
| verrichteten mit großer Entschlossenheit und Ausdauer sogar einfache | |
| Reparaturarbeiten, um das Haus wieder bewohnbar zu machen. Auch der | |
| zerstörte Lehmofen im Hof wurde repariert. | |
| Mit bloßen Händen knetete meine Mutter Lehm, indem sie Erde mit etwas | |
| Wasser vermengte, reichte ihn meinem Vater, der den Lehm dann zwischen die | |
| Steine schmierte und so Stein für Stein wieder an seinen Platz setzte. | |
| Ich war damals nicht dabei, aber ich kann mir sehr gut vorstellen, wie sie | |
| dort standen und zum Ofen sprachen: „Morgen kommen unsere Kinder, um von | |
| deinem Brot zu essen.“ | |
| 28 Aug 2025 | |
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| Sahar Zator | |
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