| # taz.de -- Gewalt in Syrien: Auf Suweidas Straßen | |
| > Nach den Zusammenstößen im Südwesten Syriens Ende Juli machte unsere | |
| > Autorin schmerzhafte Entdeckungen in ihrem Viertel. Doch sie schöpfte | |
| > auch Hoffnung. | |
| Bild: Ein Bild der Zerstörung: Suweida nach den Kämpfen im Sommer 2025 | |
| Am 24. Juli, nachdem ich tagelang die [1][Kämpfe auf den Straßen] meines | |
| Viertels vom Fenster aus beobachtet hatte, beschloss ich mein Haus zu | |
| verlassen. Das war nicht einfach. Ich hatte Angst vor Scharfschützen und | |
| Minen und davor, dass ich jemanden, den ich kannte, tot in der Ecke liegen | |
| sehen würde. In den vergangenen Tagen hatte ich mich gefragt, ob meine | |
| Verwandten, Freund:innen und Nachbar:innen unversehrt geblieben waren. | |
| Ob ich die Straßen von Suweida jemals wieder so sehen würde, wie ich sie | |
| kannte. Ob ein Leben hier noch möglich war. | |
| [2][Suweida] war inzwischen zu einem [3][Katastrophengebiet] erklärt | |
| worden. Viele Gerüchte über den Ursprung der heftigen Zusammenstöße | |
| zwischen drusischen Milizen, sunnitischen beduinischen Stämmen und | |
| syrischen Regierungstruppen, bei denen laut Syrischer Beobachtungsstelle | |
| für Menschenrechte (SOHR) mehr als 1.200 Menschen, die meisten aus der | |
| drusischen Gemeinschaft, getötet wurden, kursierten. Auch hunderte Kinder, | |
| Frauen und Männer waren verletzt und entführt worden. Ich hatte gesehen, | |
| dass syrische Regierungstruppen, unterstützt von sunnitischen | |
| Beduinenmilizen, die Stadt von Westen her angegriffen, belagert und ihre | |
| Bewohner:innen in Panik versetzt hatten. | |
| Vorsichtig ließ ich die Haustür hinter mir ins Schloss fallen. Meine Straße | |
| wirkte fremd. Überall gab es jetzt Schlaglöcher im Asphalt und | |
| Einschusslöcher in den Häusern. Die vielen Zedernbäume, die früher grün und | |
| üppig den Bürgersteig säumten, waren mit Staub bedeckt und sahen so aus, | |
| als wären sie plötzlich gealtert. Viele Häuserwände waren mit wütenden | |
| Parolen gegen die Drusen und mit Treueschwüren gegenüber Übergangspräsident | |
| al-Scharaa beschmiert. Die meisten Geschäfte waren geplündert worden. Die | |
| Regale leer, die Fensterscheiben zerbrochen, auf den Böden lagen leere | |
| Verpackungen und alte Kleidung. Ich versuchte, diesen Anblick mit meinen | |
| Erinnerungen an mein altes Viertel abzugleichen. | |
| Hier war die Bäckerei, in der ich jeden Morgen Brot gekauft hatte, jetzt | |
| ohne Tür und ohne die vielen Mehlsäcke, die sonst hier standen. Dort war | |
| die Apotheke, die früher bis spät in die Nacht beleuchtet war. Jetzt war | |
| alles dunkel, so als hätte es das Geschäft nie gegeben. Die Apothekerin, | |
| eine junge, freundliche Frau, die immer viel Zuversicht ausgestrahlt hatte, | |
| war gerade damit beschäftigt, die Überreste eines Holzregals, das vor das | |
| Geschäft geworfen worden war, aufzusammeln. Sie wirkte müde. Die eigene | |
| Apotheke war nach Jahren des Studiums und harter Arbeit die Erfüllung ihres | |
| Kindheitstraums gewesen. Jetzt stand sie in den Trümmern und sagte: „Das | |
| Wichtigste ist, den Laden wieder zu öffnen, die Menschen brauchen | |
| Medikamente.“ Neben ihr kehrte ein junger Mann den Müll vor seinem kleinen | |
| Haushaltswarenladen mit den Worten: „Wir haben keine andere Wahl, als das | |
| wieder aufzubauen, was zerstört wurde“. | |
| Ein paar Ecken weiter blieb ich vor dem Geschäftszentrum stehen, in dem ich | |
| jahrelang gearbeitet hatte. Der Ort, an dem meine Kollegen und ich früher | |
| mit viel Tatendrang und Lebensfreude Schulungen für junge Menschen | |
| veranstaltet hatten, hatte sich in ein seelenloses Gebäude mit verkohlten | |
| Wänden, Möbelresten und zersplitterten Glasscheiben verwandelt. | |
| Schließlich erreichte ich das Haus meines Onkels in einem stark umkämpften | |
| Wohnviertel. Tagelang hatten sich meine Verwandten darin versteckt | |
| gehalten, das Licht ausgeschaltet und jede Minute gezählt, so als wäre sie | |
| die letzte. Während der Bombardierungen hatten wir ein einziges Mal | |
| telefoniert, wobei meine Tante wie ein verzweifeltes Kind geweint hatte und | |
| uns von den Leichnamen der Nachbarn erzählte, die erschossen worden waren | |
| und nun seit Tagen am Eingang des Hauses lagen. Dass meine Familie diese | |
| Situation überlebt hatte, glich einem Wunder. | |
| Noch immer roch die Luft schwefelig nach Schießpulver und der glimmenden | |
| Asche der Feuer, die überall gebrannt hatten. Dennoch empfand ich sie als | |
| reine Luft, jetzt da die Waffen verstummt waren. | |
| Was in meiner Stadt geschehen war, war ein schwerer Rückschlag für den | |
| Traum der Syrer:innen von einem freien Land nach Assad. Und doch gab es | |
| Momente der Hoffnung. Auf dem Heimweg sah ich Kinder auf der Straße, die | |
| mit ihren Fahrrädern lachend um die Wette fuhren – so, als hätte das Leben | |
| von Neuem begonnen. Und auch die Menschen in meiner Nachbarschaft machten | |
| weiter in dem Glauben, dass ihre Heimat wieder aufgebaut werden könne – | |
| nicht allein mit Steinen, vielmehr mit der Entschlossenheit zu leben. So | |
| wie die ältere Frau, die ich an einem Wassertank traf, an dem sie einen | |
| Eimer befüllte. Sie sagte: „Das Leben ist stärker als der Tod. Wir werden | |
| hierbleiben, egal was passiert.“ | |
| 25 Sep 2025 | |
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| ## AUTOREN | |
| Farah Al-Aqel | |
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