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# taz.de -- Wasserversorgung in Syrien: Es bleibt nur das Warten
> Der Wassertankwagen kommt, wann er will. Vielleicht auch nicht. Für das
> Leben unserer Autorin im Flüchtlingscamp wird so jeder Tropfen Wasser zur
> existenziellen Frage.
Bild: Ein Grund zu feiern: die Ankunft des Wassertankwagens
Bevor wir aus Kafr Nabl vertrieben wurden, war die Versorgung mit Wasser in
unserer kleinen Stadt im Süden der Provinz Idlib nie ein Problem gewesen.
Es floss ungehindert aus den Wasserhähnen in unseren Küchen und
Badezimmern. Wir bewässerten damit die Oliven-, Granatapfel- und
Feigenbäume in unseren Höfen und Gärten, ohne dass wir uns je Gedanken über
seine Herkunft machten. Im Sommer befüllten wir kleine Becken, damit unsere
Kinder darin planschen konnten. Bei großer Hitze besprengten wir die Höfe,
um die Böden zu befeuchten und die Häuser zu kühlen. Im Winter wusch das
Regenwasser die Straßen sauber und füllte die Brunnen. Sein trommelndes
Geräusch auf den Dächern unserer Häuser weckte uns vor Sonnenaufgang.
Damals wäre uns nie in den Sinn gekommen, dass Wasser eines Tages zu einem
knappen Gut werden könnte. Dass es ein täglicher Kampf werden würde, einen
einzigen Eimer zu bekommen, dessen Dasein Leben bedeutete und dessen Fehlen
zu mehr Durst, mehr Spannungen und Familienstreitigkeiten führte.
Sechs Jahre nach unserer Vertreibung sitze ich heute immer noch hier vor
meinem Zelt in einem weitläufigen Flüchtlingslager in der Nähe von Deir
Hassan im Nordwesten Syriens. Trotz der Befreiung unseres Dorfes von Assads
Truppen kann ich mit meiner sechsköpfigen Familie nicht dorthin
zurückkehren, denn unser Haus wurde vollständig zerstört und der
Wiederaufbau ist sehr teuer. Wir sind erst einmal gezwungen hier zu
bleiben, an einem Ort, an dem schon das Brummen des Motors des
Wassertankwagens unstillbares Verlangen auslöst. Der Wassertankwagen kommt,
wann er will. Vielleicht auch gar nicht. Es gibt keinen Terminplan oder
Uhrzeit, es bleibt nur nervenaufreibendes Warten.
Jeden Tag beginne ich mit Warten. Ich schaue auf die unbefestigte Straße,
die durch das Lager führtund sehe, wie jedes vorbeifahrendes Auto Staub
aufwirbelt. Manchmal rede ich mir ein, es sei der Tankwagen, aber meistens
ist es doch nur ein Lkw, der Gemüse an den Lebensmittelladen im Lager
liefert.
Im Sommer wird das Warten noch qualvoller. Die Temperaturen steigen auf
über 45 Grad Celsius, die Sonne ist gnadenlos, der Boden um unsere Zelte
herum ist rissig. Die Kleidung der Kinder, unser Essgeschirr, unsere Betten
– alles ist mit Staub bedeckt. In diesen heißen Stunden werden selbst die
einfachsten Entscheidungen zu einem Dilemma. Soll ich mit dem wenigen
Wasser, das ich noch habe, die Haare meiner Tochter waschen, die sich wie
ein Vogelnest verheddert haben? Oder soll ich den kleinen Granatapfelbaum
hinter dem Zelt gießen, in der Hoffnung, dass er eines Tages hoch genug
wächst, um Schatten zu spenden? Jeder Tropfen Wasser wird zur
existenziellen Frage.
## Internationale Hilfe wurde eingestellt
Manchmal lache ich dann in mich hinein. Ich kann nicht anders. Wer hätte
gedacht, dass ich einmal in einer Welt leben würde, in der das Haarewaschen
oder Gießen eines Baumes eine Entscheidung sei, die sorgfältig abgewogen
werden müsse? Mein Lachen – es ist bitter.
Denn dies ist kein vorübergehendes Problem. Internationale
Hilfsorganisationen, die uns früher alle zwei bis drei Tage mit Wasser
versorgten, haben Anfang des Jahres ihre Programme runtergefahren,
Projekte, u.a. finanziert von USAID, wurden eingestellt. Der Staat, der
eigentlich für uns verantwortlich sein sollte, ist abwesend oder sieht
tatenlos zu. Alles, was uns bleibt, ist die Großzügigkeit einzelner
Spender, also finanzielle Mittel, die den zivilgesellschaftlichen
Organisationen zur Verfügung stehen, die noch in den Lagern arbeiten.
Was mich am meisten schmerzt, ist nicht mein eigener Durst. Es sind die
Fragen meiner kleinen Tochter, die nicht versteht, warum das Wasser, das
zwei Drittel der Erde bedeckt, nicht in ihren Becher kommt. Ich versuche es
ihr zu erklären.
Manchmal sitze ich neben dem kleinen Granatapfelbaum und spreche mit ihm,
als wäre er ein Mensch. Ich sage zu ihm: „Hab Geduld, vielleicht kommt der
Wassertankwagen morgen.“ Doch die Tage vergehen und wieder ist kein Wasser
gekommen.
Das tägliche Warten zwischen dem Morgengrauen und den Mittagsstunden –
längst ist es zu einem Ritual geworden. Wir Vertriebenen stehen dann an den
Türen unserer Zelte, erzählen uns unsere Sorgen, beobachten dabei die
Straße und zählen die Stunden. Taucht der Tankwagen alle sieben oder zehn
Tage plötzlich auf, stürzen wir alle auf ihn zu. Oft geht es dabei
chaotisch zu, dennoch sind wir solidarisch miteinander und achten darauf,
dass das Wasser gleichmäßig verteilt wird. Jede Familie erhält 1.000 Liter.
In unseren Augen ist dies ein Grund zu feiern und doch bleibt die Frage:
Was, wenn der Tankwagen nie mehr kommt? Werden wir dann wie mein kleiner
Baum hinterm Zelt verdorren? Werden wir wieder allein von Hoffnung leben
müssen? Letztlich ist es nicht nur der Wassertankwagen, der kaum noch in
diese vergessene Ecke der Welt fährt. Auch staatliche Hilfe fehlt, von
Gerechtigkeit ganz zu schweigen. Trotzdem öffne ich jeden Morgen meine
Augen und schaue auf die unbefestigte Straße.
11 Sep 2025
## AUTOREN
Huda Al-Kulaib
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