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# taz.de -- Linker Populismus: Nett war gestern
> In den USA postet der Demokrat Gavin Newsom auf einmal wie Donald Trump.
> Aber das macht noch keinen linken Populismus. Und den braucht es, auch
> hierzulande.
Bild: Demokrat, der jetzt auf Metaphern aus dem Boxsport setzt: Kaliforniens de…
Den Nutzern der Plattform X bot sich Mitte August ein seltsames Bild. Gavin
Newsom, der Gouverneur von Kalifornien, begann da auf einmal so „präsidial“
zu posten wie Donald Trump. „TRUMP IST GERADE VOM PODIUM MIT PUTIN
GEFLOHEN – KEINE FRAGEN, NICHTS! TOTAL LOW ENERGY“, begann ein Post, der
auf das [1][Treffen in Alaska mit Wladimir Putin] anspielte. Newsoms Team
hatte das wohl als einmaligen Witz gedacht.
Doch der Post ging durch die Decke. Seitdem hat sich der Account des
Demokraten zur Trump-Parodie entwickelt – und seine Followerzahl etwa
verzehnfacht. Nun erscheint dort ein Bild von Newsoms Antlitz neben denen
anderer Präsidenten, und zwar in den Mount Rushmore gemeißelt („WOW!“);
ein Aufruf, ihm doch den Friedensnobelpreis zu verleihen („EINE EHRE,
DANKE!“); und auch die für Trump typische Schlussformel („DANKE FÜR EURE
AUFMERKSAMKEIT IN DIESER SACHE!“).
Gehört sich das für einen Gouverneur der respektablen Demokratischen
Partei? „Wenn Sie Probleme mit dem haben, was ich veröffentliche, sollten
Sie sich verdammt noch mal Gedanken darüber machen, was er als Präsident
veröffentlicht“, antwortete Newsom auf Fragen der Presse.
In der Tat freut man sich nach der brutalen Wahlniederlage der Demokraten
im Herbst erst mal über deren Lebenszeichen. Die betagten Parteigranden um
Nancy Pelosi und Chuck Schumer wussten nicht, wie ihnen geschehen war, und
schon gar nicht, was sie auf die diabolische Energie der MAGA-Bewegung
antworten sollten. Jetzt endlich gibt es mal so etwas wie eine
Gegendynamik.
## Er will Feuer mit Feuer bekämpfen
Newsom bringt sich also als Herausforderer Trumps in Stellung und schielt
dabei mit einem Auge auf die Präsidentschaftskandidatur 2028. Dabei helfen
ihm die Konflikte in der Bundespolitik. Im Juni [2][befahl Trump den
Einsatz der Nationalgarde in Kalifornien] und dachte laut darüber nach,
Newsom zu verhaften. Newsom zeigte sich unbeeindruckt und zog gegen Trumps
Entscheidung vor Gericht.
Als die [3][Republikaner in Texas den Zuschnitt der Wahlkreise] zu ihren
Gunsten vorantrieben, um sich weitere Sitze im Repräsentantenhaus zu
sichern, kündigte Newsom an, in Kalifornien mit dem sogenannten
Gerrymandering dagegenzuhalten. In einer Rede begrub Newsom dann auch
indirekt das Bonmot von Michelle Obama „When they go low, we go high“.
Seine neue Devise lautet: „Wir bekämpfen Feuer mit Feuer.“
Doch wie sieht das Feuer der Demokraten genau aus? Eine enthemmte
Trump-Parodie und schmutzige Polittricks können ja nicht alles sein. Und
war es nicht genau das Problem von Kamala Harris, dass niemand wusste,
wofür sie als Präsidentschaftskandidatin eigentlich stand? Auch sie hatte
[4][für ein paar Wochen ihr Meme, Kamala als brat (Göre)], Videoschnipsel,
hinterlegt zu Songs der Sängerin Charli xcx.
Woran es aber der Bundespartei – und auch Newsom – bislang mangelt, ist ein
progressives Gegenmodell zu Trumps Verfallserzählung. Es fehlt ein linker
Populismus, der nicht einfach die respektable Hülle durch krasse Rhetorik
ersetzt, sondern die Interessen der arbeitenden Bevölkerung gegen Trumps
Elitenklüngel in Stellung bringt. Auch in Deutschland können wir von diesem
Lehrstück über Inhalt und Form linker Politik profitieren.
## Populismus ist zum Schimpfwort geworden
Den Menschen in New York City bot sich am vorletzten Augustwochenende ein
seltsames Bild. Dort kamen im Stadtteil Queens Tausende Menschen zusammen,
die an einer Schnitzeljagd durch die Stadt teilnehmen wollten. Sie waren
dem Aufruf von [5][Zohran Mamdani] gefolgt, dem 33-jährigen demokratischen
Sozialisten, der für die Demokraten als Bürgermeisterkandidat antritt.
Nach der Niederlage bei den Bundeswahlen im Herbst 2024 hatte der damals
noch unbekannte Mamdani ein Video veröffentlicht. Es zeigt ihn auf der
Straßen im Gespräch mit New Yorkern, die Trump oder gar nicht gewählt
hatten. Er fragte sie, warum sie sich von den Demokraten enttäuscht
fühlten. Die hohen Preise, die Mieten, der Genozid in Gaza, so lauten
manche der Antworten. Mamdani stellt daraufhin kurz sein Programm vor und
verkündet, dass er im kommenden Jahr als Bürgermeister kandidieren will –
zur Freude seiner Gesprächspartner. Das Video ging viral.
Nun kann man von Schnitzeljagden als Wahlkampfspektakel, von der
Gamification der Politik halten, was man will. Klar aber ist: Mamdani
entwickelt gerade eine neue Art der Ansprache und des Auftretens in den
sozialen Netzwerken, mit der er es gegen alle Erwartungen geschafft hat,
den demokratischen Establishmentkandidaten Andrew Cuomo zu schlagen.
Dabei wäre es falsch, Mamdanis Erfolg nur auf sein volksnahes Auftreten zu
reduzieren. Er wurde gewählt, weil dahinter ein linkes populistisches
Programm steht. So will Mamdani Mieten deckeln, Sozialwohnungen bauen, den
Busverkehr und die Kinderbetreuung gratis machen und ein Modellprojekt mit
Supermärkten in öffentlicher Hand ausprobieren.
Mit diesen Forderungen konnte er gleich in zweifacher Hinsicht als Kandidat
gegen das Establishment auftreten: sowohl gegen Trumps MAGA-Kult in
Washington als auch gegen die parteiinternen Eliten, in diesem Fall
repräsentiert durch den besonders windigen Andrew Cuomo, Frauengrabscher
und früherer Gouverneur von New York. Das Kapital wusste indes, wo seine
Interessen liegen. Der Demokrat Cuomo bekam Hunderttausende Dollar von
republikanischen Großspendern, von denen mindestens ein Dutzend auch Trump
die Taschen gefüllt hatten.
Mittlerweile dürfte jedem klar sein, dass Trumps Hofstaat keine Bastion des
„vergessenen Amerikas“ ist, sondern [6][ein Selbstbedienungsladen für die
Superreichen.] In diesem Sinne ist seine Politik auch nicht populistisch,
auch wenn er sich in seinen Reden gerne als Tribun der einfachen Leute
aufspielt.
Der wahre Populist ist weder Trump noch dessen Parodist Newsom, es ist
Mamdani. Wenn sich das irritierend falsch anhört, dann vielleicht deshalb,
weil Populismus in den letzten Jahrzehnten zum Schimpfwort geworden ist.
Populisten, das sind doch Trump, Orbán, Weidel, rechte Widerlinge eben.
Dabei hat der Populismus seinen Ursprung eigentlich am linken Rand, und
zwar in den USA. Hier gründete sich 1892 die agrarisch-sozialdemokratische
Populist Party, die unter anderem einen Achtstundentag, eine gerechte
Steuerpolitik und die Direktwahl von Senatoren forderte. Mit anderen
Worten: eine wirtschaftliche und politische Demokratisierung.
Doch ab Mitte des 20. Jahrhunderts wandelte sich die Bedeutung von
Populismus. So beschrieb der Historiker Richard Hofstadter 1955 die
Populist Party in den USA als einen Haufen rückwärtsgewandter
Agrarnostalgiker, der sich, getrieben von der Angst vor Statusverlust,
gegen das Aufkommen der industriellen Moderne wehrte. Ihr Populismus war
für Hofstadter eine im Grunde irrationale, ressentimentgeladene Bewegung.
Diese Verschiebung hat gehalten. In den USA führte sie etwa dazu, dass
Trump und sein rassistisches Projekt als populistisch bezeichnet werden,
während es sich die Demokraten in der Rolle der aufgeklärten Technokraten
gemütlich gemacht haben. Newsom versucht nun, zumindest den Anstrich des
Anstands abzuwerfen.
Die Linken aber wollen weitergehen – sie wollen sich den Populismus
zurückholen. Die linken Demokraten Bernie Sanders und Alexandria
Ocasio-Cortez setzen etwa mit [7][ihrer Kampf-gegen-die-Oligarchie-Tour]
den Ton. Dabei reisen sie quer durchs Land, um vor teils Zehntausenden
Zuhörern die Verstrickung von Unternehmen und Milliardären mit der
Trump-Regierung anzuprangern.
Blickt man nach Deutschland, dann kann man ebenfalls beobachten, dass die
Linkspartei mit einem populistischen Rezept Erfolg hat: junge Ansprache auf
Social Media, Bürgernähe im Haustürwahlkampf (abgeschaut aus den USA) und
Fokussierung auf populäre wirtschaftspolitische Forderungen („Wir sind die
Steuersenkungspartei für die Mehrheit“).
Im Unterschied zu den US-Linken müssen sie dabei nicht mit einem
Zweiparteiensystem arbeiten, sich nicht wie bei den Demokraten in einer
großen Koalition mit Liberalen und Zentristen behaupten. Die deutschen
Linken können sticheln und auf Angriff gehen, wie sie wollen – gegen die
AfD, na klar, gegen die Merz-CDU, aber auch gegen SPD und Grüne.
So funktionieren die rhetorischen Spitzen von Heidi Reichinnek, die ja
schon in [8][Tiktok-Geschwindigkeit] spricht. So funktioniert ebenfalls der
argumentationsstarke Jan van Aken, der auch mal poltern kann. Allerdings:
Wenn van Aken im TV-Duell Sahra Wagenknecht anblafft („Halt doch mal den
Mund“), dann wird sichtbar, dass der konfrontative Stil auch schnell
maskulinistische Züge annehmen kann.
Die lassen sich auch im verbalen Zweikampf Newsom gegen Trump kaum
übersehen. Auf X gingen einige Newsom-Anhänger sogar dazu über, die
Physiognomie des jungen Gouverneurs und dessen markante Kieferpartie mit
dem rundlicheren Gesicht des jungen J. D. Vance zu vergleichen – was zeigt,
dass manche rechte Argumentationsmuster besser rechts verbleiben.
Die Ironie des neuen Pöbelpopulismus ist, dass er eigentlich mal Strategie
eines Teils der 68er war, mit derber Sprache die Befindlichkeiten der
Spießer aufzumischen. Heute sind es die Rechten, die sich als
gegenkulturelle Revolutionäre aufspielen und die vermeintlichen
Sprachregeln des Mainstreams brechen. Und da sollen Linke jetzt wieder in
die Lehre gehen? Vielleicht sollten sie sich lieber von Zohran Mamdani
abschauen, dass man Erfolg haben kann, ohne nur in Großbuchstaben zu posten
und zu sprechen. Ja, Mamdani weiß, wie Tiktok funktioniert, aber er trägt
Anzug, ist eloquent und zugewandt. Und wirkt damit wie eine modernisierte
Verkörperung der alten marxistischen Losung: radikal im Inhalt, konservativ
in der Form.
30 Aug 2025
## LINKS
[1] /Treffen-von-Trump-und-Putin/!6107287
[2] /Proteste-in-Los-Angeles/!6093469
[3] /US-Zwischenwahlen-Gerrymandering-Showdown-in-Texas-/!6105407
[4] /Kamala-ist-brat/!6026060/
[5] /Vorwahlen-um-Buergermeisterkandidatur/!6093167
[6] /Trumps-Gesetzespaket/!6095443
[7] /Protest-gegen-Trumps-Agenda/!6071677
[8] /Junge-Linkenwaehler-und-TikTok/!6068526
## AUTOREN
Leon Holly
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