| # taz.de -- Urbane Lifestyleszene in der Kritik: Tiktok to go | |
| > Start-up-Ketten verwandeln Alltagsware via Social Media in | |
| > Lifestyleprodukte. Sie erzeugen viel Müll und setzen lokale Cafés und | |
| > Imbisse unter Druck. | |
| Bild: „Life Among People“: ein Blick in einer der LAP-Coffee-Filialen in Be… | |
| Berlin taz | Für welches exklusive Gut stehen all diese Menschen bei | |
| strömendem Regen mehrere hundert Meter in der Schlange? Ist es eine neue | |
| Supreme-Kollektion? Die limitierten [1][Labubu-Plüschtiere]? | |
| Overkill-Sneaker? Nichts dergleichen. Es handelt sich um Alltagsware: | |
| Kaffee. | |
| Die LAP-Stores („Life Among People“) schießen derzeit bundesweit wie Pilze | |
| aus dem Boden. In Berlin gibt es inzwischen 13 Standorte der indigoblauen | |
| Kaffeekette, in München drei, in Hamburg wird eine weitere Filiale eröffnet | |
| – und das alles in weniger als zwei Jahren. | |
| Das Konzept ist simpel: Günstigen Kaffee verkaufen auf wenig Raum. Ein | |
| Cappuccino kostet 2,50 Euro, ein Flat White 3 Euro, Hafermilch gibt es ohne | |
| Aufpreis. LAP bezieht seine Bohnen von der [2][Berliner Rösterei 19grams], | |
| die fairen Handel verspricht. Der Trick, um die Preise zu drücken: | |
| radikaler Minimalismus. Es gibt keine sperrigen Siebträgermaschinen, bei | |
| denen der Kaffee gemahlen, gebrüht und ausgeklopft werden muss, sondern | |
| Maschinen, die vollautomatisiert arbeiten und auf Knopfdruck funktionieren. | |
| Nur die Milch wird per Hand aufgeschäumt. | |
| Die Filialen sind klein und spartanisch eingerichtet, Sitzmöglichkeiten | |
| gibt es kaum. Das Konzept ist ganz auf to go ausgelegt: Es gibt kein | |
| Geschirr und Keramikbecher, nur Papp- und Plastikbecher. Kund*innen | |
| können online vorbestellen, es gibt eine digitale Stempelkarte und | |
| ausschließlich Kartenzahlung. Das alles spart Personalzeit und Kosten. | |
| ## Kein Treffpunkt für alle | |
| Mit „Life Among People“ im Wortsinne hat das wenig zu tun. Dabei gibt die | |
| Kette an, ein Ort für Gemeinschaft sein zu wollen. „Wir erreichen Menschen, | |
| die bisher selten Kaffee to go gekauft haben“, erklärt LAP-Gründer Ralph | |
| Hage der taz: „Studierende, Schichtarbeiter*innen, Kuriere, Nachbar*innen.“ | |
| Doch LAP ist trotz niedriger Preise längst kein Treffpunkt für alle. „Das | |
| Konzept schließt bestimmte Gruppen automatisch aus“, sagt Philipp Reichel. | |
| Der Berliner kennt die Kaffeeszene bestens: Er betreibt das Isla Coffee in | |
| Neukölln, hat die [3][Berlin Coffee Week], eine jährliche Kaffeemesse, | |
| mitinitiiert und das Röstkollektiv Communal Coffee gegründet, in dem sich | |
| Röstereien Produktionsflächen teilen. „Die kühle Edelstahl- und Betonoptik | |
| richtet sich klar an eine jüngere, urbane Generation“, sagt Reichel. Viele | |
| Menschen würden auch das Lifestylebranding, das konsequente Marketing auf | |
| Englisch sowie die digitale Ausrichtung abschrecken. | |
| Andere zieht genau das an. Während die Gemeinschaft in den Stores fehlt, | |
| boomt die Community im digitalen Raum. Der indigoblaue To-go-Becher wird | |
| wie ein Statussymbol durch die Straßen getragen. Wer ein Foto davon postet, | |
| signalisiert Zugehörigkeit. Die Community ist jung, urban, überwiegend weiß | |
| und orientiert sich an einem glatten, hippen Lebensstil. | |
| Kaffee wird bei LAP nur am Rande verkauft – verkauft wird vielmehr ein | |
| Lifestyle. Auf den Social-Media-Kanälen greift LAP aktuelle Tiktoktrends | |
| auf, nachgestellt von jungen Mitarbeiter*innen. Ergänzt wird das durch | |
| Formate, die Einblicke in den Arbeitsalltag geben oder Events in Szene | |
| setzen. „Das ganze Konzept basiert auf Cross-Marketing und Eventisierung“, | |
| erklärt Philipp Reichel. „Und die Kund*innen haben Bock auf Events, sie | |
| wollen Teil von etwas sein und sich selbst inszenieren.“ | |
| ## Kaffee zum Lifestyleprodukt aufwerten | |
| Ob Beauty-Event mit der Kosmetikmarke Sol de Janeiro, Kooperation mit der | |
| Streetwear-Marke 032c, der Sportmarke Lululemon, der Dating-App Bumble oder | |
| dem Lifestylemagazin Highsnobiety – LAP koppelt Kaffee mit Hype-Marken. | |
| Dazu kommen „Sunday Runs“ mit Adidas, Live-Painting-Vernissagen oder | |
| Kaffee-Raves am Morgen. Das Ziel der permanenten Inszenierung: FOMO – „Fear | |
| of Missing Out“ – erzeugen und den Kaffee zum Lifestyleprodukt aufwerten. | |
| Während eine bestimmte Szene LAP feiert, stößt das Konzept bei anderen auf | |
| Kritik. Ein häufiger Kritikpunkt: [4][der Verpackungsmüll]. Zwar hat LAP | |
| inzwischen das Mehrwegsystem Recup eingeführt, doch Reichel hält das für | |
| Augenwischerei: „Es gehört schließlich zum Branding, sich mit den | |
| LAP-Bechern ablichten zu lassen.“ | |
| Kritisiert wird zudem die Verdrängung von kleinen Cafés und Gastronomien. | |
| Cafés ohne Investorengelder können mit den niedrigen Preisen von LAP kaum | |
| konkurrieren. Orte wie das Café Três am Kottbusser Tor in Kreuzberg oder Al | |
| Ghazali, ein Shawarma-Imbiss am Boxhagener Platz in Friedrichshain, mussten | |
| wegen der hohen Mieten nach Jahrzehnten schließen – in beiden sind nun | |
| LAP-Filialen. „Das ist unangenehm zu beobachten und tut weh“, sagt Reichel. | |
| Cafés und Gastronomie sollten ultimativ soziale Orte für Austausch sein. | |
| „LAP ist das Gegenteil: Sie tun auf kiez- und community-orientiert, dabei | |
| verdrängen sie gerade jene Orte, die wirklich nachbarschaftlich geprägt | |
| sind“, sagt Reichel. LAP-Gründer Hage entgegnet: „Wir eröffnen in | |
| Mikro‑Lagen und dort, wo Nachfrage klar ist – nicht Tür an Tür mit | |
| langjährigen Indie‑Cafés.“ | |
| ## Wachstum und Effizienz | |
| Doch in der Café-Szene sorgt LAP für Frust. Viele befürchten, dass bald | |
| auch in ihrer Nähe eine Filiale aufmacht und ihnen Kundschaft wegnimmt. | |
| Ärger entstehe auch, weil viele Betriebe an Werten wie Gemeinschaft und | |
| Nachhaltigkeit festhielten, während LAP kompromisslos auf Wachstum und | |
| Effizienz setze, so Reichel. „Wir sind aber auch neidisch“, räumt er ein. | |
| „Wir haben verpasst, digitaler zu werden, etwa durch automatisierte | |
| Prozesse oder KI-Lösungen in der Rösterei.“ | |
| Langsam wächst auch im Kiez der Widerstand. Auf Google Maps häufen sich | |
| negative Rezensionen von Anwohner*innen. Und auf Instagram formiert sich | |
| unter „Resist LAP“ Protest gegen das, was dort „Life Among Profits“ gen… | |
| wird. | |
| Denn hinter dem 2023 in Berlin gegründeten Unternehmen stehen zwei | |
| Koryphäen aus der Start-up-Szene: Ralph Hage (Ex-Delivery Hero, Gründer des | |
| Lieferdienstes Yababa) und Tonali Arreola (ehemals bei Lime und Flink). | |
| Investoren sind große Venture-Capital-Fonds aus den USA, wie HV Capital und | |
| Foodlabs, die auf schnell skalierbare Konsummarken setzen. | |
| Philipp Reichel glaubt jedoch nicht, dass der Hype von Dauer sein wird. | |
| „Sobald LAP kleine Cafés verdrängt hat, werden sie die Preise anziehen, um | |
| wirtschaftlich zu bleiben – und damit an Attraktivität verlieren“, sagt er. | |
| Zudem sei die Strategie, über laute Events und Kollaborationen Sichtbarkeit | |
| zu erzeugen, kurz gedacht: „Social-Media-Hypes sind schnelllebig und können | |
| genauso schnell wieder kippen.“ | |
| ## Schlangen ziehen sich über Hunderte Meter | |
| Doch derzeit funktioniert das Konzept. Und LAP ist damit nicht allein: Auch | |
| andere Marken verwandeln durch Lifestylemarketing via Social Media banale | |
| Produkte in begehrte Lifestyleobjekte. So etwa die Berliner Burgerkette | |
| Goldies oder die Fastfoodkette Munchies. Letztere eröffnete Ende 2023 eine | |
| Filiale im Bergmannkiez, inzwischen gibt es weitere in Charlottenburg und | |
| am Alexanderplatz. Die Schlangen ziehen sich über Hunderte Meter, in der | |
| Filiale am Alex kämen im Schnitt täglich 1.000 bis 1.500 Gäste, so der | |
| Geschäftsführer zur taz. | |
| Das Ziel: 2026 soll es in jeder größeren Stadt in Deutschland Munchies | |
| geben. Munchies bietet mexikanische und US-amerikanisches Fastfood: Burger, | |
| Pommes, Birria Tacos – alles in Einwegverpackungen. Besonders bei | |
| Jugendlichen ist der Halal-Imbiss beliebt. Vor der Eröffnung am | |
| Alexanderplatz campierten Jugendliche ab 5 Uhr morgens, um zu den ersten | |
| Gästen zu gehören. | |
| Auch bei Munchies spielen Tiktok, Influencer*innen und | |
| Food-Blogger*innen eine zentrale Rolle. Das Essen ist Nebensache, im | |
| Vordergrund steht das Community-Gefühl: aktuelle Tiktoktrends werden | |
| aufgegriffen oder Aktionen wie Schnitzeljagden mit Gutscheinen gezeigt, die | |
| Nutzer*innen im echten Leben suchen. Auch sie arbeiten mit Marken wie | |
| Lamborghini zusammen. Vor der Eröffnung am Alexanderplatz wurden VIPs | |
| (Influencer und Blogger) exklusiv eingeladen – und alles sorgfältig auf | |
| TikTok und Instagram dokumentiert. Doch auch Munchies stößt bei den | |
| Anwohner*innen auf Kritik. Wieder ist der Verpackungsmüll ein zentrales | |
| Problem – denn im Bergmannkiez gibt es wie bei LAP keine Sitzplätze. | |
| Doch Verdrängung, Gentrifizierung und Umweltbelastung scheinen die urbane | |
| Lifestyleszene kaum zu stören, solang eins stimmt: der | |
| Social-Media-Auftritt. | |
| 23 Aug 2025 | |
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| ## AUTOREN | |
| Lilly Schröder | |
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