# taz.de -- 150 Jahre Hermannsdenkmal: Krieger im Minirock | |
> Seit 150 Jahren gibt es das Hermannsdenkmal bei Detmold. Der Tourimagnet | |
> wurde schon immer auch politisch in Stellung gebracht – vor allem von | |
> rechts. | |
Bild: Hermann guckt seine Besucher:innen nie so richtig an – sondern nach Rom… | |
Allein schon dieser Name: Hermann. So heißt der berühmte cheruskische | |
Kriegsherr, seit er als erster Deutscher herhalten muss, als germanischer | |
Stammvater und Identitätsstifter der großen Nation und als Befreier vom | |
römischen Imperialismus. Natürlich kann so einer nicht römisch Arminius | |
heißen, sondern eben Heer-Mann, sozusagen als Berufsbezeichnung. Angeblich | |
hat Martin Luther sich das ausgedacht, aber wer weiß das schon? Heute ist | |
Hermann vor allem für zwei Dinge bekannt. Für eben die gewonnene | |
Varusschlacht gegen die Römer und für sein kolossales Denkmal bei Detmold | |
in Nordrhein-Westfalen. Und das ist gerade 150 Jahre alt geworden. | |
Bei dieser Zahl muss man allerdings direkt wieder innehalten. Denn klar: | |
Das ist zwar ein recht stattliches Alter, aber doch irgendwie auch nicht. | |
Immerhin ist das Bauwerk einer Schlacht im Jahre 9 nach Christus gewidmet | |
und umgeben von so einem Nimbus sonderbarer Zeitlosigkeit. Es wirkt, als | |
hätte der Hermann einfach schon immer hier gestanden, in heroischer Pose, | |
mit Asterix-Helm – und dem gen Westen zum Himmel gereckten Schwert. | |
Tatsächlich ist auch am Feierwochenende auf dem Berg mindestens so viel von | |
Germanen die Rede wie vom 19. Jahrhundert, Nationalstaat und Kaiserreich. | |
Zu einem Familienfest hatte man geladen mit Tanz, Musik, Fernsehmoderator | |
Uwe Hübner, einer Nachtwanderung und reichlich „Detmolder Thusnelda“ – | |
einem lokalen, nach Hermanns Frau benanntem Bier. Das Wetter war gut, die | |
Stimmung auch. Nur der eigens aufgestockte Shuttleverkehr kam zwischendurch | |
an seine Grenzen, weil es eben doch sehr voll war. | |
Germanen sind interessanter als das Kaiserreich, lässt diese Stichprobe | |
zumindest vermuten. Dabei ist die kolossale Statue selbstverständlich ein | |
Kind ihrer Zeit. Eben zumindest auch im Bedürfnis geschaffen, die deutsche | |
Kleinstaaterei abzuwickeln und eine gesamtdeutsche Identität zu begründen. | |
Auch sonst steckt sehr viel Zukunftsgewandtheit in dem Projekt. Denn | |
zumindest das lässt sich zweifelsfrei festhalten: Ernst von Bandel, der | |
1800 in Ansbach [1][geborene Bauherr], hat ein technisches Meisterwerk | |
vollbracht. Für volle zehn Jahre galt die Statue als höchste der westlichen | |
Welt, bis ihr die Freiheitsstatue in New York über den Kopf wuchs. Die | |
größte in Deutschland ist sie auch heute noch. Zum Vergleich: Die etwa zur | |
gleichen Zeit entstandene „Goldelse“ auf der Berliner Siegessäule misst | |
8,32 Meter. Die Hermann-Figur ist ohne Sockel 26,57 Meter hoch, allein das | |
Schwert etwa 7. | |
Dass Bandel über der 40-jährigen Arbeit an seinem Lebenswerk finanziell und | |
kräftemäßig fast zugrunde ging, wird in Detmold auch heute noch honoriert. | |
Auch wenn seine bis dahin konservierte Hütte Ende 2021 abgebrannt ist, gibt | |
es doch einen Gedenkstein für ihn und auch einen würdigen Auftritt in der | |
begleitenden Ausstellung am Besucherzentrum. | |
## Das Schwert gen Westen | |
Aber zurück zum Hermann nach Detmold. Vom Parkplatz aus steigt man ein paar | |
Meter auf den Berg und guckt dem germanischen Krieger erst mal eine Weile | |
auf den im kurzen Rock verpackten Hintern. Denn der kupferne Hermann | |
interessiert sich weniger für das von hinten annahende Publikum, als für | |
das umliegende Bergland. Und für Frankreich, das irgendwo weit dahinter | |
liegt. „Deutsche Einigkeit, meine Stärke – meine Stärke, Deutschlands | |
Macht“, steht auf dem Schwert. Was Hermann-Fans bis heute als Ausdruck von | |
Freiheitswillen verstanden wissen wollen. | |
Doch Zeitgeschichte hin oder her: Es ist ein monumentaler Eindruck, dem man | |
sich tatsächlich nur schwer entziehen kann. Kein Wunder, dass bis heute | |
immer mal wieder auch Rechtsextreme hier oben aufmarschieren, um mit | |
leuchtenden Bengalos vor Hermann zu posieren und sich schnell wieder zu | |
verkrümeln. Wie man weiter unten auf den Zufahrtsstraßen sehen kann, hat | |
sich die AfD für die anstehenden Kommunalwahlen in NRW sogar gleich den | |
ganzen Hermann aufs Plakat gedruckt, mit der Botschaft „Ich würde AfD | |
wählen“. | |
Man kann sich die Mühe wohl sparen, die historischen Ereignisse um das Jahr | |
Null unserer Zeitrechnung im Detail mit den Träumen, Wünschen und | |
Blödheiten irgendwelche Rechter zu vergleichen. Vielleicht hat die | |
Vorgeschichte des Denkmals ohnehin die Sphäre der Relevanz hinter sich | |
gelassen. Und ist ins Reich der Mythen auf- und übergegangen. Wer genauer | |
wissen will, was damals los war, kann das im Original beim römischen | |
Geschichtsschreiber Tacitus nachlesen – oder halt in der Wikipedia. Für das | |
Denkmal allerdings ist das aber ehrlich gesagt wurscht. | |
Und das Interesse lässt auch wirklich nach: Selbst der Schauplatz der | |
Varusschlacht, über den vor wenigen Jahren noch erbittert gestritten wurde, | |
interessiert heute vor allem nur noch das regionale Tourismusmanagement in | |
eben Detmold oder halt Kalkriese bei Osnabrück. | |
Und darin liegt auch das eigentlich Interessante dieses Denkmals. Weil es | |
trotz seiner vorsätzlichen Bedeutung für deutsche Einigkeit und 2.000 Jahre | |
Geschichte schon zur Eröffnung als Booster für Tourismus und ideelle | |
Bedeutung der Region galt. Den „klassischen Morast“, wie Heine in seinem | |
Wintermärchen spöttisch schreibt, „wo Varus stecken geblieben“. | |
Am Eröffnungstag 1875 war der Kaiser da, mit Tausenden Schaulustigen und | |
einem Anhang aus Promis und Presse. Man hatte die Stadt geschmückt und | |
Souvenirnippes hergestellt und kurz war Detmold so richtig wichtig. | |
Zweifellos ist die Region bis heute vor allem für das Denkmal bekannt, um | |
das nahezu immer irgendwelche Kinder auf Klassenfahrt herumschleichen. | |
500.000 Besucher:innen pro Jahr zählt man, mit gerade sogar leicht | |
steigender Tendenz dank aufgewerteter Begleitausstellung. | |
Auch am Montag nach der großen Feier sind längst wieder welche auf dem | |
Berg. Sehr zur Freude der Arbeiter:innen, die hier mit schwerem Gerät noch | |
beschäftigt sind, die Bierbuden vom Wochenende abzubauen. Es geht aber | |
trotzdem gut voran: Nur noch ein kleiner Berg zusammengekarrter Müllsäcke | |
wartet noch auf Abholung und dann wird’s das gewesen sein mit dem Jubiläum. | |
## Feste feiern, wie sie fallen | |
So wie mit all den mehr oder weniger runden Jubiläen davor. Wobei es sich | |
durchaus lohnt, die früheren Feste nochmal etwas genauer in den Blick zu | |
nehmen. Im Detmolder Rathaus, ein paar Kilometer vom Denkmal entfernt, gibt | |
es eine gute Gelegenheit dazu. Das Stadtarchiv hat hier eine kleine | |
Ausstellung auf die Beine gestellt: „Die Stadt und ihr Denkmal – 150 Jahre | |
Hermannsdenkmal“. Und da ist etwa zu lesen, dass man – von wegen Zeitgeist | |
– zwei Tage vor der Eröffnung des Denkmals schnell noch ein zweites | |
präsentiert: Ein Kriegerdenkmal für den Sieg über Frankreich. Das 50. | |
Jubiläum etwa, im Jahr 1925, stand dann bereits vollständig im Zeichen des | |
aufziehenden Faschismus. Stahlhelm und Jungdeutscher Orden dominierten die | |
Feierlichkeiten und agitierten hier gegen den Friedensvertrag von | |
Versailles. | |
Noch 25 Jahre später zog gleich wieder ein anderer Revanchismus um den | |
Hermann: Anlässlich des 75. Jubiläums soll Detmolds Bürgermeister Richard | |
Moes (CDU) versucht haben, das Denkmal im Kontext Deutscher Einheit zu | |
präsentieren. Was letztlich daran gescheitert sei, dass die Sause dem | |
Bundespräsidenten und anderen Promis zu heikel war – gerade mal fünf Jahre | |
nach Ende des Zweiten Weltkriegs. | |
Vielleicht kann man sagen, dass der Kult ums Denkmal sich ungefähr hier von | |
der Tagespolitik gelöst hat und in die geschichtswissenschaftliche und eine | |
alltägliche Phase eintrat. Größter Aufreger in der zweiten Hälfte des 20. | |
Jahrhunderts: Zum Aufstieg Arminia Bielefelds in die 1. Bundesliga wird dem | |
Hermann (mit einigem Aufwand) [2][ein Trikot des Vereins übergezogen]. | |
Es wird also ruhiger um den Hermann, den bereits erwähnten Ausreißern nach | |
rechts zum Trotz. Und einen gab es auch links: Denn während das Denkmal | |
insgesamt betont unpolitisch verhandelt wurde, erreichte die Junge Linke | |
zum 125. noch einmal bundesweite Szeneaufmerksamkeit. Unter der | |
antinationalen Parole „Den Mythos angreifen – die Sache treffen“ | |
postulierte das Bündnis: „Das Hermannsdenkmal kann, muss und wird gesprengt | |
werden.“ Tatsächlich dürfte es damals zur Jahrtausendwende einige gegeben | |
haben, denen das nationalistische Programm des vermeintlich zeitlosen | |
Klassenfahrtziels plötzlich wieder in den Sinn kam. | |
## Zeitalter der Verortung | |
Heute, ein weiteres Vierteljahrhundert später, gehört die Politik von einst | |
ganz selbstverständlich zum Begleitprogramm der Sehenswürdigkeit. Das | |
gerade erst eingeweihte [3][„Hermanneum“] am Parkplatz etwa macht die | |
konkurrierenden Deutungsversuche sogar zu seinem Kernprogramm: Auf der | |
Leinwand eines 180-Grad-Kinos sitzt hier etwa ein animierter Arminius und | |
kommentiert kopfschüttelnd in traurigen Ton, was man so alles über ihn | |
sagte und schrieb. Eine Postkarte mit der Aufschrift „Wir kämpfen unter | |
Hermanns Zeichen bis alle unsere Feinde bleichen!“ ist dort zu sehen, wie | |
auch die NS-Parole „Macht frei das Hermannsland“. | |
Und vielleicht sind das sogar die spannendsten Fragen zum 150. Geburtstag | |
Deutschlands größten Denkmals: Wie wirkmächtig sind die behutsam von | |
Geschichtswissenschaftler:innen aufbereiteten Fakten in der Masse? | |
Lässt die kritische Verortung im Besucherzentrum irgendwann die | |
martialischen Fußballsticker mit Hermann-Aufdruck vom Klo nebenan | |
verschwinden? Und: Verträgt sich auf Heimatgefühl und Idyll setzendes | |
Regionalmarketing auf Dauer mit dem kritischen Anspruch wissenschaftlicher | |
Begleitung? | |
Vielleicht muss man nicht bis zum 175. warten, um hier weiterzukommen. Denn | |
bereits im November eröffnet das Lippische Landesmuseum Detmold die | |
Ausstellung [4][„Denk:Mal! 150 Jahre Hermannsdenkmal“], die explizit fragen | |
wird nach Erinnerungskultur, politischen Deutungen und dem internationalen | |
Blick aufs Regionale. Und wenn man schon in der Gegend ist, lässt sich | |
natürlich auch das Monument selbst (neu) anschauen. | |
23 Aug 2025 | |
## LINKS | |
[1] https://www.hermannsdenkmal.de/wissenswertes/der-erbauer-ernst-von-bandel/ | |
[2] /Pokalfinalist-Arminia-Bielefeld/!6086336 | |
[3] https://www.hermannsdenkmal.de/hermann-erleben/hermanneum/ | |
[4] https://lippisches-landesmuseum.de/sonderausstellungen/denkmal-150-jahre-he… | |
## AUTOREN | |
Jan-Paul Koopmann | |
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