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# taz.de -- Pokalfinalist Arminia Bielefeld: Gemeinsam auf und nieder
> An der Arminia kommt man in Bielefeld nicht vorbei. Der Klub, der ständig
> zwischen den Extremen pendelt, ist identitätsstiftend wie kaum ein
> anderer.
Bild: Ein 130 Quadratmeter großes Arminia-Trikot für den Namensgeber des Vere…
Thomas Steinbicker kann manch eine Anekdote zum Pokalfinalisten Arminia
Bielefeld erzählen. Wie jene zur wilden Partynacht im Wintertrainingslager
1997 auf Zypern, in der der damals 19 Jahre alte Steinbicker und ein Freund
als einzige Arminia-Fans vor Ort waren und mit den Bielefelder
Bundesligaspielern auf der Straße Sirtaki tanzten. Dass davon keine Bilder
überliefert sind, lag an [1][Stefan Kuntz,] der als Europameister zur
Arminia gewechselt war und zu Beginn der Partynacht die Batterien aus den
Fotokameras der beiden Fans einkassiert hatte.
Eine andere Anekdote handelt davon, wie Steinbicker in den 1990er Jahren
als Jugendlicher mit Freunden mehrmals in Nächten vor Heimspielen die
Torpfosten auf der Bielefelder Alm in den Vereinsfarben schwarz-weiß-blau
anmalte. Die Lokalpresse berichtete. Bei einem weiteren Versuch ließen die
Jungs ihre Farbeimer zunächst auf einem Spielplatz zurück, weil auf der Alm
mitten in der Nacht komischerweise das Flutlicht brannte. Als sich die
Schüler ins Stadion geschlichen hatten, machten sie Bekanntschaft mit einem
Kripo-Beamten, der nach den Pfostenmalern fahndete. „Wir haben ihm
erklärt, dass wir große Fans der Arminia sind und die Alm einmal im
Mondschein bewundern wollten“, erzählt Steinbicker. Der Polizist habe für
dieses romantische Bedürfnis Verständnis gezeigt. Die Pfostenmaler wurden
nie gefasst.
Es sind nicht immer solch spektakuläre Anekdoten, die die gut 330.000
Einwohner in Bielefeld zur Arminia erzählen können. Aber irgendeine
Geschichte verbindet doch viele mit dem Verein. Allein schon, weil man an
der Arminia gar nicht vorbeikommt. Die Alm steht im Herzen der Stadt in
einem Wohngebiet zwischen dem Zentrum und der Universität, unweit des
Siegfriedplatzes. In Berlin entspräche das ungefähr dem Kiez Friedrichshain
und in München dem Glockenbachviertel. Mehr Nähe zu den Menschen geht schon
räumlich kaum.
Bei Abendspielen ist das Flutlicht aus vielen Teilen der Stadt zu sehen,
oft lässt sich das Raunen des Publikums vernehmen. Als die Alm noch nicht
komplett überdacht war und der Schall vom Wind hinausgetragen werden
konnte, waren die Torschreie sogar in mehreren Kilometern Entfernung zu
hören. Der Verein prägt das Stadtbild, ob durch Fahnen, Graffiti oder
Aufkleber. Es gibt sogar eine Arminia-Tankstelle, die 12. Mann heißt und in
den Vereinsfarben gestaltet ist. Generationen von Teenagern gingen direkt
neben dem Stadion zur Schule und zum Sportunterricht in die Almhalle, in
der sich früher auch die Profikicker umzogen.
## 23 Auf- und Abstiege
Bei manchen Bielefeldern führte die Bindung so weit, dass sie mit ihrer
Vespa stundenlang zu einem Auswärtsspiel der Oberliga Westfalen in
Erkenschwick fuhren. Oder sie stibitzen der Mutter, die als Burgwartin
arbeitete, die Schlüssel und hissten 1995, als der Aufstieg in die zweite
Liga nach sieben Jahren der Drittliga-Tristesse endlich gelungen war,
Arminias Fahne auf der Sparrenburg, die über der Stadt thront. Aus dem
damaligen Jugendstreich entwickelte sich eine offizielle Tradition.
Anlässe gab es ja genug. Seit 1970, als es die Arminia in die erste ihrer
19 Bundesliga-Saisons geschafft hatte, häufte sie 23 Auf- und Abstiege
zwischen erster, zweiter und dritter Liga an, oft in schneller Folge.
Allein in die Bundesliga ist sie je achtmal aufgestiegen und wieder
abgestiegen.
Ständig pendelt dieser Verein zwischen den Extremen: zum Aufstieg und
danach zur maßgeblichen Beteiligung am Bundesligaskandal, zu einem 4:0-Sieg
beim FC Bayern mit anschließendem Abstieg oder zu einer 1:0-Führung und
einem 1:1-Pausenstand bei Borussia Dortmund, um noch 1:11 zu verlieren.
Zwei achte Plätze am Ende der Bundesligasaisons 1982/83 und 83/84 waren
bisher das Maximum. Dreimal war die Arminia zudem in den Pokalhalbfinals
2005, 2006 [2][und 2015] ausgeschieden. Zwischen 2022 und 2024 wäre
Bielefeld beinahe dreimal hintereinander abgestiegen, von der Bundesliga
bis in die Regionalliga. Gefühlschaos pur.
Es ist für diesen Verein nur konsequent, dass ihm ein Jahr nach der knappen
Rettung vor der Viertklassigkeit der Aufstieg in die zweite Liga gelingt
und zudem durch den Einzug ins Pokalfinale sein größter Erfolg.
Sensationell gelungen war dieser der Mannschaft von Trainer Mitch Kniat,
39, durch jeweils verdiente Siege gegen den Zweitligisten Hannover 96
(2:0) sowie die Bundesligisten Union Berlin (2:0), SC Freiburg (3:1),
Werder Bremen (2:1) [3][und Bayer Leverkusen (2:1).] Die Werkself war der
deutsche Meister und Pokalsieger der vergangenen Saison, ihr Kader ist fast
80-mal so viel wert wie der der Arminia. Es ist also auch eine Geschichte
für alle Fußballromantiker, weit über Bielefeld hinaus.
## Traum von der Europa League
Sollte die Arminia auch noch das Pokalfinale [4][gegen den VfB Stuttgart]
am 24. Mai gewinnen, stünden kommende Saison acht Spiele in der Europa
League an und zuvor die Partie um den Supercup gegen den deutschen Meister
FC Bayern. Die Fans singen längst von Reisen durch Europa. Die Euphorie in
Bielefeld und Ostwestfalen ist ungefähr so groß wie jenes 130 Quadratmeter
große Arminia-Trikot, mit dem das Hermannsdenkmal zehn Tage vorm
Pokalfinale eingekleidet wurde. Deutschlands höchste Statue erinnert an den
Namensgeber des Vereins, den Cherusker Arminius, der den Römern im Jahre 9
nach Christus eine ihrer größten Niederlagen beibrachte. „Niemand erobert
den Teutoburger Wald“, heißt in Anlehnung daran ein Slogan des Vereins,
„stur, hartnäckig, kämpferisch“ und „auf und nieder, immer wieder“ la…
weitere.
Für die Arminia wäre es nur logisch, wenn sie ihren aktuellen Flow noch
eine Weile fortsetzen sollte, ehe sich dieser wieder ins Gegenteil
verkehrt. Wahrscheinlich haben gerade dieser Wankelmut und die tiefen
Abstürze auch viel damit zu tun, dass der selbsternannte „Club der
Ostwestfalen“ so leidenschaftliche Fans hat. „Weil wir wissen, wie es sich
anfühlt, unten zu stehen, sind wir in der Lage, Siege zu feiern wie andere
nur Titelgewinne“, heißt es bei der Arminia. Uli Zwetz, 64, hat die
Ausschläge fast alle miterlebt, zunächst als Zuschauer und später als
Reporter von Radio Bielefeld, bei dem er anfangs mit dem Comedian Matze
Knop über die Arminia berichtete. Seit 1996 hat Zwetz nur zwei
Arminia-Spiele verpasst. „Fußball ist natürlich immer volatil, aber für die
Arminia gilt das erst recht“, sagt Zwetz, „als Fan dieses Vereins muss man
eine Leidensfähigkeit und Frustrationstoleranz haben“.
Wirklich ergründen kann er die Ambivalenz des Klubs aber nicht, der auch
finanziell schon mehrfach am Ende war. Dabei passt das gar nicht zur
bodenständigen Mentalität in der durchaus wohlhabenden Region des
Mittelstands. „Ich frage mich immer: Warum bekommt man diese
ostwestfälische Stabilität bei der Arminia nicht rein?“, sagt Zwetz. Er
verweist auf Freiburg und Mainz, zwei deutlich kleinere Städte, deren
Vereine sich in der Bundesliga etabliert haben. Dabei hätte auch die
Arminia gute Voraussetzungen dafür. Wie die Menschen stehen die Unternehmen
der Region fest hinter dem Verein, darunter Großkonzerne wie Dr. Oetker und
der Hauptsponsor Schüco.
Das beste Beispiel dafür war das 2017 ins Leben gerufene und im deutschen
Profifußball einzigartige Konstrukt Bündnis Ostwestfalen, in dem sich
Unternehmen der Region zusammenschlossen, um die hoch verschuldete Arminia
vor der Insolvenz zu bewahren.
## Die Bielefeld-Verschwörung
Durch die Arminia entdecken auch die Ostwestfalen ihr sonst gut kaschiertes
Temperament. Die Alm genießt bundesweit den Ruf, ein besonders
stimmungsvolles Stadion zu sein. Die Stadt allerdings hat ein nicht ganz so
tolles Image. Studien ermittelten Bielefeld mehrfach als deutschen
Durchschnitt. Mit der sogenannten Bielefeld-Verschwörung wurde sich darüber
lustig gemacht, dass es die Stadt angeblich gar nicht gebe. In Bielefeld
geht man damit meist selbstironisch um.
Der Soziologe Thomas Faist von der Uni Bielefeld begründet das
leidenschaftliche Verhältnis vieler Menschen zur Arminia auch mit dem
großen sozialen Engagement des Vereins durch Kooperationen mit
Behinderteneinrichtungen, Schulen oder im Kunstbereich. „Arminia ist sehr
präsent in der Stadtgesellschaft“, sagt Faist, er spricht von
„Vergemeinschaftungsprozessen“ sowie einer „gefühlten Zusammengehörigke…
aller Beteiligten“. Der seit 2009 amtierende Oberbürgermeister Pit Clausen
verweist auf Anfrage ebenfalls auf Arminias soziales Engagement. Die vielen
Aktionen und die Nahbarkeit „begründen das Gefühl, dass Arminia ein Teil
Bielefelds ist und nicht nur eine Profi-Fußballmannschaft“, sagt der
SPD-Politiker, „Arminia ist in hohem Maße identitätsstiftend für Bielefeld
und die Region.“
Jetzt also das Pokalfinale in Berlin, wo Zehntausende Arminia-Fans erwartet
werden. Thomas Steinbicker, der inzwischen 47 Jahre alt ist, wird im
Olympiastadion sein und darauf hoffen, dass der herrlich unperfekte
Traditionsverein noch eine Überraschung schafft und seinen ersten großen
Titel überhaupt gewinnt, exakt drei Wochen nach seinem 120. Geburtstag.
Europas Torpfosten und Burgen sollten sich schon mal in Acht nehmen.
24 May 2025
## LINKS
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## AUTOREN
Maik Rosner
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