| # taz.de -- Ausstellung zur Varusschlacht: Feier der Verwestlichung | |
| > Zweitausend Jahre nach der blutigen Schlacht zwischen Römern und Germanen | |
| > widmet sich eine länderübergreifende Ausstellung dem Ereignis und seinen | |
| > Folgen. | |
| Bild: Deutschland hat die Römer wieder lieb: Angela Merkel und Christian Wulff… | |
| Es war das größte Debakel, das die Truppen bei Out of Area erlebten. | |
| Jahrelang mühten sich militärische und zivile Kräfte um den Aufbau einer | |
| Bürgergesellschaft in der unterentwickelten Region. Sie bauten Straßen, | |
| betrieben Stadtentwicklung, förderten die Wirtschaft. Viele andere Regionen | |
| hatten sie auf diese Weise schon in ihre Wertegemeinschaft integriert. | |
| Umso erstaunter waren sie, dass all dies zum ersten Mal nichts fruchtete. | |
| Immer mehr Soldaten starben bei Überfällen der lokalen Warlords. Beim | |
| schlimmsten Anschlag waren 15.000 Tote zu beklagen. Danach mühten sich die | |
| Einsatzkräfte noch einige Jahre, bis die Politik den Abzug befahl. Der | |
| Traum von der globalen Expansion der eigenen Wohlstandsordnung war | |
| endgültig gescheitert. | |
| Genau zweitausend Jahre ist es nun her, dass drei römische Legionen im | |
| rechtsrheinischen Germanien fast spurlos verschwanden. Angeführt von dem | |
| erfahrenen Politiker und Militär Publius Quinctilius Varus, der sich in | |
| aussichtsloser Lage selbst das Leben nahm. Attackiert von Leuten, über die | |
| man bis heute wenig weiß - außer dass ihr Anführer Arminius zuvor schon im | |
| Begriff gewesen war, in den Diensten des Imperiums Karriere zu machen. | |
| Man muss nicht den Einsatz in Afghanistan bemühen, um zu wissen: Die Römer, | |
| das sind wir heute selbst. Fast ein halbes Jahrtausend lang haben sich die | |
| Deutschen mit allerlei Verkrampfungen bemüht, aus dem antiken Arminius | |
| einen modernen Hermann zu machen, ein Vehikel des antiwestlichen | |
| Ressentiments. Wie manch andere Verirrung der deutschen Geschichte, so | |
| begann auch diese mit Martin Luther - und endete mit dem Untergang des | |
| Nationalsozialismus. Dem Ereignis widmet sich eine Großausstellung in jenem | |
| westfälischen Bermudadreieck, in dem sich die Soldaten Roms einst verloren. | |
| Von der Versuchung, sich mühsam an dem Mythos abzuarbeiten, hält sie sich | |
| wohltuend fern. Mit bemerkenswerter Beiläufigkeit erzählt sie die | |
| Geschichte so, wie man sie heute erzählen muss - aus der Perspektive des | |
| Imperiums, dessen Erbe wir angetreten haben, ob wir es nun wollen oder | |
| nicht. | |
| Schon geografisch liegt der Ausgangspunkt im Westen. "Imperium" ist der | |
| erste und glanzvollste Teil der Ausstellung überschrieben, im westfälischen | |
| Haltern, dem Ort der größten römischen Militärbasis rechts des Rheins. So | |
| knapp wie treffend schildern die Kuratoren zunächst den Aufstieg Roms, das | |
| seinen Ursprung auf den trojanischen Flüchtling Aeneas zurückführte und | |
| sich als Integrationsgesellschaft verstand. | |
| In der Epoche des Augustus, zu Beginn unserer Zeitrechnung, stieß das | |
| Konzept gleich zweimal an eine Grenze. An beide Konfliktherde entsandte der | |
| Kaiser als Krisenmanager seinen angeheirateten Großneffen Varus, den die | |
| Ausstellung keineswegs als notorischen Verlierertypus präsentiert. Er war | |
| es, der als Statthalter der Provinz Syrien den ersten Aufstand im | |
| benachbarten Judäa niederschlagen ließ, und er war es schließlich auch, der | |
| wenige Jahre später an der Befriedung des rechtsrheinischen Germanien | |
| scheitern sollte. | |
| Das konnte Augustus noch nicht ahnen, als er wenige Jahre zuvor die | |
| Befriedung des Erdkreises mit dem Bau seiner römischen "Ara Pacis" feiern | |
| ließ. In goldenes Kunstlicht getaucht, zeigt die Halterner Ausstellung den | |
| selbstgewissen Glanz der augusteischen Epoche - nicht nur in der Metropole, | |
| sondern auch im fernen Germanien. Die Relikte einer Reiterstatue aus | |
| Waldgirmes an der Lahn, wo die Römer zugleich eine Gräberstraße nach dem | |
| Vorbild der römischen Via Appia anlegten, demonstrieren: Sie wollten | |
| bleiben. | |
| Erst Jahre nach der verlorenen Schlacht setzte sich die Einsicht durch, die | |
| fernen Völkerschaften "ihren inneren Zwistigkeiten zu überlassen", wie der | |
| Historiker Tacitus schrieb. Dass die Freiheit der römischen Lebensform am | |
| westfälischen Wiehengebirge verteidigt werde, war den Eliten am Tiber nicht | |
| länger plausibel zu machen. Den Schaden, nicht erobert worden zu sein, | |
| trugen die Germanen davon. Den Nutzen aus der augusteischen Wende, dem Ende | |
| der Expansionspolitik, zogen die Römer: Sie stellten ihr Imperium auf | |
| Dauer. | |
| Trotz schließlich geglückter Verwestlichung Deutschlands leben die | |
| Zwistigkeiten heute im landestypischen Föderalismus fort. Ihnen hat es der | |
| Besucher zu verdanken, dass er für die Ausstellung an drei verschiedene | |
| Orte reisen und dabei Hunderte von Kilometern zurücklegen muss. Ihm war es | |
| auch geschuldet, dass sich die Bundeskanzlerin zur Ausstellungseröffnung | |
| mit zwei Ministerpräsidenten im Schlepptau auf einen wahren Wanderzirkus | |
| zwischen dem niedersächsischen Kalkriese und dem nordrhein-westfälischen | |
| Detmold begeben musste. | |
| Krieg als Lebensform | |
| Zur Aktualität des Geschehens fiel der Politprominenz bemerkenswert wenig | |
| ein. Angela Merkel bot an beiden Orten bloß eine Nacherzählung des | |
| Ausstellungsstoffs. In Detmold ließ sie sich dann, angeregt von dem | |
| Niedersachsen Christian Wulff, zu einem Ausbruch augusteischer | |
| Selbstgewissheit hinreißen. Aus dem "tragischen" Geschehen vor zweitausend | |
| Jahren, hatte Wulff erklärt, könne man nur den Schluss ziehen: "Wie gut, | |
| dass wir heute leben können." Merkel nutzte die Vorlage, um ein | |
| Versatzstück aus ihrer Standardrede zum bundesdeutschen Jubiläumsjahr | |
| einzusetzen: "Wenn wir in diesen Tagen an 60 Jahre BRD denken, dann ist das | |
| wirklich ein Grund zur Dankbarkeit." | |
| Kein Hinweis auf Afghanistan, kein Hinweis auf andere Gefährdungen. Als ob | |
| ausgerechnet die römische Zivilisation mit ihrem hohen Lebensstandard, die | |
| Jahrhunderte später im bislang größten Zivilisationsbruch der Geschichte | |
| unterging, als negative Projektionsfläche für eine glatte | |
| Fortschrittsgeschichte taugen könnte. Am schlimmsten trieb es mit der | |
| historischen Ignoranz der Präsident des Europaparlaments, Hans-Gert | |
| Pöttering. "Die Europäische Union ist kein Imperium", behauptete er. Und | |
| fügte hinzu: "Wir haben eine gemeinsame Ordnung des Rechts. Die meisten von | |
| uns bezahlen mit einer gemeinsamen Währung." Was, wenn nicht eine | |
| gemeinsame Rechts- und Wirtschaftsordnung, sollte ein Imperium im guten | |
| Sinn denn auszeichnen? | |
| Die tristen Alternativen sind auf der zweiten Station der Ausstellung zu | |
| besichtigen, in Kalkriese - dem Ort, der den Forschern seit einigen | |
| Jahrzehnten als plausibelste Lokalisierung der Varusschlacht erscheint. | |
| "Konflikt" ist hier das Thema, es geht um die Germanen in der Zeit nach | |
| Varus. Was in Haltern noch licht und hell war, ist hier trist und dunkel, | |
| die Pracht des Imperiums ist entschwunden. Die wild gezackte Formgebung der | |
| Vitrinen lässt an den Architekten Daniel Libeskind denken und verleiht dem | |
| Ganzen etwas Mahnmalhaftes. | |
| Die Exponate aus dem Barbaricum sind naturgemäß weniger glamourös als die | |
| in Haltern gezeigten Objekte aus den Zentren der mediterranen | |
| Wohlstandszone. Alles, was noch einigermaßen ansehnlich ist, stammt | |
| entweder aus römischen Werkstätten oder ist eine Raubkopie nach römischem | |
| Vorbild. Geschildert wird der interne Zwist der Germanen nach dem Ende der | |
| römischen Expansion, aber auch ihr Verhältnis zum Imperium, das über | |
| Jahrhunderte zwischen Aggression und Integration changierte. | |
| Die Volkswirtschaft der Germanen wird als Raubökonomie vorgestellt. "Der | |
| Krieg wird zur Lebensform", heißt es in einem großformatigen Zitat des | |
| Politologen Herfried Münkler. "Seine Akteure sichern ihre Subsistenz durch | |
| ihn, und nicht selten gelangen sie dabei zu beträchtlichem Vermögen." Die | |
| neuen Kriege, lernen wir, sind ganz die alten. In der globalisierten | |
| Ordnung der Antike oder Gegenwart geht es nicht um Konflikte zwischen | |
| Staaten. Die Problemzonen zeichnen sich dadurch aus, dass eine staatliche | |
| Ordnung gerade fehlt. | |
| Am Ende, um welchen Preis auch immer, werden die Germanen zu Erben des | |
| Imperiums. "Die germanische Welt war vielleicht die großartigste und | |
| dauerhafteste Schöpfung des militärischen Genies der Römer", schrieb der | |
| amerikanische Historiker Patrick Geary, ein Zitat, das diesen Teil der | |
| Ausstellung beschließt. Das Tröstliche für die Gegenwart: Wenn der Westen | |
| zu besiegen ist, dann nur mit seinen eigenen Mitteln. Allerdings | |
| unterschlägt Gearys Multikulti-Sicht, dass der Untergang eben doch ein | |
| Untergang blieb - mit allem Verlust an Wohlstand und Bequemlichkeit, den | |
| auch die romanisierten Germanen in Kauf nehmen mussten. | |
| Der "Mythos" bleibt für Detmold übrig, wo die Nationalisten des 19. | |
| Jahrhunderts dem "Befreier Deutschlands" das Hermannsdenkmal widmeten. | |
| Zunächst geht es um den Germanenmythos bei den Römern, der stets zwischen | |
| der Furcht vor den Wilden und der Bewunderung ihrer Unverdorbenheit | |
| schwankte. Dann sind tausend Jahre Pause, im Mittelalter waren Varus und | |
| Arminius vergessen. | |
| Die zweite Hälfte dieses letzten Ausstellungsteils setzt schließlich mit | |
| der Wiederentdeckung des Stoffs durch die Humanisten ein. Ende des 15. | |
| Jahrhunderts wurde die "Germania" des römischen Historikers Tacitus in | |
| einer Abschrift des Klosters Corvey an der Weser wiederentdeckt. Sofort | |
| geriet das Thema in den Streit zwischen dem römischen Papst und seinen | |
| deutschen Gegnern. Seht her, Rom hat euch die Zivilisation gebracht, rief | |
| es von Süden. Von dort kam nur das Laster, schallte es aus Wittenberg | |
| zurück. "Ich hab ihn von hertzen lib", schrieb Luther über Arminius, den er | |
| in Hermann umtaufte. | |
| Auch in diesem "Mythos"-Teil enthält sich die Präsentation der politisch | |
| korrekten Empörung. Ganz im Gegenteil wird sogar darauf hingewiesen, dass | |
| auch andere europäische Länder in der Hochkonjunktur des Nationalismus ihre | |
| antirömischen Helden pflegten - allen voran die Franzosen, die nun dem | |
| Gallier Vercingetorix huldigten. Allerdings galt diese Verehrung durchweg | |
| Verlierern. Nur auf der Gestalt des Arminius ließ sich ein Siegerkult | |
| aufbauen. Vielleicht ist es ganz gut so, dass den Politikern der Jetztzeit | |
| nur noch so wenig dazu einfällt. | |
| 18 May 2009 | |
| ## AUTOREN | |
| Ralph Bollmann | |
| ## TAGS | |
| Schwerpunkt Stadtland | |
| Archäologie | |
| Piraten | |
| Römer | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| 150 Jahre Hermannsdenkmal: Krieger im Minirock | |
| Seit 150 Jahren gibt es das Hermannsdenkmal bei Detmold. Der Tourimagnet | |
| wurde schon immer auch politisch in Stellung gebracht – vor allem von | |
| rechts. | |
| Streit um Ausgrabungsstelle: Kiesabbau im Römerlager | |
| Hannover will Rohstoffgewinnung auf archäologisch interessantem Terrain | |
| erlauben. Denkmalpfleger sind empört. | |
| Piraten in der Antike: Phantome der Meere | |
| Das Varusschlacht-Museum in Kalkriese sammelt Überlieferungen zur | |
| Seeräuberei, verliert aber die Piraten aus dem Blick. | |
| Geschichtsbücher für Jugendliche: Die Erzählung vom Wir | |
| „Das Rätsel der Varus-Schlacht“ und „Wir und unsere Geschichte“ werfen | |
| einen kritischen Blick in die Vergangenheit. |