# taz.de -- Streit um Ausgrabungsstelle: Kiesabbau im Römerlager | |
> Hannover will Rohstoffgewinnung auf archäologisch interessantem Terrain | |
> erlauben. Denkmalpfleger sind empört. | |
Bild: Nur für eine Nacht: Marschlager für 20.000 römische Soldaten. | |
Der Nachweis gelang erst 2015: Im Hemminger Stadtteil Wilkenburg in der | |
Region Hannover kampierten vor mehr als 2000 Jahren römische Soldaten. Das | |
befestigte Marschlager bot Platz für mehr als 20.000 Legionäre, | |
wahrscheinlich blieben die Römer dort aber nur für eine Nacht. | |
Denkmalschützer und Archäologen heben die historische Bedeutung der Anlage | |
hervor, Kommunalpolitiker hoffen auf ihre touristische Vermarktung. | |
Doch die Region Hannover – ein Kommunalverband aus den Gemeinden des | |
früheren Landkreises Hannover und der Landeshauptstadt – sieht das anders. | |
Dem Fund fehle die Einzigartigkeit, heißt es in einer Stellungnahme der | |
Behörde. Unter Auflagen könne dort deshalb Kies abgebaut werden – eine gute | |
Nachricht für die Betonfirma Holcim, die 2015 den Antrag auf Kiesgewinnung | |
gestellt hatte. | |
Das Marschlager von Wilkenburg erfülle nicht die für das europäische | |
Kulturerbe-Siegel notwendigen Kriterien, sagt die Regionsarchäologin Ute | |
Bartelt. Es handele sich auch nicht um einen europaweit einzigartigen Fund. | |
Dabei hatten nicht nur die Römer in Wilkenburg ihr Lager aufgeschlagen, | |
Ausgrabungen weisen auch auf eine bronzezeitliche Siedlung hin. Solche | |
Ansiedlungen seien aber auch anderswo entdeckt worden, schränkt Bartelt | |
ein. | |
## Wer darf graben? | |
Die Fundstelle liege in einem Vorranggebiet für Rohstoffgewinnung, | |
argumentiert Umweltdezernent Axel Priebs. Deshalb habe Holcim grundsätzlich | |
das Recht, dort Kies und Sand abzubauen, „solange dem Vorhaben keine höher | |
zu bewertenden öffentlichen Interessen entgegenstehen“. | |
Der Sprecher des Archäologischen Arbeitskreises Niedersachsen, Robert | |
Lehmann, kann die Position der Region Hannover überhaupt nicht | |
nachvollziehen. Mit einer Größe von etwa 30 Hektar habe das Lager in der | |
Zeit um Christi Geburt zu den größten rechts des Rheins gehört. Auch aus | |
Sicht von Friedrich-Wilhelm Wulf vom Landesamt für Denkmalpflege hat das | |
Lager von Wilkenburg eine ähnliche Bedeutung wie das Römerlager in | |
Hedemünden bei Göttingen oder in Kalkriese, wo im Jahr 9 n. Chr. die | |
Varusschlacht getobt haben soll. | |
Hemmingens Bürgermeister Claus-Dieter Schacht-Gaida (SPD) hatte sich | |
jedenfalls darüber gefreut, „dass Hemmingen zu einem Fundort geworden ist | |
von besonderer europäischer Bedeutung“. Die Ausgrabungsstelle könnte | |
Touristen anlocken. Die Hemminger Grünen sprechen von einer „unterschätzten | |
Sensation“. Anwohner und die örtliche Bürgerinitiative „Gegen Kiesabbau“ | |
lehnen die Kiesgrube vor allem deshalb ab, weil sie Lärm und Schäden an | |
Gebäuden und Straßen befürchten. | |
## Entscheidung steht noch aus | |
Und die Kritiker haben noch Hoffnung, denn eine endgültige Entscheidung | |
über den Kiesabbau soll erst in diesem Jahr fallen. Die Region Hannover hat | |
zur Auflage gemacht, dass das Römerlager vor einem Kiesabbau vollständig | |
ausgegraben und alle Funde dokumentiert werden müssen. | |
Das neue Denkmalgesetz in Niedersachsen erlaubt es der öffentlichen Hand, | |
die Kosten etwa für archäologische Grabungen auf Investoren abzuwälzen. | |
Archäologische Funde sollen im Grundsatz so lange wie möglich im Boden | |
bleiben, weil die Fachleute darauf hoffen, dass spätere Generationen immer | |
bessere Methoden zur Sicherung und Konservierung entwickeln. | |
Wenn aber das Interesse an einer Bebauung oder – wie im Falle Wilkenburgs – | |
an Rohstoffabbau überwiegt, dann muss der Investor die Sicherung der | |
historischen Bodenschätze im Untergrund bezahlen. Die Kosten sollen sich | |
hier auf mehrere Millionen Euro belaufen. Möglich, dass sich die | |
Kiesgewinnung in Wilkenburg für das Unternehmen dann nicht mehr lohnt. Die | |
Firma will sich dazu im Februar äußern. | |
Zudem steht im laufenden wasserrechtlichen Planfeststellungsverfahren für | |
den Kiesabbau noch ein Erörterungstermin aus, bei dem Antragsteller und | |
Gegner ihre Argumente austauschen können. Erst danach könne eine endgültige | |
Genehmigung erteilt werden, stellt die Region Hannover klar. | |
17 Jan 2017 | |
## AUTOREN | |
Reimar Paul | |
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