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# taz.de -- Mumifizierte Grausamkeiten: "Die Varusschlacht ist ein Nebeneffekt"
> In Kalkriese untersuchen Susanne Wilbers-Rost und Achim Rost seit 20
> Jahren ein antikes Gemetzel - das viele Parallelen zu den Beschreibungen
> der legendären Schlacht im Teutoburger Wald aufweist.
Bild: Im Museumsshop in Kalkriese sind die Römer am Boden.
taz: Frau Wilbers-Rost, Herr Rost, freuen Sie sich aufs 2000-Jahr-Spektakel
- oder stört das?
Susanne Wilbers-Rost: Das ist sehr ambivalent. Selbstverständlich freuen
wir uns über das Interesse an unserer Forschung und unseren theoretischen
Überlegungen. Allerdings verdankt sich viel von dem Trubel der Tatsache,
dass Varusschlacht und Arminius-Figur nationale Mythen sind - die nicht im
Zentrum unserer Arbeit stehen.
Was denn dann?
Wilbers-Rost: Wir erforschen keine Mythen, sondern ein Kampfgeschehen.
Das klingt, als wäre Ihre erste Frage gar nicht, ob das hier die
Varusschlacht war?
Achim Rost: Die Varusschlacht ist für uns ein Nebeneffekt, nicht die
Hauptsache. Unsere Grundlagenforschung wird vor lauter Varus-Begeisterung
manchmal kaum wahrgenommen.
Aber ohne Hermann-Hype gäbs keine Touristen sprich: weniger Geld?
Wilbers-Rost: Nun, die Forschung ist durch Drittmittel finanziert. Das sind
Projektmittel, die alle paar Jahre neu beantragt werden müssen.
Was war Ihr erster Kontakt mit der Varusschlacht?
Wilbers-Rost: Das war, als wir hier anfingen - 1987 hatte der
Amateur-Archäologe Tony Clunn hier römische Silbermünzen gefunden …
Wie, nicht das olle "Als die Römer frech geworden"-Lied?
Wilbers-Rost: Das Lied kennen wir. Aber das war kein Impuls. Wir haben ja
nicht nach der Varusschlacht gesucht. Als wir hier anfingen, gab es
römische Funde und die Frage: Wo kommen die her? Dabei war der erste
Gedanke, es könnte hier ein Lager gegeben haben. Dass es sich um ein
Schlachtfeld handelt, hat sich erst allmählich gezeigt.
Sie hatten beide Ethnologie neben Archäologie studiert -und forschen
seither im Osnabrücker Land. Wie geht das zusammen? Ist das hier hilfreich?
Wilbers-Rost: Das ist ein durchaus übliches Nebenfach. Dass ich 22 Jahre
hier graben würde, wusste ich aber am Anfang nicht …
Rost: Als Prähistoriker haben wir oft das Problem, dass wir zu den
gesellschaftlichen Hintergründen wenig wissen. Das Wissen der Ethnologie
über kulturelle Kontexte kann da eine Denkhilfe sein, auch für
Schlachtfeldarchäologen: Eine Schlacht ist ja ein kulturgeschichtliches
Phänomen. Und die Artefakte, die wir finden, sind Spuren von
Handlungsabläufen. Wir versuchen, die dahinter stehenden menschlichen
Verhaltensweisen zu erkennen.
Wobei Sie weniger Artefakte, als Knochen finden?
Wilbers-Rost: Gar nicht mal so viel: Wir haben hier, anders als man beim
Namen Kalkrieser Berg erwarten würde, viel Sandboden, in dem Knochen
schnell vergehen. Unter dem eingestürzten Wall haben wir allerdings ein
komplettes Maultierskelett entdeckt, weil an dieser Stelle Kalksteine in
die Rasensodenmauer eingearbeitet waren. Außerdem haben wir Gruben
gefunden, in die Überreste von Gefallenen gelegt worden waren. Das hat uns
zunächst erstaunt. Unsere These war, dass sie einige Jahre nach der
Schlacht eingesammelt wurden, vielleicht durch Germanicus um 15 nach
Christus …
… wie es Tacitus schon schildert?
Wilbers-Rost: Genau. Anthropologen und Zoologen haben festgestellt, dass
diese Knochenfragmente zwischen zwei und zehn Jahren an der Oberfläche
gelegen hatten, bevor sie bestattet wurden. Das würde der Schilderung
entsprechen.
Und daran lesen Sie ab, dass es hier Leichenfledderei gab?
Rost: Weniger an den Knochen, als an den Rüstungsteilen, die wir hier auf
dem Oberesch häufig finden, und die fest mit dem Legionär verbunden waren -
Panzerschließen etwa, Scharniere oder Gürtelbeschläge. Dafür wäre
Leichenfledderei eine plausible Erklärung: Wenn die Ausrüstung gewaltsam
von einem Toten entfernt wird, reißen Kleinteile ab und können beim
Plündern übersehen werden. Die Germanen hatten ja kein Interesse, sich um
tote Römer zu kümmern. Die ließen sie an Ort und Stelle liegen - und waren
offenbar nur an der metallreichen Beute interessiert.
Warum ist das wichtig?
Rost: Wenn die Interpretation mit der Leichenfledderei stimmt, hieße das:
Hier ist wirklich eine römische Armee untergegangen. Denn, wenn ein Heer
sich auch nur halbwegs aus einer Schlacht retten kann, versucht es, Tote
und Verletzte zu bergen. Dann gibt es vielleicht ein Massenbegräbnis - und
auch dabei gehen Kleinteile verloren. Aber sie wären nicht so weit
verstreut. Solche Beobachtungen sind auch losgelöst von der Hypothese
Varusschlacht interessant für die Archäologie - weil uns, anders als etwa
bei Gräberfeldern, noch nicht so klar ist, welche Abläufe die
Fundüberlieferung beeinflussen. Dafür müssen wir erst noch Interpretationen
erarbeiten.
Also: grausamste Vorgänge rekonstruieren. Belastet Sie das?
Wilbers-Rost: Sicher ist das belastend. Wir wissen: Hier, auf diesem heute
friedlichen Gelände hat kein Geplänkel zwischen Römern und Germanen
stattgefunden. Die Spuren im Sand entstammen einem sehr brutalen, blutigen
Geschehen. Aber das geht nicht so weit, dass es uns den Schlaf rauben
würde. Oft sind die Dinge, die wir ausgraben, noch verkrustet und wir
wissen nicht so genau, worum es sich handelt - etwa, ob das ein Tier- oder
ein Menschenknochen ist. Das klären Fachleute, Zoologen oder Anthropologen.
Rost: Für uns geht es, ähnlich wie bei einem Pathologen, um Versachlichung
und Abstraktion - auch wenn das herzlos erscheinen mag. Es geht hier um die
Erforschung der damaligen Ereignisse und darum, die Methoden der
Archäologie weiterzuentwickeln. Dabei ergeben sich Diskussionsthemen mit
Althistorikern: Wir können dazu beitragen, die Schriftquellen kritisch zu
betrachten - angefangen bei Tacitus.
Wilbers-Rost: Manchmal haben wir aber den Eindruck, dass solche neuen
Ansätze nicht nur auf Zustimmung stoßen.
Bei Peter Kehne etwa: Der fordert, strikt von den Text-Quellen auszugehen?
Wilbers-Rost: Wir suchen nicht nach einer Vorgabe und auch nicht nach der
Wunschliste von Historikern. Wir untersuchen, was wir hier finden …
… um es dann im Licht der Quellen zu deuten?
Wilbers-Rost: Wir interpretieren zunächst aus den archäologischen Funden
heraus - und ziehen dann auch die Schriftquellen heran. Wir haben aber, wie
gesagt, nicht nach der Varusschlacht gesucht, wir haben weder nach einem
Grabhügel noch nach einem Wall gesucht. Wir haben einen entdeckt, den man
als Hinterhalt interpretieren kann - und die Römer haben von einem
Hinterhalt geschrieben. Wir haben hier zufällig archäologische Funde
gemacht - und die lassen sich nicht interpretieren, ohne die Varusschlacht
in Erwägung zu ziehen.
Rost: Die Historiker arbeiten seit 500 Jahren an ihrer Quellenkritik zu
Tacitus. Wir erarbeiten hier gerade eine Art archäologische Quellenkritik
für Schlachtfelder - also etwas, das erst seit den 1980er-Jahren überhaupt
in Angriff genommen wird, überwiegend an neuzeitlichen Kriegsschauplätzen.
Bei antiken Schlachtfeldern wurde das noch nie durchgeführt. Man kann nicht
erwarten, dass wir das alles innerhalb weniger Jahre perfekt entwickeln.
Mitunter ziehen wir dabei viel Nutzen aus ernsthaften Einwänden von
Historikern wie Reinhard Wolters ziehen. Die Kritik ist oft ein Ansporn …
… selbst wenn Sie als Zitier-Kartell beschimpft und anonym angezeigt
werden?
Wilbers-Rost: Für konstruktive Einwände sind wir immer offen. Wenn aber
versucht wird, das Projekt zu attackieren und in Grund und Boden zu
stampfen, dann kann das nur schaden: Man wird diese destruktive Kritik so
schnell nicht mehr los. Die eigentlichen Motive dafür erschließen sich
schwer - ist das Ärger, weil jemand nicht selbst beteiligt ist, oder der
Wunsch, Varusschlacht-Funde lieber in der eigenen Region zu haben? Es ist
ja auch immer wieder danach gesucht worden, sogar in den letzten Jahren
noch. Man hat aber bisher nirgends Indizien entdeckt. Außer in Kalkriese.
10 May 2009
## AUTOREN
Teresa Havlicek
Benno Schirrmeister
## TAGS
Museum Kalkriese
Archäologie
Römer
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