# taz.de -- Sonderausstellung „Roms Legionen“: Mit dem Holzschwert nach Bra… | |
> Das Museum Kalkriese zeigt kurzweilig den Alltag römischer Soldaten. | |
> Zugleich lässt es Offenheit für neue wissenschaftliche Erkenntnisse | |
> vermissen. | |
Bild: Setzt stark auf Mitmach-Stationen: Die Ausstellung „Roms Legionen“ | |
KALKRIESE taz | Da ist dieser Zenturio, gleich hinter der Tür. Lebensgroß, | |
als Print, auf einer Stellwand. Grimmig streckt er dem Besucher seinen | |
Zeigefinger entgegen. Na?, bohrt sein Blick. Bereit, Soldat zu werden? Ein | |
Auftakt, dessen Hintersinn nur versteht, wer Alfred Leetes | |
Rekrutierungs-Plakat „Join Your Country’s Army!“ kennt, von 1914, mit dem | |
britischen Kriegsminister Lord Kitchener drauf. Und James Montgomery Flaggs | |
„I Want You for U.S. Army“-Propaganda, von 1917, mit Uncle Sam. Aber was | |
der Zeigefinger bedeutet, die grimmige Miene, der bohrende Blick, weiß | |
jeder: Wer diesem Zenturio folgt, hat bald eine Waffe in der Hand. | |
Waffen zum Anfassen. Jeder Besucher der Sonderausstellung „Roms Legionen“ | |
des „Varusschlacht im Osnabrücker Land Museum und Park Kalkriese“, im | |
niedersächsischen Bramsche, ist mit ihnen konfrontiert. Zum Beispiel diese | |
Holzschwerter. Wer will, darf mit ihnen Kerben in einen Übungspfahl hauen. | |
Überhaupt setzt die tiefschwarz-blutrote Wander-Schau, eine Kooperation mit | |
„Mules of Marius“, München, stark auf Mitmach-Stationen: Getreide mahlen. | |
Das Gewicht des Marschgepäcks testen. Legionsadler in die Hand nehmen. Sich | |
vor dem Spiegel als Legionär verkleiden, für ein Foto mit Speer und Schild. | |
Kids kommen dabei auf ihre Kosten, Erwachsene auch. | |
„Kleine Römer erobern Kalkriese (zurück)!“, verspricht die Schau launig, | |
und das klingt ein bisschen nach dem militärsatirischen Animationsklassiker | |
„Small Soldiers“ von Joe Dante. Aber kriegerisches Eigenleben entwickeln | |
die 1:72-Zinnfigürchen hier natürlich nicht, so lebendig sie in ihren | |
Dioramen auch wirken: Miniatursoldaten im Gefecht und auf dem Marsch, beim | |
Lagerbau und bei der Wallbewachung, in der Kaserne, beim Reiterspiel, beim | |
Bilden der legendären „Schildkröte“. Tausende sind es. Plus Feinde. | |
Auf „Inspiration“ zielt „Roms Legionen“, statt auf „langweilige Erkl�… | |
Aber so kurzweilig sie sind – die Lesestrecken sind lang. Und zu was | |
inspiriert werden soll, wenn Legionäre in einem ziemlich wehrlosen | |
germanischen Dorf Frauen quälen, Fliehenden Pfeile in den Rücken schießen, | |
ist fraglich. | |
Aber das Wichtigste kommt auch (fast) ohne Text und Gewalt rüber: Wir | |
erfahren, was ein Legionär isst, wie er wohnt, kämpft, Kolonnen bildet. Wir | |
sehen Repliken von Dolchen und Kettenpanzern, Pfeil- und Steingeschützen, | |
Feldzeichen und Blasinstrumenten für Befehlssignale. Wir sehen Schanzpfähle | |
und ein Lederzelt, genagelte Sandalen und fiese Fußfallen. Wir lernen, dass | |
eine Legion 600 Sack Getreide pro Tag braucht und wie lange es dauert, bis | |
eine 1,3 Liter große Feldflasche gefüllt ist. Wir lernen Ränge wie Legat | |
und Optio kennen, sind am Ende fit in militärischen Gliederungsformen und | |
Disziplinarbefugnissen, Führungsebenen und Besoldungsmodellen. Wir sehen | |
Legionäre Sümpfe überqueren, Maultiere füttern, Palisaden errichten … | |
Moment: Legionäre? Nein, so heißt das ja gar nicht, auch das erfahren wir | |
gleich beim Reinkommen. Wer also „Asterix als Legionär“ in Erinnerung hat, | |
mit „ä“, Band 10 der legendären Serie um das unbeugsame gallische Dorf in | |
Aremorica, muss umdenken. Denn richtig ist: Legionar – schließlich sind wir | |
hier nicht bei den Weißkäppiträgern der französischen Fremdenlegion. | |
Legionar? Sagt natürlich niemand. Auch in Kalkriese nicht. Zwei Klicks auf | |
www.kalkriese-varusschlacht.de, und da steht es: Legionär. Aber ist | |
natürlich ganz witzig, so ein Fun Fact. | |
Nicht nur durch seine Dioramen wirkt das von Repliken dominierte | |
Infotainment von „Mules of Marius“ etwas wie aus der Zeit gefallen. Aber es | |
funktioniert. Auch ohne Sound, digitale Interaktion, Bewegtbild. | |
Was indes nur sehr hakelig funktioniert im „Museum und Park Kalkriese“ ist | |
die Sache mit der Offenheit gegenüber neuen Forschungsergebnissen. Ob in | |
der Dauerausstellung zum Thema „Varusschlacht“ oder auf der Website: Noch | |
immer wird sie hier erzählt, die alte Geschichte vom germanischen | |
Hinterhaltswall, vom „strategischen Bauwerk zur Abwehr der Römer“. | |
Römische Kolonne zieht von Ost nach West, haben unzählige Besucher gelernt, | |
links einen Berghang und rechts ein Moor, gerät an der schmalsten Stelle | |
vor ein Angriffsbollwerk der Germanen, wird abgeschlachtet. Die | |
Grabungskampagnen 2016 bis 2018 haben diese Deutung des Gefechtsverlaufs | |
indes ins Wanken gebracht: Der angeblich germanische Wall ist vermutlich | |
Teil einer römischen Marschlagerumfassung. | |
Prof. Dr. Salvatore Ortisi, wissenschaftlicher Leiter des Projekts, heute | |
Ludwig-Maximilians-Uni München, spricht in „Kalkriese. Die Grabungen 2018“ | |
im „Varus Kurier“ Ende 2018 zwar von mehreren „Interpretationsansätzen�… | |
Klar, er ist Wissenschaftler. Wissenschaftler sind vorsichtig, bis alle | |
Ergebnisse hieb- und stichfest sind, trotz aller „Plausibilität“. | |
Aber er sagt zugleich, ein römisches Befestigungswerk sei „schon zu Beginn | |
der Forschungen in Kalkriese in die Diskussion gebracht“ worden. Und genau | |
da liegt die Brisanz: Die Römerlager-Option wurde in Kalkriese nämlich | |
lange unterdrückt (taz: „Pinkeln an die Siegessäule“, 21.10.2017). Zweifel | |
am Germanenwall waren unerwünscht. | |
## Wankende Grundfesten | |
Es gebe offene Fragen, erfahren Besucher hier heute. Es gebe Rätsel, keine | |
einfachen Antworten, ein Puzzle mit fehlenden Teilen. Streng genommen ist | |
all das richtig – noch. Aber hier wankt seit Jahren eine der Grundfesten | |
des Museums, und davon sagt auch der „Jungforscher“ kein Wort, der uns in | |
der Ausstellung im Comicstyle zuruft, er sei „zuständig für aktuelle | |
Meldungen aus der Forschung“. Was ihn zu einer Art Alibi macht. | |
In der Dauerausstellung steht noch immer das Modell eines Walls, auf den | |
ein römischer Plexiglas-Soldat zustürmt, und ein Germane verteidigt ihn. | |
Und auch am teilrekonstruierten Wall im Außengelände könnte der Betrachter | |
denken, es sei alles beim Alten. „Gab es vielleicht zwei Wälle?“, fragt der | |
„Jungforscher“ hier nebulös. „Sind sie überhaupt zeitgleich? Gehören s… | |
zusammen?“ Zum eigentlichen Knackpunkt, dass hier vermutlich Germanen eine | |
römische Befestigung angriffen und nicht umgekehrt, sagt er kein Wort. Nur: | |
„Ruhe bewahren und weiterforschen!“ Offenheit sieht anders aus. | |
Auch der neue Einführungsfilm bleibt vage. Immerhin sagt Heidrun Derks, die | |
Museumsleiterin, darin, man zeige „ja eigentlich gar nicht, wie sich die | |
Schlacht hier ereignet hat“. In „Roms Legionen“ ist man auf festerem | |
Terrain. | |
10 Apr 2019 | |
## AUTOREN | |
Harff-Peter Schönherr | |
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