| # taz.de -- Neuer Leiter der Varusschlacht-Grabungen: Der Schlachtfeld-Experte | |
| > Der Archäologe Stefan Ardeleanu leitet seit Anfang November die | |
| > Varusschlacht-Ausgrabungen in Kalkriese bei Osnabrück. | |
| Bild: Gräbt auch gerne selbst: Der neue Varusschlacht-Ausgrabungsleiter Stefan… | |
| Osnabrück taz | Man kennt sie ja, diese braunen Hinweisschilder am | |
| Straßenrand, die lokale Sehenswürdigkeiten umzingeln. An Kreuzungen stehen | |
| sie, an Kreiseln, an Wegesrändern, an Einfahrten, damit man Orte wie die | |
| „Varusschlacht im Osnabrücker Land“ nicht verpasst, im niedersächsischen | |
| Kalkriese. „Touristische Unterrichtungstafel“ heißt das auf Amtsdeutsch, | |
| aber oft halten nicht nur Touristen danach Ausschau. | |
| Auch Stefan Ardeleanu, seit Anfang November Juniorprofessor für | |
| „Archäologie der römischen Provinzen“ am Historischen Seminar der | |
| Universität Osnabrück, ist häufig nach Kalkriese unterwegs – zu dem Ort, an | |
| dem vermutlich die legendenumwobene, mehrtägige Schlacht ihr Ende fand, in | |
| der Roms Feldherr Publius Quintilius Varus um 9 n. Chr. in einem | |
| germanischen Hinterhalt seine komplette Armee verlor: drei Legionen, plus | |
| Hilfstruppen. | |
| Ardeleanu ist Archäologe und hat zeitgleich mit der Professur die | |
| wissenschaftliche Leitung der Grabungen in Kalkriese übernommen. Jüngst | |
| wurde hier ein römischer Schienenpanzer ausgegraben: fast vollständig | |
| erhalten und der älteste, der je ausgegraben wurde. Ein „Jahrhundertfund“, | |
| so das Varusschlacht-Museum, das die 2.000 Jahre alten Geschehnisse vor Ort | |
| dokumentiert und erklärt. Ebenso einzigartig ist Fundstück 778 von 1990: | |
| Die Reitermaske, die dem Museum bis heute als Erkennungszeichen dient. | |
| Das Museum braucht Erfolgsmeldungen wie diese. Denn nach Grabungskampagnen | |
| von Ardeleanus Vorgänger Salvatore Ortisi, heute Professor für | |
| Provinzialrömische Archäologie an der Ludwig-Maximilians-Universität | |
| München, zeichnet sich ab: Der Schlachtverlauf wurde in Kalkriese | |
| jahrzehntelang falsch gedeutet; der angebliche germanische Hinterhaltswall, | |
| dessen Geschichte das Museum bis heute erzählt, war wohl Teil einer | |
| römischen Lagerumfassung. Hinweise darauf hatte es schon vor mehr als 20 | |
| Jahren gegeben; erwünscht waren sie nicht. | |
| ## Neuaufbruch in Kalkriese | |
| Mit Ardeleanu erfolgt nun ein Neuaufbruch. Es ist die zweite große | |
| Personalie in Kalkriese in 2020: Seit dem Frühjahr ist Stefan Burmeister | |
| hier neuer Geschäftsführer, auch er Archäologe. Ardeleanu hat in | |
| Heidelberg, Rom und Aix-en-Provence Klassische Archäologie, Alte Geschichte | |
| und Byzantinische Archäologie und Kunstgeschichte studiert und war immer | |
| „so viel es ging selbst im Feld“, sagt er. | |
| In Nordafrika hat er gegraben, in der Türkei, im Jemen, in der Schweiz, im | |
| Namen neuer Erkenntnisse. „So was geht nicht vom Schreibtisch aus“, sagt | |
| er. Aber genau da wird er von nun an wohl häufiger sitzen: „Dadurch, dass | |
| ich das Projekt in Kalkriese mit leite und organisiere, habe ich natürlich | |
| ganz andere Verpflichtungen. Ich werde also nicht täglich selbst im Schnitt | |
| stehen und ausgraben können.“ Außerdem ist da ja auch noch sein Job an der | |
| Universität. | |
| Aber gerade vorhin, da war Ardeleanu dann doch draußen, mit dem örtlichen | |
| Grabungsleiter Marc Rappe und Prospektionstechniker Stephan Zeisler. „Ich | |
| muss ja nicht nur alle Akteure hier kennenlernen“, sagt er, „sondern auch | |
| die ganze Topografie.“ | |
| Rom, im Umbruch von der späten Republik zur frühen Kaiserzeit, hat ihn | |
| schon immer fasziniert: „Für mich ist das eine der spannendsten Epochen der | |
| Antike!“ Dieser Schwerpunkt passt jetzt natürlich perfekt, schließlich war | |
| es Augustus, der erste römische Kaiser, der nach der vernichtenden | |
| Niederlage gegen Arminius im Teutoburger Wald ausgerufen haben soll: | |
| „Varus, gib die Legionen zurück!“ Aber auch zu den Phöniziern in Nordafri… | |
| hat Ardeleanu gearbeitet, zu den Sabäern, auf der Arabischen Halbinsel, | |
| oder zu frühchristlichen Grabriten. | |
| Ardeleanu arbeitet gern in der Schlachtfeldarchäologie, weil sie ein noch | |
| sehr junger Zweig der Forschung ist. Gefragt, wie er sich selbst | |
| charakterisieren würde, bittet er um ein paar Augenblicke Bedenkzeit. Dann | |
| sagt er, mit hoher Bedachtsamkeit und großem Nachdruck, Worte wie | |
| „kritikfähig“, „neugierig“ und „diskussionsfreudig“, Worte wie | |
| „Wertschätzung“ und „Kooperation“. Er wolle „erst mal auch viele Fra… | |
| stellen“. Es gelte, „zusammen weiterzukommen“, in einem „work in progre… | |
| Ardeleanu betritt gern Neuland, und dazu gibt ihm Kalkriese vielfältig | |
| Gelegenheit. Es gelte, neue Explorationsmethoden einzusetzen, Geomagnetik | |
| zum Beispiel. Es sei auch wichtig, das Schlachtgeschehen noch stärker | |
| kulturhistorisch einzubetten. Es gelte, Studierende der Universität | |
| einzubinden, „weil die Arbeit an Schriftquellen zwar aufschlussreich sein | |
| kann, aber die Arbeit am Fundobjekt selbst einen ganz eigenen Reiz ausübt“. | |
| ## Professionelle Sondengänger | |
| Ardeleanu schätzt den „Aufbruchsgeist“ in Kalkriese und an der Universität | |
| und „die Offenheit, mit der ich hier aufgenommen wurde“. Gedankliche | |
| Eingefahrenheit ist bei ihm nicht zu erwarten. Dafür ein sehr klarer Blick | |
| nach vorn. „Jede Diskussion lebt ja davon, dass es zu einer These immer ein | |
| Pro und Kontra gibt. Wir müssen offen sein für alle Interpretationen. Ich | |
| will jedem seine Stimme lassen. Ich gehe da ganz unverbraucht dran.“ Pause. | |
| „Immergültige Wahrheiten verkünden kann Wissenschaft ja ohnehin nur in sehr | |
| wenigen Fällen.“ Was sie kann? „Neutral abwägen, eng am Befund. Und dadur… | |
| Plausibilitäten erhöhen.“ | |
| Wie experimentierfreudig Ardeleanu ist, zeigt auch, was er über die | |
| Kalkrieser Sondengängerszene sagt. Sie sei „hoch professionalisiert“, lobt | |
| er. „Ich freue mich schon drauf, da einmal mitzulaufen.“ Wenn also | |
| demnächst irgendwo bei Kalkriese ein Trüppchen Metalldetektorenträger | |
| unterwegs ist, mit GPS, Kamera, Pinpointer, Sieb, Klappspaten und, | |
| natürlich, der Erlaubnis des Denkmalschutzes, könnte der junge Professor | |
| dabei sein. | |
| Mit Blick auf die Gegenwart arbeitet der 35-Jährige etwa zur „Rezeption der | |
| Antike und ihrer Funktionalisierung in politischen Systemen der kolonialen | |
| und postkolonialen Zeit“. „Wie unterschiedlich die Antike allgemein, aber | |
| auch antike Figuren oder antike Schlachtorte durch die Zeiten hinweg | |
| wahrgenommen wurden und werden, sind auch spannende Fragen, mit denen sich | |
| Archäologen beschäftigen können.“ Ob dazu neben seinen Verpflichtungen in | |
| Kalkriese und an der Universität Raum bleibt, wird sich zeigen. Erstmal | |
| muss Ardeleanu ohnehin „ankommen“. | |
| Ardeleanu sieht sich als Vermittler, auch zwischen Wissenschaft und | |
| Öffentlichkeit. Und die will vor allem eins wissen: Wie ist das denn nun | |
| mit dem Wall? Germanisch oder römisch? Das zu klären, zu kommunizieren, ist | |
| jetzt eine seiner vordringlichsten Aufgaben. Bereits seit über 30 Jahren | |
| wird in Kalkriese bei Osnabrück gegraben. Und es könnten auch noch weitere | |
| 30 werden. Stefan Ardeleanu kann diese Zeit entscheidend prägen. | |
| 3 Nov 2020 | |
| ## AUTOREN | |
| Harff-Peter Schönherr | |
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