# taz.de -- Piraten in der Antike: Phantome der Meere | |
> Das Varusschlacht-Museum in Kalkriese sammelt Überlieferungen zur | |
> Seeräuberei, verliert aber die Piraten aus dem Blick. | |
Bild: Ein Kriegsschiff der Karthager als Ausstellungsmodell im Maßstab 1:72 | |
BREMEN taz | Angenehm kühl ist es und dunkel, und aus Lautsprechern rauscht | |
das Meer: Wer sich vorher von den Schnaken auf dem Grabungsgelände im | |
niedersächsischen [1][Kalkriese bei Bramsche] hat niedermetzeln lassen, wie | |
die 18. Legion von den hinterhältigen Cheruskern, erlebt die Inszenierung | |
der Sonderausstellung im Varusschlacht-Museum ohnehin als Rückzug und | |
Rettung: „Gefahr auf See – Piraten in der Antike“ heißt sie – und sie … | |
das ehrgeizige Ziel, erstmals mithilfe archäologischer Funde aus | |
Griechenland, Nordafrika, Italien, vor allem aber auch aus dem Mittelmeer | |
selbst einen begehbaren Überblick der antiken Seeräuberei zu schaffen. | |
Das gelingt, vielleicht gerade weil man da gar nicht so schrecklich viel zu | |
zeigen hat – ein paar Amphoren, ein paar Münzen, einige sehr schöne, aber | |
thematisch nicht so eindeutige Odysseus-Kleinplastiken, ein oxydierter | |
Ochsenhautbarren (so nannte man, wegen ihrer Form, die handelsüblichen | |
Kupfer-Einheiten) aus dem Wrack von Uluburun, sowie ein Rammsporn, ein paar | |
Büsten – das ist es schon. | |
Und – diskret platziertes Glanzstück – die berühmte Stele von Nora, | |
vermutlich vom Ende des neunten vorchristlichen Jahrhunderts, das älteste | |
phönizische Objekt, das bislang im westlichen Mittelmeerraum gefunden | |
wurde. Per Zufall 1773 entdeckt ist sie bereits seit 1834 komplett | |
entziffert. Dort steht nämlich: „TRŠŠ WGRŠH’ BŠRDNŠ LMH'ŠL MSB’M L… | |
ŠBNNGD LPNY.“ Bloß weiß halt keiner, was das heißt, ob „TRŠŠ“ Tarsi… | |
Sardinien, Tartesso in Andalusien oder das türkische Tarsus oder überhaupt | |
ein Ort ist; in der einen Deutung handelt es sich bei dem Objekt um ein | |
öffentliches Dekret, in der anderen um einen Gedenkstein für einen | |
phönizischen Admiral, und der Orientalist Edward Lipiński schlägt vor, | |
darin eine dem Gott Pummay von einem hochgestellten Phönizier gewidmete | |
Erntedank-Stele oder Votivgabe zu sehen. Einigkeit herrscht nur darüber, | |
dass hier erstmals der Name Sardiniens auftaucht – ŠRDN – Schiffe erwähnt | |
werden, und eine kriegerische Auseinandersetzung auf hoher See: Seeräuber? | |
Das ist immer die große Frage, auch weil die Piraterie stets in den | |
schreckgeweiteten Augen der Überfallenen liegt. Wenn die eigenen Leute | |
fremde Schiffe kaperten und versenkten, oder an fernen Gestaden die Dörfer | |
überfielen, brandschatzten und die Einwohner zur Verwendung im eigenen | |
Haushalt oder zwecks Verkauf verschleppten, handelte es sich um | |
Heldentaten. Spätestens seit Homer wird es üblich, sie zu besingen: Die | |
Seeräuberei hat die mediterrane Kultur wahrscheinlich mehr geprägt als der | |
Wein. Überall hat sie ihre Spuren hinterlassen, die indes oft übersehen | |
werden. | |
Einer einseitigen Deutung versperren sie sich noch häufiger. Waren es | |
wirklich die Götter, die Odysseus nach der Eroberung Trojas kreuz und quer | |
übers Meer irren ließen – oder war er eher auf der Jagd nach dem ganz | |
großen Ding? War Jason ein goldgeiler Freibeuter und Medea sein Beifang? Im | |
Arrangement der Ausstellung entfalten die gezeigten Funde einen Zauber, | |
verführen zu Spekulationen und erweitern den Deutungshorizont, werfen | |
spannende und wichtige Fragen auf. | |
## Lebensgroße Pappaufsteller im Schauraum | |
Meistens jedenfalls. So gelingt der Versuch eines Brückenschlags in die | |
Gegenwart nur halb: Zwar wird, sinnvoll, der große Piratenprozess von 2012 | |
angesprochen. Aber statt sich dem Thema ernsthaft zu widmen, also | |
beispielsweise zu fragen, warum das Hamburger Landgericht befugt ist, auf | |
den Weltmeeren festgesetzte Räuber zu verurteilen, als wäre Deutschland das | |
Imperium Romanum, gibt’s hier nur ein Bild der Festnahme und einen dürren | |
Begleittext. Dann landen die Betrachter vor der nächsten Vitrine. | |
Die wiederum ist vollgestopft mit gefälschter Markenware: Längst hätten | |
„Piraten das Meer verlassen“ erläutert der sonst so kluge und informative | |
Katalog von Museumsdirektorin Heidrun Derks, „und treiben nun in gänzlich | |
anderen Räumen […] ihr Unwesen“: Offenkundig verwechselt sie hier den | |
metaphorischen Gebrauch des Wortes Piraterie mit einer Weiterentwicklung | |
des Konzepts. Da hätte sie dann auch einen Wimpel der Piratenpartei als | |
Beleg dafür, dass der Erfolg von Seeräuber nur selten von Dauer ist, | |
aufhängen können. | |
Als überraschend wirkungsvoll hingegen erweist sich der kuratorische Kniff, | |
den Schauraum mit lebensgroßen Pappaufstellern zu bevölkern: Sie stehen für | |
teils mythische, teils reale Figuren, in deren Geschichten Seeräuber eine | |
Rolle spielen. Als phönizischer Nationalstereotyp vorgeführt wird der aus | |
dem „Astérix gladiateur“-[2][Comic] stammende Kaufmann Epidemais | |
(Maiskolben). König Minos, den es vermutlich nie gab, obwohl ihm der | |
Historiker Thukydides den ersten siegreichen Piratenkrieg zuschreibt, tritt | |
auf und der griechische Weingott Dionysos ist als Pappkamerad zugegen: Der | |
hat das Schiff einer Bande thyrrenischer Piraten von Weinranken lahmlegen | |
lassen und die Besatzung, die ihn zwecks Lösegeld-Erpressung geschnappt | |
hatte, in Delphine verwandelt. | |
An diesen Anekdoten und Legenden bleibt man hängen, und so erschließen sich | |
Blicke auf tatsächliche Zusammenhänge, beispielsweise mit den durch andere | |
Projektionen verdeutlichten realhistorischen Grundlagen des antiken | |
Seehandels. | |
Und das wenig bekannte Volk der Tyrrhener taucht in der Mythologie in genau | |
der Funktion auf, mit der es zu diversen Perioden, für Furore gesorgt hat. | |
„Es gab eine Zeit, wo Tyrrhener identisch war mit Seeräuber“, schreibt der | |
Hamburger Althistoriker Erich Ziebarth schon 1929 in seinen „Beiträgen zur | |
Geschichte des Seeraubs im Alten Griechenland“, durchaus noch immer ein | |
Standardwerk zum Thema. | |
## Ein hervorragender Schütze | |
Allerdings hätten manche Verbindungen doch stärker betont werden müssen: | |
Dass die Episode, wie Cäsar von den Seeräubern gefangen genommen wird, und | |
sie letztlich vernascht, ziemlich deutlich eine säkularisierte Reprise des | |
dionysischen Mythos ist, zur Verherrlichung des Gaius Iulius Caesar, wäre | |
erwähnenswert gewesen. So erschließt sich das höchstens altphilologisch | |
versierten AusstellungsbesucherInnen. | |
Und andererseits verdrängt das Übergewicht des Fiktionalen unnötigerweise | |
die realen AkteurInnen. So belegt zwar, dass Piraterie einen so breiten | |
Niederschlag in den symbolisch generalisierten Kommunikationsmedien der | |
Antike gefunden hat, gut die Omnipräsenz des Phänomens. Greifbarer wäre es | |
aber in Geschichten wie der eines gewisser Timakrates, der seine drei Söhne | |
im Kampf gegen Seeräuber verloren hat. Über einen von ihnen weiß man, dass | |
er ein hervorragender Bogenschütze war. Pfeilspitzen aus Blei gehören zu | |
den ausgestellten unterwasserarchäologischen Funden, die am deutlichsten | |
auf die Kämpfe auf dem und ums Mittelmeer zeugen. | |
So gut wie gar nicht in den Blick geraten die Piraten selbst, und man | |
könnte das für eine Fehlstelle der Überlieferung halten. Ein Trugschluss. | |
Denn einige sind ja namentlich bekannt geworden, zumal wenn sie sich als | |
Söldner offiziellerer Heere einspannen ließen, wie jener vom makedonischen | |
König Phillip V. mit einem Verband von 20 Schiffen ausgestattete Ätoler, | |
der sich Dikäarch nannte. | |
## Zynismus gehört zum Geschäft | |
Das bedeutet so viel, wie „ursprüngliche Sitte“ oder „ursprüngliches | |
Recht“, und ob das sein Künstlername war, ist unklar. Es würde aber zum | |
zynischen Humor dieses Mannes passen, der laut antiker Überlieferung die | |
Küstenorte der Kykladen und des Hellesponts überfiel und zum Andenken an | |
die Plünderungen je zwei Altäre errichtete, den einen für die | |
Gottlosigkeit, den anderen für die Gesetzesübertretung. Vor denen brachte | |
er feierliche Brandopfer dar. Denn das, so rühmte er sich, seien seine | |
Gottheiten: Ein gewisser Zynismus scheint zum Geschäft zu gehören. | |
Dafür hat wenigstens die zweifellos reale illyrische Königin Teuta ihren | |
Platz: Den von Rom erhobenen Vorwurf, ihr Volk betreibe Freibeuterei, | |
konterte sie 230 v. u. Z. mit dem Hinweis darauf, dass sie sich in dessen | |
Privatangelegenheiten nicht einmische, solange alle brav ihre Steuern | |
zahlen. | |
Bekannt sind nur römische Versionen dieser Episode. Und ob Teuta wirklich | |
dafür sorgen ließ, dass der respektlosere der beiden Emissäre der Republik | |
nie wieder in seine Heimat zurückkehrte, weiß man nicht: Diese Gelegenheit | |
für einen Krieg ließ Roms Heerversammlung (Comitia Centuriata) nicht | |
verstreichen. Denn außer dem Wunsch, ihre Handelsflotten unbehelligt vor | |
Istrien und Dalmatiens fahren zu lassen, war das Interesse der Republik | |
groß, einen Zugriff auf die adriatische Küste zu bekommen: Keine am | |
Mittelmeer ist günstiger, um Salz zu gewinnen. | |
1 Aug 2016 | |
## LINKS | |
[1] http://www.kalkriese-varusschlacht.de/ | |
[2] http://www.comickritik.de | |
## AUTOREN | |
Benno Schirrmeister | |
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