# taz.de -- Prozess gegen somalische Piraten: Kalaschnikows und Geiselhaft | |
> Das Hamburger Landgericht hält Piratenprozesse in Deutschland weiter für | |
> sinnvoll. Die Opfer hätten ein Recht auf Bestrafung der Täter. | |
Bild: Verurteilte Piraten: Bundeswehrsoldaten durchsuchen ein Boot vor der soma… | |
HAMBURG taz | Wird es bei der erneuten Festnahme von Piraten noch einmal | |
einen Prozess in Deutschland geben? Das Hamburger Landgericht sieht dazu | |
keine Alternative. Das betonte der Richter Bernd Steinmetz in seiner | |
vierstündigen Urteilsbegründung, die am Freitag bis in den frühen Abend | |
dauerte. Die zehn somalischen Angeklagten waren zu [1][Freiheitsstrafen | |
zwischen zwei und sieben Jahren] verurteilt worden. | |
Im konkreten Fall habe es drei Gründe für die Zuständigkeit der deutschen | |
Justiz gegeben, so Richter Steinmetz. Das an Ostern 2010 angegegriffene | |
Schiff „MV Taipan“ fuhr unter deutscher Flagge. Zwei Opfer der Geiselnahme | |
– der Kapitän und ein Mechaniker – waren Deutsche. Außerdem sei die | |
Sicherheit des Seeverkehrs in allen Staaten der Welt geschützt. Wer auf | |
hoher See fremde Schiffe kapere, müsse mit Strafverfolgung rechnen. | |
Linke und kirchliche Gruppen hatten den Prozess ganz grundsätzlich infrage | |
gestellt. Sie sprachen von Kolonialismus und der Rechtfertigung von | |
Bundeswehreinsätzen gegen Piraten. Strafrechtlich mache der Prozess keinen | |
Sinn: Niemand in Somalia werde abgeschreckt, niemand könne – für ein Leben | |
in Deutschland – resozialisiert werden. | |
Richter Steinmetz räumte das ein, verwies aber auf den alten Strafgrund der | |
Sühne. Die von Piraterie betroffenen Seeleute hätten ein Recht auf | |
„Genugtuung“ durch Bestrafung der Täter. | |
## Lebensgefahr durch Kalaschnikow-Beschuss | |
Im Prozess sei es auch nicht so sehr um die Schäden der Reeder und ihrer | |
Versicherungen gegangen, sondern vor allem um das Schicksal der 15-köpfigen | |
Schiffsbesatzung. Sie sei durch Kalaschnikow-Beschuss in Lebensgefahr | |
geraten und habe monatelange Geiselhaft befürchten müssen. „Die meisten | |
Seeleute stammen aus ganz armen Staaten“, sagte Steinmetz an die Adresse | |
der Kritiker. Die Matrosen der „MV Taipan“ kamen aus Sri Lanka. | |
Die Anwälte zeigten sich teilweise erleichtert über das Urteil, denn das | |
Gericht war deutlich unter den Strafforderungen der Staatsanwaltschaft von | |
bis zu zwölf Jahre Haft geblieben. | |
Die Richter stellten die desaströsen Lebensverhältnisse in Somalia in | |
Rechnung, aber auch die erhöhte „Strafempfindlichkeit“. Die Männer hätten | |
vermutlich eine geringere Lebenserwartung. Auch könnten sie nicht sicher | |
sein, dass Angehörige und Freunde nach ihrer Rückkehr noch am Leben seien. | |
Dennoch werden wohl einige Anwälte für ihre Mandanten Revision am | |
Bundesgerichtshof einlegen und den angeblich mangelhaften Aufklärungswillen | |
des Gerichts kritisieren. Kein einziger Entlastungszeuge aus Somalia konnte | |
in Hamburg aussagen. | |
## 105 Verhandlungstage in zwei Jahren | |
Das Gericht hatte sich geweigert, durch Schmiergeldzahlungen an der | |
Passbeschaffung mitzuwirken. „Was hätten Sie gesagt, wenn wir einen | |
Belastungszeugen mit illegalen Methoden nach Deutschland geholt hätten“, | |
fragte Richter Steinmetz die Anwälte. | |
Für die lange Verfahrensdauer – der Prozess hat sich über 105 | |
Verhandlungstage binnen zwei Jahren hingezogen – machte Richter Steinmetz | |
die Verteidiger verantwortlich, die bis zum Schluss immer neue | |
Beweisanträge stellten. „Das ist zwar zulässig, aber rechtspolitisch sollte | |
man überlegen, ob ein Angeklagter, der behauptet, unschuldig zu sein, das | |
nicht zu Beginn der Beweisaufnahme sagen sollte.“ | |
Die Angeklagten hatten behauptet, sie seien zu der Tat gezwungen worden | |
oder nur unbewaffnete Mitläufer gewesen. Das Gericht fand das nicht | |
glaubwürdig. | |
21 Oct 2012 | |
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## AUTOREN | |
Christian Rath | |
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