# taz.de -- Kollektiver Protest gegen Kiesabbau: Baggert doch woanders | |
> Im Naherholungsgebiet Dellenhau in Baden-Württemberg soll ein Kiestagebau | |
> entstehen. Gemeinden rebellieren seit einem Jahr gegen das Vorhaben. | |
Bild: Bald auch in Dellenhau? | |
Singen taz | Wenn man dieser Tage durch das Areal Dellenhau spaziert, kann | |
man durch seine kahlen Bäume hindurch die Lichter des Waldfriedhofs von | |
Singen sehen. Schon vor Urzeiten begruben die Bewohner dieses Fleckchens im | |
deutsch-schweizer Grenzgebiet ihre Ahnen hier. Im Schatten des mächtigen | |
Vulkankegels des Hohentwiel, dessen Weinhänge sich fast bis an die Grenzen | |
des Dellenhaus hinziehen. „Wir haben hier sogar ein denkmalgeschütztes | |
keltisches Hügelgrab“, sagt Tilo Herbster, der ehemalige Förster dieses | |
Waldes im Westen der 48.000 Einwohner-Stadt. | |
Das Dellenhau ist ein beliebtes und artenreiches Naherholungsgebiet. „Hier | |
wachsen Wildbirne, Elsbeere, Walnuss und Ahorn, wir haben seltene | |
Tierarten: Haselmaus, Schlingnatter, Baumeidechse“, schwärmt Herbster, der | |
hier mit seiner Familie lebt. | |
Bald kann aber Schluss sein mit der Idylle unterm Vulkan. Denn am anderen | |
Ende von Singen hat die Stadt dem Kieswerk Birkenbühl die Abbaugenehmigung | |
entzogen, es wuchs zu nah an Wohngebiete heran. Der Geschäftsführer des | |
Kieswerks, Andreas Drewing, ist nun fest entschlossen, sich seinen Kies | |
hier im Dellenhau zu holen. Das ist im Regionalplan Baden-Württemberg aber | |
nur als Sicherungsgebiet vorgesehen. Der Abbau muss erst in einem | |
langwierigen Raumordnungsverfahren, das momentan läuft, erlaubt werden. | |
Und das erweist sich nicht als der Spaziergang, mit dem Drewing noch 2014 | |
gerechnet hatte, als ihm der Landesbetrieb Forst Baden-Württemberg als | |
Verwalter den landeseigenen Dellenhau verpachtete, falls der Abbau grünes | |
Licht von den Behörden bekommt. | |
## Wer nebenan protestiert | |
Denn seit einem Jahr rebellieren die Städte und Gemeinden, die dem | |
Dellenhau am nächsten liegen. Denen geht es weniger um die Natur und | |
Geschichte des Dellenhaus. Sondern darum, dass das Gebiet zu zentral für | |
einen staubintensiven Kiesabbau liegt. Das städtische Klinikum, mehrere | |
Wohnsiedlungen, eine Kindertagesstätte und der touristisch genutzte | |
Vulkankegel Hohentwiel befinden sich in unmittelbarer Nähe der geplanten | |
Kiesgrube. Nicht nur das: „Der Kies, der im Dellenhau abgebaut werden soll, | |
muss zur Verarbeitung dann ins alte Kieswerk am anderen Ende der Stadt | |
gekarrt werden. Zusammengerechnet komme ich auf 119 Fahrten pro Tag“, sagt | |
Dellenhau-Bewohner Tilo Herbster. | |
Der Druck auf Unternehmer Andreas Drewing wächst. Er braucht das Dellenhau. | |
Das Kiesgeschäft in der Gegend ist ein Haifischbecken. Drewing ist dabei | |
der kleinste Fisch – bekommt er keine neue Kiesgrube, wird er gefressen. | |
Das liegt an den, wie das Bundeskartellamt bestätigt, „kartellähnlichen | |
Zuständen“ im Kiesabbau in der Gegend. Der größte Fisch ist dabei die Firma | |
Meichle und Mohr, ansässig im schwäbischen Immenstaad. Vor Jahren hat die | |
Firma mit dem Baugiganten Strabag einen strategischen Partner gefunden, | |
zusammen herrschen sie über den Kiesabbau in der Region. | |
## Wer mitbaggern will | |
Auch im Areal Dellenhau wollen Meichle und Mohr und die Strabag mitbaggern. | |
Zusammen halten sie die Hälfte des Kieswerks Birkenbühl. Der Rest gehört | |
dem hochadeligen Haus Baden, durch dessen Strukturen auch | |
Birkenbühl-Geschäftsführer Andreas Drewing ein paar Prozente am Kieswerk | |
besitzt. Schon Vater Heinz baggerte Kies für das Haus Baden. Sohn Andreas | |
managt inzwischen nicht nur dessen Kiesgruben, sondern auch den | |
herzöglichen Forst um Adelssitz Schloss Salem. | |
Wird der Kiesabbau im Dellenhau nicht genehmigt, wächst die Abhängigkeit | |
Drewings und des Hauses Baden von Meichle und Mohr. Die Familienfirma | |
besitzt in fast jedem Kieswerk der Region ihre Anteile. Irgendwo muss der | |
Kies schließlich herkommen, mit dem Andreas Drewing das Betonwerk der MB | |
Mobilbeton AG im schweizerischen Thurgau beliefert. Dort werden bislang bis | |
zu 40 Prozent aus dem Kieswerk Birkenbühl verarbeitet. Der Export lohnt | |
sich: In der Schweiz verkauft sich die Tonne Kies zum dreifachen Preis. | |
Wem die MB Mobilbeton gehört, weiß keiner, die Inhaber sind durch | |
Namensaktien anonymisiert. Drewing selbst nennt es ein „firmeneigenes | |
Betonwerk“ des Kieswerks Birkenbühl. Das scheint Anteilseigner Strabag | |
allerdings neu zu sein: „Das Kieswerk Birkenbühl hält keine Beteiligungen | |
an der MB Mobilbeton“, so eine Sprecherin gegenüber der taz. | |
„Wir gehen davon aus, dass das Thema Dellenhau vor Gericht entschieden | |
wird“, sagt der Freiburger Anwalt Reinhard Sparwasser, der für die | |
Dellenhau-Anlieger gegen den Kiesabbau kämpft. Anfang 2017 taten sich | |
Singen und drei weitere Gemeinden gegen den Abbau zusammen. | |
Verwaltungsrechtsexperte Sparwasser ist überzeugt: Der Kiesabbau verstößt | |
gegen das Bestattungsgesetz. | |
Das merkt man, wenn die Lichter des Friedhofs gegenüber bis in die kahlen | |
Bäume des Dellenhaus leuchten. Das Stückchen Heimat am Rande der Stadt hat | |
eine mächtige letzte Instanz: seine Ahnen. | |
3 Apr 2018 | |
## AUTOREN | |
Alexandra Mostyn | |
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