| # taz.de -- Bremer Haushaltspolitik vor Gericht: Klimakrise ist Notstand genug | |
| > Die CDU hat gegen Bremer Haushalte geklagt. Jetzt ließ das Gericht | |
| > durchscheinen, dass die Klimakrise eine Ausnahme von der Schuldenbremse | |
| > begründen könnte. | |
| Bild: Darf man oder darf man nicht? Installation des Bunds der Steuerzahler zä… | |
| Bremen taz | Durfte das Land Bremen Schulden machen in den Jahren 2023 und | |
| 2024? Diese Frage stand am Mittwoch im Mittelpunkt einer Verhandlung vor | |
| dem Bremer Staatsgerichtshof. Mitverhandelt wurden der Einfluss | |
| Deutschlands auf den Klimawandel, Feinheiten der Haushaltsführung und die | |
| große Frage, wann aus Not Normalität wird. | |
| Seit 2020 muss sich das Land Bremen an die Schuldenbremse halten. | |
| „Einnahmen und Ausgaben sind grundsätzlich ohne Einnahmen aus Krediten | |
| auszugleichen“, heißt es [1][in Artikel 13a der Landesverfassung]. Von 2020 | |
| bis inklusive [2][2024 hat Bremen aber hohe Kredite aufgenomme]n, jedes | |
| Jahr aufs Neue. | |
| Das Land hat sich dafür auf eine Ausnahmeregelung der Schuldenbremse | |
| bezogen: Kredite sind möglich „im Falle von Naturkatastrophen oder | |
| außergewöhnlichen Notsituationen, die sich der Kontrolle des Staates | |
| entziehen und die staatliche Finanzlage erheblich beeinträchtigen“. | |
| Für die Coronajahre hat die Opposition das weitgehend mitgetragen. Als im | |
| März 2023 in den laufenden Haushalt nachträglich zusätzliche 2,7 Milliarden | |
| Euro aufgenommen werden sollten, war es mit der Einigkeit aber vorbei. Die | |
| Begründung für den hohen Kredit war neu: Neben den Nachwirkungen der | |
| Coronakrise sowie den Auswirkungen von [3][Ukrainekrieg und Energiekrise], | |
| stellte der Senat die Klimakrise in den Mittelpunkt. Sie selbst sei, | |
| verschränkt mit den anderen Krisen, eine außergewöhnliche Notsituation. | |
| ## Bremer CDU hat gegen Haushalte geklagt | |
| Die Bremer CDU hat diese Argumentation von Beginn an angezweifelt und unter | |
| anderem deswegen Klage gegen die Haushalte eingereicht. Über diese wird nun | |
| zwei Jahre später am Bremer Staatsgerichtshof verhandelt. | |
| Entschieden ist noch nichts – erst am 23. Oktober soll das Urteil verkündet | |
| werden. Aber das Gericht lässt schon jetzt durchscheinen: Doch, die | |
| [4][Klimakrise kann eine Notsituation rechtfertigen.] Wenn es wirklich so | |
| entscheidet, wäre es das erste Mal, dass ein Verfassungsgericht diese | |
| Argumentation akzeptiert. Der Bremer Staatsgerichtshof traut sich dabei, | |
| [5][Urteile des Verfassungsgerichts Schleswig-Holstein von April] und | |
| einige Interpretationen des Bundesverfassungsgerichts von 2023 zumindest | |
| infrage zu stellen. Letzteres hatte festgestellt, dass die Ausnahme der | |
| Schuldenbremse nicht für vorhersehbare Krisen gelten könne. | |
| So sieht es auch die Bremer CDU. Die stört an der Anwendung der Klimakrise | |
| auf die Ausnahmeregelung nämlich unter anderem, dass sie lange absehbar | |
| gewesen sei – und noch dazu auf Dauer angelegt. | |
| Handeln im Sinne des Klimaschutzes könne damit nicht als „außergewöhnliche | |
| Notsituation“ definiert werden. „Das hieße, die Schuldenbremse dauerhaft | |
| außer Kraft zu setzen“, sagte der Verfahrensbevollmächtigte der CDU, | |
| Christoph Gröpl. Ergo müsse das Geld für Klimaschutzmaßnahmen aus dem | |
| regulären Haushalt kommen. Gröpl machte noch ein größeres Fass auf und | |
| konstatierte, dass die Klimakrise sich ohnehin aus Deutschland heraus | |
| nicht lösen lasse. | |
| Diese Argumentation wies das Gericht allerdings deutlich zurück: „Die | |
| Bundesrepublik ist einer der höchsten CO2-Emittenten der Welt“, sagte der | |
| Vorsitzende Richter, Peter Sperlich. „Wenn nicht wir Treibhausgase | |
| einsparen, wer denn dann?“ | |
| ## Wann rechtfertigt eine Notsituation Kredite? | |
| Bei den Fragen, wie die Eigenheiten der Klimakrise zum Wortlaut der | |
| Verfassung in Bund und Land und zu Urteilen des Bundesverfassungsgerichts | |
| passen, bewies das Gericht Lust an der Debatte – und an | |
| Gedankenexperimenten. Immer wieder stellte Richter Sperlich beiden Parteien | |
| „Was wäre, wenn …“-Fragen, um Begriffe zu klären. | |
| Wie in sokratischen Dialogen wirkte das teilweise. Kann, so ein Beispiel, | |
| allein die Dauer einer Krise dazu führen, dass sie nicht mehr | |
| außergewöhnlich ist? „Sagen wir, wir wären im Krieg – nicht zwei, sondern | |
| fünf, vielleicht sogar zehn Jahre“, stellte Sperlich in den Raum. „Würde | |
| dann allein die Dauer dazu führen, dass man keine Notkredite mehr aufnehmen | |
| könnte?“ Nein, so die Antwort der CDU-Vertreter, das wäre wohl undenkbar. | |
| In diesem Stil hangelte sich das Gericht von Begriff zu Begriff. Was ist | |
| eine Notsituation? Wann ist sie außergewöhnlich? Und: Wann entzieht sich | |
| eine Situation der Kontrolle des Staates? | |
| Von der Klärung des großen Ganzen ging es bis ins Detail, auf die Ebene der | |
| einzelnen Haushaltsposten. Die Richter*innen ließen sich die Feinheiten | |
| der Haushaltsführung wieder und wieder erklären. Am Ende der sechsstündigen | |
| Verhandlung zeigten sich alle erschöpft, die Plädoyers wurden verschoben. | |
| ## Bremer Haushaltspolitik steht nicht das erste Mal infrage | |
| Die grundsätzliche Bereitschaft des Staatsgerichtshofs, die Klimakrise als | |
| Begründung für eine Notlage anzuerkennen, darf nicht darüber | |
| hinwegtäuschen: Lässig abnicken werden sie die von der CDU angezweifelten | |
| Haushalte wohl nicht. | |
| Teilweise war das vorher klar: Was Bremen im März 2023 als Haushalt | |
| verabschiedet hat, war nicht rechtens: Das Land hatte sich damals eine | |
| Kreditermächtigung über 2,7 Milliarden Euro in den Haushalt geschrieben, um | |
| das Geld bis 2027 verwenden zu können. | |
| So einer Notkreditermächtigung über Jahre hinweg hatte schon das Urteil | |
| des Bundesverfassungsgerichts im Herbst desselben Jahres eine Absage | |
| erteilt. Bremen setzte seinen eigenen Haushalt deshalb durch einen zweiten | |
| Nachtragshaushalt außer Kraft. Die CDU hatte ihren Antrag gegen beide | |
| Varianten gestellt. | |
| Aber auch der Haushalt für 2024 wurde im Detail durchaus vom Gericht | |
| kritisiert: Nicht bei allen Posten wurde demnach ausreichend begründet, wie | |
| sie helfen könnten, die „unkontrollierbare“ Klimakrise wieder unter | |
| Kontrolle zu bekommen: Die Anschaffung von „dekarbonisierten“ | |
| Gefangenentransportern in Höhe von 1,6 Millionen Euro etwa. | |
| Am Ende schlug Richter Sperlich eine „Je-desto“-Regel in den Raum: Je | |
| länger eine Krise dauert, desto mehr ist der Staat bei der Begründung von | |
| Krediten gefordert. | |
| 11 Sep 2025 | |
| ## LINKS | |
| [1] https://www.transparenz.bremen.de/metainformationen/landesverfassung-der-fr… | |
| [2] /FDP-zieht-Bremer-Haushalt-vor-Gericht/!6022685 | |
| [3] /Ukrainekrieg-und-Energieversorgung/!5916231 | |
| [4] /Oekonom-ueber-Bremens-Klimafonds/!5969839 | |
| [5] /Schuldenregeln-in-Schleswig-Holstein/!6079095 | |
| ## AUTOREN | |
| Lotta Drügemöller | |
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