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# taz.de -- Eigeninitiative Verkehrspolitik: Billerbecker bauen Radweg selbst
> Ewig auf eine Fahrradspur warten? Im Münsterland setzten sich Bürger auf
> den Bagger und legten los. Spart Zeit, Geld und ist irgendwie cool.
Bild: 1.000 Arbeitsstunden hat allein Baggerfahrer Josef Kortüm investiert
Billerbeck taz | [1][Oliver Krischer, Nordrhein-Westfalens grüner
Verkehrsminister], hat an diesem Freitag einen vermutlich sehr angenehmen
Termin. Er fährt ins westliche Münsterland. Dort wird ihm der fast fertige
Bürgerradweg Billerbeck präsentiert.
Ein Bürgerradweg? Ist nicht jeder Radweg für Bürgerinnen und Bürger? Nun,
diesen hier aus dem beschaulichen Billerbeck nach Westen Richtung Coesfeld
haben die EinwohnerInnen weitgehend selbst erdacht, geplant – und vor allem
gebaut. 5,6 Kilometer misst die Strecke. Sie führt entlang der engen
Landstraße L 581, einer Autoraserpiste ohne jeden Schutz für Zweiräder.
„Sieht schon gut aus, oder?“, fragt Christoph Ueding. Der Einkaufsleiter
eines Caterers für Schulessen gehört zu den Initiatoren des Vereins
Bürgerradweg Ost- und Westhellen. Zusammen mit anderen Machern des Projekts
sitzt er beim Kaffee in seinem Garten in Osthellen. Vor dem Haus wird der
geschotterte Radweg gerade mit Hochborden eingefasst, letzte Rinnen werden
gesetzt und alles wird asphaltiert. Abschließende Arbeiten, die eine
Fachfirma macht.
Der Schotterweg aus Bürgerhand ist 2,50 Meter breit und schlängelt sich
hellgrau an Wiesen und Feldern vorbei bis zum Horizont. „Die [2][Radfahrer
von der Straße zu kriegen ist essenziell]“, sagt Ueding. Wie zur
Illustration braust ein Auto sehr energisch und hochtourig los, als es grün
wird an der einspurigen Baustellenampel. Als müsse der Zeitverlust von
annähernd einer Minute unbedingt aufgeholt werden. Wrooom.
## Ein NRW-Ding
Das [3][Land Nordrhein-Westfalen lässt Bürgerradwege zu], wenn die Kommune
und der Landesbaubetrieb Straßen.NRW die Daumen heben. Es gibt schon
einige solcher Strecken, allerdings oft nur wenige hundert Meter lang. Dass
die Menschen so engagiert selbst anpacken wie in Billerbeck, ist allerdings
ungewöhnlich.
2020 gab es die Idee erstmals. Bis die erste Schaufel im Herbst 2023 zum
Einsatz kam, musste allein Bauleiter Norbert Kerkeling („Ja, der Hape
Kerkeling und ich haben die gleichen Vorfahren im 15. Jahrhundert“) viele
hundert Stunden investieren: Von Anträgen und Planungssitzungen mit dem
Landesbaubetrieb berichtet er, von Bodengutachten, Genehmigungen hier und
da, vor allem vom Grundstückstausch. Denn neben der Straße seien mindestens
fünf Meter zusätzlicher Platz nötig gewesen. Die EigentümerInnen bekamen in
Absprache mit der Gemeinde ebenso große Flächen an anderer Stelle.
Anfangs sei man von Haus zu Haus gegangen, sagt Holger Dettmann vom
Billerbecker Bauamt. „Alle haben mitgemacht. Bis auf einen. Da haben wir
den Weg eben ein paar Meter früher auf die andere Seite verlegt als
ursprünglich geplant.“
## Zusammenarbeit von Anwohnern und Behörden
Ueding ergänzt: Die Zusammenarbeit von Anwohnern, Behörden und der Stadt
sei „vorbildlich gewesen“. Und: Ohne die Eigeninitiative wäre der seit 2005
laufende Antrag auf einen Radweg wahrscheinlich immer noch ganz unten auf
der Liste beim Landesbaubetrieb.
Rund 2,3 Millionen Euro wird alles am Ende gekostet haben, 400.000 Euro
weniger als ohne eigenes Anpacken. Ist das viel? „Das ist sehr viel“, sagt
Dettmann, „eine Menge gespartes Steuergeld.“ Geld, das für Radwege anderswo
ausgegeben werden kann.
Dettmann kann aber auch von Überraschungen unterwegs berichten, etwa unter
einer Wiese „so blubbernde Fließsande, das war fast wie ein Trampolin, wenn
man drauf ging“. Mit Geogittern und fast einem Meter Schotter habe man
auffüllen müssen, bis alles stabil war. Einmal musste auch eine kleine
Brücke neu gebaut werden – wegen eines Wasserzuflusses aus den Feldern.
Insgesamt haben 65 emsige Billerbecker Bürger 20.000 Tonnen Schotter und
Sand verfüllt.
## 4.000 Arbeitsstunden
Baggerfahrer Josef Kortüm hat allein rund 1.000 der zusammen 4.000
Arbeitsstunden auf seinem Konto. „An einem Tag mal in Doppelschicht volle
250 Meter. Da sieht man abends: Du hast echt was geschafft!“ Manchmal seien
„begeisterte Radler vorbeigekommen und haben uns ’nen Schein zugesteckt für
’ne Kiste Bier, als Lob, als Anerkennung.“
[4][Verkehrsforscher Andreas Knie vom Wissenschaftszentrum Berlin] hat viel
Lob für das Billerbecker Projekt übrig. „Das ist doch ganz wunderbar, was
da passiert ist“, sagt er und fordert grundsätzlich: „Wir müssen raus aus
der kommunalen Kleinteiligkeit und die Kräfte für die Verkehrswende endlich
bündeln.“ Was die Bürger in dem kleinen Ort geschafft hätten, sei „in Gr…
nötig: eine einheitliche Fahrradstraßen Bau GmbH beispielsweise, auf
Landes- oder besser auf Bundesebene. „Diese Firma bekommt jährlich Summe X
vom Bund, und dann kann da jeder Anträge stellen“, so stellt Knie es sich
vor. Da gebe es dann auch Fachkompetenz. Kommunen allein seien „oft völlig
überfordert, auch weil ihnen Fachleute fehlen für Radstraßenbau, der
schließlich überall nachpriorisiert ist“.
Auffällig: Knie spricht immer von Radstraßen, nicht von den üblicherweise
verniedlichenden „Radwegen“. Und erst recht nicht von „Nebenanlagen“, w…
Radinfrastruktur abwertend im Behördendeutsch heißt.
Ueding berichtet, er sei auch auf Walze und Radlader dabei gewesen, mit der
Schaufel, vor allem aber als Koordinator, damit alle Rädchen
ineinandergreifen konnten. Ueding ist im Wallfahrtsort Billerbeck mit
seinen 12.000 EinwohnerInnen auch CDU-Stadtrat, aber sein politisches
Wirken habe „eigentlich gar nichts mit dem Projekt zu tun“, betont er. Auch
wenn gute Kontakte in die Verwaltung natürlich von Nutzen sind.
Uedings Sohn Hubertus wird jetzt eingeschult. Bald soll er dann allein nach
Billerbeck zur Grundschule radeln. Eröffnet wird der Radweg im Herbst. „Ich
würde das immer wieder machen und kann es nur empfehlen“, sagt Ueding,
„allein wie sehr so ein Bau die Community stärkt.“ AnwohnerInnen hätten
„sich darum gerissen, wer uns mit Frühstück, Mittagessen, auch mit Kuchen
versorgt. Das war so cool, mit so viel Gemeinschaft und neuen
Freundschaften.“
Allerdings sind solche Bürgerradwege bislang nicht in allen Bundesländern
zulässig. Die Verkehrsminister etwa aus Hessen und Brandenburg sollten auch
mal in Billerbeck vorbeischauen, am besten im Fahrradsattel.
22 Aug 2025
## LINKS
[1] /Oliver-Krischer-ueber-das-49-Euro-Ticket/!5969144
[2] /Sicherheit-im-Strassenverkehr/!6104629
[3] https://www.land.nrw/pressemitteilung/nordrhein-westfalen-stellt-fuer-neue-…
[4] /Kraftfahrzeuge-und-Strassen/!6084173
## AUTOREN
Bernd Müllender
## TAGS
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