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# taz.de -- Oberkörperfreie Männer: Zieh dir was an, Bro!
> Männer oben ohne? Im Club peinlich, auf der Straße: unangebracht, im
> Freibad: okay. Wo verlaufen die Grenzen? Eine Spurensuche im Berliner
> Prinzenbad.
Die Untersuchung beginnt dort, wo oberkörperfrei zu sein heute recht
unkontrovers ist: im [1][Berliner] Prinzenbad. Seit 2023 ist es auch Frauen
in den Berliner Bädern [2][gestattet], oben ohne zu schwimmen, in der
Pommesschlange zu stehen oder sich zu sonnen. Damals staunten die harten
Kreuzberger Jungs noch, liefen rot an, kicherten beim Anblick der frisch
geschlüpften Brüste, die sich auf einmal in der Hitze tummelten.
Heute hat man sich an den Anblick [3][gewöhnt]. So scheint es zumindest an
diesem 33 Grad heißen Tag im Freibad an der Prinzenstraße, wo ich mich mit
Freundinnen eingetroffen habe, um darüber zu konferieren, wann genau es
immer noch ein Problem ist, oben ohne zu sein. Nicht für Frauen, sondern
für Männer. Die Debatte folgt meist binären Kategorien – unsere Diskussion
größtenteils ebenso.
Es gibt nur wenige Orte neben dem Prinzenbad, wo Frauen das dürfen oder
können, was Männern längst gestattet ist. Gerade deshalb sind für viele
nackte Männeroberkörper in der Öffentlichkeit ein absolutes No-go.
„Ekelhaft“, „komplett daneben“, „eine Zumutung“, ist sich die Runde…
Doch wie lautet die genaue Regel? Im Prinzenbad stört es ja auch niemanden.
Ist es nur eine Frage des Ortes?
## Oben ohne mit Helm
Es wagen nicht viele, doch im Sommer sieht man sie immer wieder, die
männlichen Fleischmassen, die sich schwitzend durch die Straßen bewegen,
als gehörte ihnen die Welt. „Zieh dir was an!“ rief neulich eine Passantin,
als ein T-Shirt-loser Mann – trotzdem vorbildlich einen Fahrradhelm tragend
– an ihr vorbeizog.
„Ich habe letztens einen oberkörperfreien Mann an der Torstraße gesehen. An
der Torstraße! Also mitten in der Mitte von Berlin“, berichtet eine
Freundin. Alle schütteln angewidert den Kopf. Versuche, den Mann zu
verteidigen, gibt es nicht. Heißt: In städtischen Straßen greift offenbar
ein klares Kleidungsgebot für alle.
Wie ist es mit öffentlichen Sportplätzen? Oder Skateparks? „Ich weiß nicht,
warum, aber finde ich okay,“ sagt eine. Schließlich sei es ein abgetrennter
Bereich innerhalb der Stadt. Fairer Punkt, würde man denken, aber: „Ich
könnte da doch auch nicht ohne Top trainieren,“ erwidert eine
Pro-Shirt-Verfechterin. Zum ersten Mal gibt es Differenzen.
## Keine sexuelle Konnotation?
Konfrontiert man Männer damit, dass man als Frau nun mal nicht shirtlos in
die Öffentlichkeit treten kann, argumentieren diese manchmal, dass
Frauenbrüste sekundäre Geschlechtsmerkmale seien, die nun mal eine sexuelle
Konnotation haben. Das sei bei der flachen Männerbrust nicht der Fall.
Natürlich gehören zu den männlichen sekundären Geschlechtsmerkmalen aber
auch ihre vermehrte Behaarung nach der Pubertät, der vergrößerte Adamsapfel
oder die tiefere Stimme. Nichts davon müssen sie in der Öffentlichkeit
verstecken, um nicht als unangebracht entblößt zu gelten. Der Unterschied
ist lediglich: Frauen unterliegen mit ihrer Kleidung schärferen moralischen
Vorstellungen als Männer.
„Am schlimmsten“, sagt eine in der Runde, „ist, wenn man oberkörperfreie
Männer darauf anspricht, dass man sich als Frau auch nicht einfach
ausziehen könne, und die dann grinsend antworten: Mach doch.“ Alle nicken
heftig, headbangen fast, als hätten wir dieses Gespräch schon alle einmal
führen müssen. Natürlich könne man sich nicht ausziehen, denn man fühle
sich eben nicht sicher. Außerdem gilt die nackte Frauenbrust als
Beeinträchtigung der öffentlichen Ordnung und ist auch auf den sozialen
Medien schlichtweg verboten.
## Ist oberkörperfrei im Club ok?
Wir diskutieren weiter, um klaren Grundsätzen näherzukommen und wollen uns
nicht zu sehr auf die „Was ist mit Frauen?“-Frage versteifen. Schließlich
beträfen die Grundsätze, die wir hier schaffen wollen, ausschließlich
Männer.
Straße? Nein. Beim Sport? Vielleicht. Ein anderer Ort, wo man wohl oder
übel viel Männerhaut zu sehen bekommt, ist im Club. „Je mehr
oberkörperfreie Typen, desto mehr muss man den Club vermeiden.“
Dabei gehe es nicht um queere oder sexpositive Partys – dort fühlen sich
auch Frauen dazu frei und sicher, und auch beispielsweise trans Männer, die
nach einer Mastektomie ihre Brust zeigen, können dies als Akt der
Selbstermächtigung empfinden. Dafür werden sie gefeiert. „Da gehört das
dazu.“
## Tomorrowland-Vibes
Problematisch seien eher die Partys, wo sich Bros ausziehen, um ihre
Muskeln zu präsentieren. „Horror,“ kommentiert eine. „Tomorrowland-Vibes…
Dabei entsteht nebenbei noch eine Regel. Es geht offensichtlich nicht um
die Art von Körper, die problematischen Typen in aller Öffentlichkeit
auspacken: Egal, ob durchtrainierte, schlanke, dicke, breite, große oder
kleine – die Jury im Schwimmbad findet sie alle daneben.
Auch die im Club. „Und bei Festivals?“, frage ich nach. Da gehe das schon
eher, sagen ein paar. „Kommt aber an auf die Art, wie.“ Manche nähmen
nämlich viel Platz mit ihrer nackten Präsenz ein, können fast bedrohlich
wirken, als müssten sie beweisen, dass ihnen mehr zustünde. In manchen
anderen Fällen sei es okay.
Auch hier kommen wir nicht ganz auf einen Nenner. „Ich finde es beim
Festival genauso panne. Ich will keinen Schweiß abbekommen beim Tanzen.“
Stimmt auch wieder. Vielleicht stellen wir auch die ganz falsche Frage.
## Nackte Ungerechtigkeit
Ist es nicht Zeugnis einer großen Verklemmtheit, gegenüber Freizügigkeit so
abgeneigt zu sein? Schließlich ist es eine äußerst westliche, vielleicht
durch rest-christliche Scham geprägte Sicht. Wäre es nicht sinnvoller,
stattdessen mehr Prinzenbad zu wagen?
Wo sich Männer wie Frauen entblößen, und die Mäuler der Gaffer, allein aus
Gewohnheit an die Nacktheit, irgendwann geschlossen sein werden. Eher
unwahrscheinlich. Denn der Unterschied ist: Vor dem Bademeister sind wir
alle nackt und bloß. Und anders als auf der Straße damit ähnlich
verletzlich.
Auf der Suche nach klaren Regeln kann man eben doch nicht ausklammern, dass
eine Ungerechtigkeit existiert, was Nacktheit angeht, die von den
Oben-ohne-Männern nicht wahrgenommen wird. Sie besitzen in dem Moment, in
dem sie sich in der Öffentlichkeit ausziehen, nicht die Fähigkeit, eine
Situation zu lesen: Ihnen ist nicht bewusst, wie viel Raum sie damit
einnehmen, wie einschüchternd oder dominierend ihr Verhalten wirken kann.
Die Fähigkeit, Situationen zu lesen, kann bei Frauen dagegen
überlebenswichtig sein. Sie muss ständig ihre Umgebung einschätzen,
Stimmungen und mögliche Gefahren wahrnehmen.
Neben wen setzt sie sich in der U-Bahn? Wie geht sie nach Hause? Welcher
Platz im Park ist am sichersten? Das dazu noch oberkörperfrei zu tun, ist
unmöglich. Vielleicht also sollten korrekte Männer einfach aus Solidarität
darauf verzichten, sich auszuziehen.
Die zehn Gebote des Oben-ohne-Seins ließen sich im Schwimmbad nicht in
Stein meißeln – vielleicht, weil es diese Klarheit nicht gibt. Stattdessen
haben wir Grauzonen und Uneinigkeiten entdeckt. Ob oder wann Männer oben
ohne unangemessen sind, darüber lässt sich eigentlich nur eines sicher
sagen: Man weiß es, wenn man es sieht.
20 Aug 2025
## LINKS
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## AUTOREN
Valérie Catil
## TAGS
Männer
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Kolumne Geraschel
Zukunft
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