# taz.de -- Rückkehr der 2010er-Mode: Hotpants und andere Verirrungen | |
> Mini- und Skinny-Jeans verraten es: Die 2010er-Jahre sind zurück – und | |
> machen mich nervös. Muss man das wirklich noch mal mitmachen? | |
Bild: Die 2010er sind zurück und damit ihre modischen Irrungen und Wirrungen | |
Die rapide Rückkehr des Hotpants-Unbehagens stieg in mir auf, als ich | |
Anfang des Sommers Hotpants sah. Eigentlich war es nicht der Anblick dieser | |
ultrakurzen Jeansshorts in einem Londoner Secondhandshop. Es waren die | |
Worte meiner besten Freundin, als sie sie in die Höhe hielt: „Wieder cool, | |
oder?“ Ich lächelte ein erzwungenes Lächeln und sagte nichts. Ich war mit | |
den knielangen Shorts der letzten Sommer, den sexy kurzen oder luftig | |
langen Röcken zufrieden. Auch die mittellangen Adidas-Shorts, auf die sich | |
Szenekids aus Berlin, Festivalgänger und diejenigen, die darin wirklich | |
Sport machen, einigen können, finde ich gut. Cool, aber entspannt und | |
dadurch auch ziemlich hot. | |
Hotpants fehlt diese Lässigkeit, außerdem sind sie übelst unbequem. Der | |
harte Stoff schneidet schon bei kleinen Bewegungen in die Oberschenkel und | |
ist meistens so kurz, dass die Haut beim Hinsetzen unweigerlich mit | |
dreckigen Parkbänken oder schwitzigen U-Bahn-Sitzen in Berührung kommt. | |
In den frühen 2010ern waren diese Hosen ein großes Thema. Jimi Blue | |
Ochsenknecht versuchte, sich seinem Image des fußballspielenden Kinderstars | |
zu entledigen, indem er „sexy girls“ in „little red hotpants“ besang. A… | |
ich in die Mittelstufe kam, befragten Zeitungen und Radiosender gerade | |
Schulleiter (männlich), wann genau Hotpants denn zu kurz seien, um für den | |
Pausenhof als angemessen zu gelten (wenn sie nicht beide Pobacken bedecke). | |
Auch ich wollte damals unbedingt minikurze Jeansshorts haben, so wie alle. | |
Mein Unbehagen rührte jedoch nicht nur von den Hotpants selbst her. | |
Vielmehr erkannte ich in ihrer plötzlich wieder erklärten Coolness ein | |
Indiz dafür, dass eine weitreichendere und besorgniserregende Entwicklung | |
voranschreitet: Die modische Rückkehr der 2010er Jahre insgesamt. Die lässt | |
sich schon seit einiger Zeit online beobachten. Supermodel Bella Hadid | |
trägt Skinny Jeans, [1][Fashion-Influencer lieben wieder Fransen und | |
Slouchy-Boots] (solche mit weitem, weichem Material, das nicht aufrecht am | |
Bein entlangführt, sondern herunterrutscht). | |
Na gut. Aber heißt das, wir sehen auch bald Ketten mit riesigen | |
Eulenanhängern, Schlauchschals, viel zu kleine enge Lederjacken, mit | |
Schnurrbärten verzierte T-Shirts und Leggings im Galaxy Print wieder? | |
Männer in Holzfällerhemden, mit langen Bärten und Man-Buns? Ich finde | |
Tiktoks, in denen diese modischen Verirrungen nachgestylt werden, | |
NutzerInnen posten darunter entzückte Kommentare, fordern die Rückkehr der | |
„Swag-Era“. Beim Anschauen cringe ich hart. „Swag“ – das, was die Kids | |
heute Aura nennen, ist auch der Titel von Justin Biebers neuem Album, dem | |
Popstar der 2010er. Kann das noch Zufall sein? | |
Ich bin sicher nicht die Einzige, die Widerstand verspürt, wenn sie mit | |
Hotpants konfrontiert ist. Oder mit Skinny Jeans. Oder mit mit | |
Plastikperlen bestickten Krägen von Polyesterblusen, die bis zum Hals | |
zugeknöpft getragen werden. In den 2010ern fluteten Fast-Fashion-Brands den | |
Markt mit billig produzierten Produkten, die plötzlich alle haben und wild | |
miteinander kombinieren wollten. Nachhaltigkeit und gute Qualität wurde | |
erst gegen Ende des Jahrzehnts wieder cool. Kein Wunder, dass die 2010er | |
das modisch schlimmste Jahrzehnt seit Menschengedenken waren. Sage ich | |
jetzt. | |
## Widerstand! Aber wie? | |
Aber ist es überhaupt möglich, modischen Widerstand zu leisten, wenn | |
schreckliche Trends wieder cool werden? Die einfache Antwort lautet: ja. | |
Niemand ist gezwungen, sich neue Kleidung zu kaufen, nur weil sie gerade | |
auf der Straße oder im Internet getragen wird. Aber wirklich einfach ist | |
das nur für Personen, die gefestigt bis rigide in ihrem Stil sind oder für | |
solche, die sich nicht weiter für Kleidung interessieren. Für alle anderen | |
ist es schon schwieriger. | |
Zum einen gibt es da den Gewöhnungseffekt. Je öfter man einen Look sieht, | |
desto mehr gewöhnt man sich an ihn, egal wie groß der innere Widerstand | |
anfangs sein mag. Schrecklich wird zu normal und normal mitunter zu cool. | |
So oder so ähnlich funktioniert wohl auch Konfrontationstherapie. Zum | |
anderen hat Mode immer etwas mit Zugehörigkeit zu tun. Kleidet man sich | |
entsprechend dem letzten Schrei, signalisiert das: Ich weiß, was cool ist, | |
ich gehöre dazu. Und natürlich kann es auch einfach Spaß machen, Neues und | |
Altes auszuprobieren und eigene Tabus zu durchbrechen. | |
Genau wie heute die Hotpants, fand ich im Herbst vor zwei Jahren den damals | |
um sich greifenden Y2K Signature Look, für den man einen Rock über einer | |
Hose trägt, ebenfalls cringe, schrecklich und irgendwie besorgniserregend. | |
Kurz darauf begann ich selbst, genau diese Kombination zu tragen und zu | |
lieben. Den gesamten Winter über war ein dunkelgrün-karierter Schottenrock | |
mein treuer Begleiter, getragen über variierenden Hosen, von ausgewaschenen | |
Jeans bis schwarzen Anzughosen, wenn nicht gerade der braune Mini ihn | |
ablöste. | |
Wenn man einem Trend erst verfallen ist, ist es schwierig zu sagen, ob man | |
den Look nun eigentlich wirklich mag, ob man sich einfach daran gewöhnt hat | |
oder schlicht dazugehören will. Beim Anblick der Hotpants im Secondhandshop | |
fragte ich mich sofort: Ist das jetzt cool? Muss ich das cool finden? Finde | |
ich das denn wirklich cool? Und auch: Muss ich mich jetzt schon wieder mit | |
etwas Neuem auseinandersetzen? | |
Die Geschwindigkeit, in der Trends aufeinanderfolgen, hat in den letzten | |
Jahren durch die sozialen Medien extrem zugenommen. Dazu gibt es endlose | |
Micro-Trends, die nebeneinanderher existieren und jeweils schon nach | |
wenigen Monaten wieder outdated sind. [2][Die Clean-Girl-Ästhetik, der | |
Tradwife-Look oder Brat-Core] gehören dazu, um nur einige zu nennen. | |
„Will ich das tragen?“ ist letztlich eine Identitätsfrage. Denn wie man | |
sich kleidet, offenbart, wer man sein und wie man von anderen wahrgenommen | |
werden möchte. Sich diese Frage zu stellen, kann Spaß machen, weil man | |
immer wieder neue Seiten an sich entdecken kann. Das aber bei jedem | |
aufkommenden Trend aufs Neue zu tun, finde ich anstrengend. Abgesehen davon | |
kostet es Zeit, Geld und ökologische Ressourcen, modisch up to date zu | |
bleiben. Auf Social Media gibt es deswegen eine entsprechende | |
Gegenbewegung. InfluencerInnen empfehlen, einen ganz eigenen Stil zu | |
entwickeln und sich weniger vom Zeitgeist mitreißen und aufreiben zu | |
lassen. | |
## Die Beständigkeit von Omas Trenchcoat | |
Ich habe zwei Freundinnen, die ich beide [3][total fashionable] finde. Die | |
erste, weil sie immer weiß, was gerade angesagt ist, und oft auch, was als | |
Nächstes dran sein wird. Wahrscheinlich hat sie schon im letzten Sommer | |
voller Selbstbewusstsein ein Paar Hotpants gerockt. Die zweite finde ich | |
fashionable, weil sie komplett unabhängig von irgendwelchen Trends ihren | |
eigenen Stil entwickelt hat und auslebt. Ich bewundere beide. Es ist mega | |
cool, Antennen dafür zu haben, was um einen herum geschieht, aber auch, | |
sich davon überhaupt nicht aus dem Konzept bringen zu lassen. | |
Ich trage zwei Ringe, einen Pullover und einen Trenchcoat von meiner | |
Großmutter, die ich alle sehr liebe. Wenn ich morgens nicht nackt durch die | |
WG huschen will, schlüpfe ich in einen blau-weiß gemusterten Kimono, den | |
mir meine andere Großmutter überlassen hat. Gerade habe ich ein Wochenende | |
bei meinen Eltern verbracht und bin mit lauter ausgedienten Blusen und zwei | |
Kleidern meiner Mutter nach Berlin zurückgekehrt. | |
Mein Lieblingshemd ist viel zu groß, hat einen abgenutzten Kragen und | |
gehörte mal meinem Vater. Auch eine seiner alten Cappies trage ich seit | |
Jahren (wo ist die eigentlich?). Diese Sachen sind für mich nie in oder | |
out. Sie sind einfach da und fühlen sich gut an. Wenn ich Komplimente für | |
sie bekomme, verweise ich auf meine Verwandten mit so was wie „Danke! Ist | |
von meiner Großmutter, der alten Fashionqueen“ und denke an sie. | |
Ob ich im nächsten Sommer nun Hotpants tragen werde oder nicht, ist noch | |
nicht final entschieden. Mit dem Pullover meiner Großmutter könnten sie | |
vielleicht sogar ganz cute aussehen. Aber eigentlich hoffe ich, dass ich | |
stark bleibe und mich in diesem Falle nicht von der Welle des Zeitgeistes | |
mitreißen lasse. Keine Eulenketten, keine Galaxy-Print-Leggings. So viel | |
sollte beim fortwährenden Ausloten, ob etwas gerade cool ist und ob ich es | |
auch wirklich selbst cool finde, feststehen. Kleidung von Menschen zu | |
tragen, die einem lieb sind, kann ich nur empfehlen. Durch ihre | |
Beständigkeit helfen sie auch, Widerstand gegen schreckliche Modetrends zu | |
leisten. | |
28 Aug 2025 | |
## LINKS | |
[1] https://www.tiktok.com/@laurencella92/video/7528987965909994782 | |
[2] /Vibe-Shift-in-der-Mode/!6102075 | |
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## AUTOREN | |
Alice von Lenthe | |
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