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# taz.de -- Camp David und die Folgen: Shirt und Scham
> Die Freizeitbekleidungsmarke Camp David hat einen seltsamen Hype erlebt.
> Bisher zum Glück nur unter älteren Herren. Doch es gibt neue
> Entwicklungen.
Bild: Dieter Bohlen oder Ski Aggu? Beide sind Fans des Modelabels Camp David
Sommer in Neukölln und Dieter Bohlen sitzt vor meinem Lieblingsspäti. Als
ich vorbeigehe, glotzt er auf mein frisch gestochenes Lippenpiercing.
Natürlich war er es nicht wirklich, ich bezweifle, dass der „Pop-Titan“
gerne in meinem Kiez herumlungert. Aber er sah aus wie er: braun gebrannt,
weißes Hemd, helle Jeans (der ausgewaschene Typ), Basecap mit dem Wort
„COMMANDER“ und natürlich, unübersehbar, das Logo von Camp David quer üb…
der Brust.
Camp David, das ist eine Marke für Freizeitbekleidung: Caps, Poloshirts und
kurze Hosen, mit wilden, übergroßen Mustern, mindestens vier verschiedenen
Schriftarten auf jedem Shirt. Sie ist fest etablierte Freizeitbekleidung
für alte bis mittelalte Männer. Bisher zumindest. Jetzt bringt ein
angesagter Berliner Rapper die Kleidung vielleicht in die jüngeren
Generationen. Wer trägt diese Kleidung heute und warum?
Der Anblick von Späti-Bohlen brachte mich zurück in die Nullerjahre. In die
Fernsehabende, in denen ich „Deutschland sucht den Superstar“ schaute und
Bohlen mit seinen Sprüchen über Erfolg und Scheitern entschied. „Wir sind
hier Talentsucher und keine Müllsortierer“ – das war [1][sein eigener Ton],
heute würden wir wahrscheinlich eher sagen, Rassismus und Sexismus. Für
mich war er lange das Synonym für eine Männlichkeit, mit der ich absolut
nichts zu tun haben wollte und die mich doch prägte: gebräunt, überlegen,
immer selbstsicher. Und dazu immer diese Kleidung. Es gab kaum eine
Sendung, in der Bohlen nicht ein Camp-David-Shirt trug.
Camp David, benannt nach dem Freizeitsitz des amerikanischen Präsidenten,
ist nicht etwa eine amerikanische, sondern eine ostdeutsche Marke.
Gegründet 1997 von der Clinton Großhandels GmbH. Die Gründer, die Brüder
Thomas, Hans-Peter und Jürgen Finkbeiner sind wahre Fans des ehemaligen
amerikanischen demokratischen Präsidenten Bill Clinton – und lassen sich
von ihm inspirieren für ihre Firma, für die Frauenmarke Soccx, benannt nach
der Katze der Clinton-Familie und die Franchise Strategie „Chelsea“ nach
der Clinton-Tochter.
Allein im Namen steckt also schon das Versprechen von Freiheit, Abenteuer
und weit entfernten Welten. Aber das Amerika, das sie meinten, hat es so
nie gegeben und jetzt ist alles doch noch viel schlimmer geworden.
## Strand und Surfcamp nach Hause holen
Lange war Camp David eine mittelgroße Modemarke mit Fokus auf die neuen
Bundesländer. Hier sprach sie einerseits eine gewisse ostdeutsche
Begeisterung für Individualität nach Jahren des DDR-Einheitsstaats und
Sehnsucht nach Amerika an. Andererseits Menschen, die nicht nach Amerika
reisen würden, sondern sich den Strand und das Surfcamp nach Hause bzw. auf
ihre Freizeitkleidung holten. Oder wie Camp David es auf den Shirts
ausdrücken würde: „Honululu/CAMP DAVID/Surf/Sunset beach/N0-01 BOARDS &CO
S.U.P/SURFING/Flatwater & Downwind Racing/Blue“.
Doch auch die Begeisterung der Westdeutschen für Camp David kam, nämlich
2010, als Bohlen in der Jury von „Das Supertalent“ ein Hemd von Camp David
trug. Die Einschaltquoten waren riesig, mehrere Millionen Menschen sahen
zu, und über Nacht stiegen die Verkaufszahlen enorm. Bohlen wurde von da an
Markenbotschafter, im Werk in Hoppegarten soll ein überlebensgroßes Porträt
von ihm im Laden hängen, schreibt die Süddeutsche Zeitung.
Heute gibt es über 245 Filialen in Deutschland, Österreich und der Schweiz,
dazu tausend Verkaufsflächen. 2020 brachte der Discounter Lidl eine
Sonderkollektion mit Camp David und Soccx heraus, kuratiert von Bohlen.
Innerhalb kürzester Zeit rannten die Leute Lidl die Bude ein. Der
Europapark hat eine eigene Kollektion des Modelabels auf seinem
Freizeitparkgelände, Camp David hat sogar einen eigenen Freizeitpark an der
Ostsee.
## Sommeruniform für den Mittelstandsmann
Was sich viele inklusive mir fragen: Wieso zur Hölle Camp David und keine
x-beliebige andere Freizeitmarke? Die Marke ist zu einer Art Sommeruniform
für den Mittelstandsmann geworden: Die typische Kundschaft sei „der
Gas-Wasser-Installateur mit fünf oder zehn Mitarbeitern“, zwischen 40 und
60 Jahren, sagte Firmenchef Jürgen Voigt etwa der Märkischen Allgemeinen.
Dieser sei in seiner gesellschaftlichen Stellung etabliert und wolle
zeigen, dass er etwas geschafft und Geld für ein Kleidungsstück ausgegeben
hat.
Einen gewissen Wohlstand nach außen zeigen, aber dabei niemals exzentrisch
sein – das ist die Devise. Camp David ist in seiner Ästhetik nicht zu
elegant, aber auch nicht zu sportlich, farbenfrohe große Muster ja, aber
auch nicht zu viele Farben auf einmal – Bodenständigkeit in a nutshell.
Über Geschichte und Ästhetik hätte ich übrigens sehr gern mit den Gründern
oder mit der Unternehmensführung gesprochen. „Leider geben wir keine
Interviews oder Statements“, sagt mir der Pressesprecher. Vielleicht etwas
verständlich, wenn man sich anschaut, wie viel Belustigung dem Label von
Journalist:innen schon entgegengeschlagen ist. In der Neuen Zürcher
Zeitung heißt es: Die Gründer hießen so, „wie ihre Mode aussieht“: Jürg…
Thomas und Hans-Peter. Und die Träger sind laut Vice,
„reihenhausbesitzende, krombacherbechernde, sportschauguckende
Familienväter mit Igelfrisuren“.
## Die Sorglosigkeit der Camp-David-Männer
[2][Ski Aggu], 27, Berliner Rapper, jugendlicher Publikumsliebling,
veröffentlichte sein Musikvideo zum Song „Palermo“. Sommer, Pool,
Motorroller, Champagner – Ski Aggu ist ein typischer Berliner Atze mit
einer Leichtigkeit, die ich mag. Aber dann rappt er, ich höre wohl nicht
richtig: „Camp-David-Polo hat Farbe vom Himmel.“ Und trägt es im Musikvideo
auch selbstbewusst. Und wenn ich es mir so überlege, sieht Ski Aggu Dieter
Bohlen gar nicht mal so unähnlich.
Und: Seit 2023 ist Dieter Bohlen nicht mehr offizieller Markenbotschafter
von Camp David, brauchen sie also einen neuen. Aggu würde sich da ja
vielleicht anbieten, der hat letztes Jahr schon Ed-Hardy-Shirts
zurückgebracht. Ed Hardy, immerhin tief verankert in der Popkultur der
Nullerjahre. Aber Camp David? Für mich war das nie Pop, nie ironisch, nie
cool – immer Bohlen, immer Be- und Verurteilung des Körpers, die ich nicht
zurückhaben möchte.
Vielleicht reagiere ich so stark, weil ich mich selbst abgrenzen will von
dieser zugeschriebenen Selbstsicherheit. Die Entscheidung zu meinem
Lippenpiercing etwa hat Jahre gedauert. Zu groß war die Angst, was andere
denken, ob ich noch seriös wirke. Camp-David-Männer kennen diese Angst
nicht, glaube ich. Meine Wut auf sie ist auch Neid auf ihre Sorglosigkeit.
Gleichzeitig gibt es Momente, in denen mein Hass bröckelt. Beim letzten
Familiengrillen stellte ich erstaunt fest, dass mein Opa – sonst immer
stilsicher auch ein Camp-David-T-Shirt vom Flohmarkt trug. „Er ist jetzt 81
Jahre alt und er trägt es gern“, sagt meine Oma, als wäre damit auch
eigentlich schon alles gesagt. Kein Statement, kein Symbol. Nur ein Stoff,
den ein alter Mann gern anzieht, ja sich regelrecht kleidet. Sollten wir
uns da nicht drüber freuen?
17 Sep 2025
## LINKS
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## AUTOREN
Ann-Kathrin Leclere
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