# taz.de -- Ehemaliger Airline-Manager: „Die Luftfahrt braucht ein neues Gesc… | |
> Nach einer Airline-Karriere fordert Karel Bockstael zum drastischen | |
> Umdenken auf. Verantwortlich seien nicht Verbraucher, sondern die Branche | |
> selbst. | |
Bild: Auf dem Amsterdamer Flughafen Schiphol wurde Karel Bockstael zum Klimasch… | |
taz: Karel Bockstael, Sie sind auf Reisen, aber nicht mit dem Flugzeug. Wo | |
erwischen wir Sie gerade? | |
Karel Bockstael: Auf Wangerooge! Meine Frau und ich segeln leidenschaftlich | |
gerne. In den letzten Jahren haben wir alle ostfriesischen Inseln besucht. | |
Diese war die letzte, die uns noch fehlte. | |
taz: Urlaub in der Region – eine bewusste Entscheidung? | |
Bockstael: Ja, sicherlich. Da wir nicht die Ambition und den Mut haben, | |
Ozeane zu überqueren, sind wir in Nord-West-Europa unterwegs. Dort gibt es | |
[1][noch genug für uns zu sehen]. | |
taz: Sie fliegen nicht mehr? | |
Bockstael: Ich sage nicht, dass ich es nie mehr tun würde. Aber eigentlich | |
fliege ich nicht mehr, seit ich nicht mehr bei KLM arbeite. Ehrlich gesagt | |
habe ich genug von der Welt gesehen. Ich hatte meine Portion. Wobei ich mir | |
früher darüber unzureichend bewusst war. | |
taz: Um den CO2-Ausstoß der Luftfahrt zu begrenzen, gibt es zwei Ansätze: | |
Konsument*innen in die Verantwortung nehmen, um weniger zu fliegen, | |
oder Regulierungen seitens der Politik. Ihre Initiative Call Aviation To | |
Action fordert die Branche auf selbst aktiv zu werden. | |
Bockstael: Wir kommen alle aus der Branche oder arbeiten noch dort, und | |
machen uns Sorgen über den Klimawandel. Wenn die Luftfahrt-Emissionen | |
ungebremst weitergehen, kommt irgendwann ein Punkt, an dem das nicht mehr | |
aufrechtzuerhalten ist. Weil die Emissionen einfach zu hoch sind oder es | |
keine Akzeptanz mehr gibt. Oder durch eine starke Rezession, [2][die auch | |
durch den Klimawandel ausgelöst werden kann]. | |
taz: Im Mai veröffentlichten Sie und Ihre Mitstreiter*innen ein | |
Manifest, das bislang von mehr als 430 Personen unterzeichnet wurde. Es | |
beginnt mit dem Satz: „ We love aviation. And the planet. “ Neben dem | |
Planeten wollen Sie auch Ihre Branche retten? | |
Bockstael: Ja. Um eine harte Landung in fünf oder zehn Jahren zu | |
verhindern, wollen wir im Interesse der Branche über eine Strategie | |
nachdenken. Wir müssen die Transition zu Null-Emissions-Fliegen oder | |
Weniger-Fliegen selbst in die Hand nehmen und auch Regierungen um | |
Unterstützung dabei bitten. | |
taz: Was schwebt Call Aviation to Action da vor? Im Manifest sprechen Sie | |
von einem gänzlich anderen Geschäftsmodell. | |
Bockstael: Es beginnt damit, dass wir akzeptieren müssen, dass der | |
Luftfahrt nur noch eine begrenzte Menge an CO2 zur Verfügung steht. Das ist | |
unser Kohlenstoff-Budget und basiert auf dem Abkommen von Paris. Bisher | |
sind die internationale Luftfahrt und Schifffahrt von diesen CO2-Budgets | |
ausgenommen. Wenn die Branche eines bekommt, entsteht dadurch Knappheit. | |
Das fördert Innovation in Sachen emissionsfreier Technologie. | |
taz: Und bis die soweit entwickelt und einsetzbar ist? | |
Bockstael: In der Zwischenzeit müssen wir [3][nachhaltigen Treibstoff | |
verwenden], der dann auch knapper und teurer wird. Durch den Preis-Anstieg | |
wird die Nachfrage nach Fliegen etwas abnehmen. Man kann dann nicht mehr | |
drei Übersee-Reisen im Jahr machen, sondern muss dafür eine Weile sparen. | |
So senken wir die Emissionen, bis wir im Rahmen des Budgets sind. Wenn das | |
nicht ausreicht, müssen wir uns mit Wachstums-Beschränkung | |
auseinandersetzen. Das ist für die Luftfahrt ein sehr heikles Thema. Im | |
heutigen Geschäftsmodell muss man wachsen, um gewinnbringend zu bleiben. | |
taz: Wie ist Ihr Verhältnis zur technologischen Innovation in diesem | |
Konzept? | |
Bockstael: Das ist ambivalent. Heutige Strategien in der Branche sind da | |
ein bisschen träumerisch: als ob wir in drei Jahren elektrisch fliegen und | |
in fünf Jahren auf Wasserstoff. Damit streut man den Leuten Sand in die | |
Augen. Es ist nicht so, dass morgen unendliche Mengen nachhaltiger | |
Treibstoffe vorhanden sind. Elektrisch fliegen dauert noch Jahrzehnte. Wir | |
sehen Innovation daher realistisch. Zugleich wollen wir sie ankurbeln, | |
indem man Knappheit schafft. | |
taz: Ist Ihr Konzept realistisch in dieser Branche mit ihrem enormen | |
Preiskampf? | |
Bockstael: Natürlich ist das sehr schwierig in diesem Markt, wenn man von | |
einzelnen Luftfahrt-Unternehmen oder Ländern ausgeht. In der Branche gibt | |
es sehr viele Leute, die Veränderung begrüßen würden, sie sich aber nicht | |
leisten können, weil die Konkurrenz zu groß ist. Daher zielen wir von | |
Anfang an auf den globalen Rahmen. Wir können das als Branche nicht alleine | |
leisten, sondern brauchen staatliche Unterstützung: Gesetzgebung, die uns | |
dabei hilft, auf ein anderes Geschäftsmodell umzusatteln. Das der letzten | |
20 Jahre ist nicht aufrecht zu erhalten. Heimlich wissen das alle. Nur: wir | |
sind eine stille Mehrheit. | |
taz: Sehen Sie ein entsprechendes politisches Klima? Derzeit wächst quer | |
durch Europa nicht nur bei Bürger*innen die Klima-Müdigkeit, sondern | |
auch bei politischen Parteien und Entscheidungsträger*innen. | |
Bockstael: Ja, das stimmt. Und das ist sicher keine Hilfe. Aber das haben | |
wir nicht in der Hand. Wir müssen auf uns selbst schauen. Was wir tun | |
können, ist, innerhalb der Branche weiter professionell über den Kurs | |
nachdenken. Natürlich wird man vom politischen Klima weltweit ziemlich | |
betrübt, aber wir müssen handeln. | |
taz: Als Mit-Initiator haben Sie eine bemerkenswerte Biografie: Sie | |
arbeiteten 30 Jahre lang bei KLM, bekleideten hohe Management-Positionen in | |
Wartung und Produkt-Entwicklung, leiteten die Nachhaltigkeits-Abteilung. | |
Wie verlief diese persönliche Entwicklung? | |
Bockstael: Als Luft- und Raumfahrts-Ingenieur kam ich über die technische | |
Seite des Fliegens in die Branche. Vor sieben oder acht Jahren, als ich | |
Planungs-Chef im Flight Operations Department war, hatten wir einen | |
KLM-Mitarbeiter*innen- Tag. Alle versammelten sich in einem großen Hangar | |
am Flughafen Schiphol. Es war in der Zeit nach dem Paris-Abkommen, im | |
Februar. Wir saßen draußen in der Sonne, ein Temperatur-Rekord wurde | |
gebrochen. Ich fragte mich, wie es im Februar 21 Grad warm sein konnte. | |
Danach begann ich, mich ins Thema Klimawandel einzulesen. Die enormen | |
Risiken, die er mit sich bringt, wurden mir dadurch in vollem Umfang | |
bewusst. | |
taz: Und diese Erkenntnisse brachten Sie dann an Ihrem Arbeitsplatz ein? | |
Bockstael: Ich nahm Gespräche mit der Direktion auf, über die Frage, was | |
unsere Position zum Klimawandel ist. Erst blieb es ziemlich still. Auf mein | |
Drängen bekam ich dann ein Jahr Zeit, um daran zu arbeiten. Daraus wurde | |
eine eigene Stelle und dann eine kleine Abteilung mit vier, fünf Leuten. | |
Wir bekamen das Thema Nachhaltigkeit in dieser Zeit in die | |
Unternehmensleitung, und schufen viel Engagement bei jungen | |
Mitarbeiter*innen. | |
taz: Wie waren die Reaktionen auf Ihren Aufruf? | |
Bockstael: Im Allgemeinen sehr positiv. Gerade, weil wir auch betonen, dass | |
wir die Luftfahrt erhalten wollen. Darüber, dass die Branche sich verändern | |
und nachhaltiger werden muss, gibt es eigentlich keinen Disput. Wir haben | |
auch viele Menschen gesprochen, die uns eigentlich zu 100 Prozent | |
zustimmen, dies aber aus ihrer Position im Unternehmen heraus nicht | |
öffentlich machen können. Und ein paar wenige Male gab es Kritik von | |
Fluggesellschaften an unserer Forderung, das Wachstum zu begrenzen. Das ist | |
in diesem Umfeld ein Tabu – vor allem bei Airlines, aber auch anderen | |
Akteuren, etwa bei Treibstoff-Lieferung oder Flugzeug-Bau. | |
taz: Es gibt Berichte von Unterzeichner*innen, die Repressionen erfuhren. | |
Trifft das zu, und wenn ja, in welchem Rahmen? | |
Bockstael: Es ist passiert, aber es waren vereinzelte Vorfälle. Diesen | |
Menschen wurde von ihrem Unternehmen abgeraten, sich zu äußern. | |
Schlussendlich baten sie, ihre Namen wieder von der Liste zu entfernen. | |
taz: Wie fühlt sich das für Sie persönlich an, dass Sie so eine Initiative | |
starten, während um Sie herum wieder alle bedenkenlos ins Flugzeug steigen? | |
Ist das frustrierend? | |
Bockstael: Ich versuche, mich nicht frustrieren zu lassen. Ich nehme es | |
jedenfalls Leuten nicht mehr übel, dass sie bestimmte Flüge unternehmen. | |
Konsument*innen reagieren auf den Markt, so wie er ist. Von staatlicher | |
Seite wird unzureichend eingegriffen, und die Branche kommt nicht aus den | |
Startlöchern, weil alle Angst haben vor der Konkurrenz. Wenn aber alle | |
zusammen in voller Breite auf globale Veränderungen hinarbeiten, ergibt das | |
einen sweet spot, an dem wir ansetzen können. | |
18 Aug 2025 | |
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