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# taz.de -- Klage gegen Tierrechtler*innen: Das System der Einschüchterung
> Aktivist*innen veröffentlichen Bilder der Tötungen von Schweinen, der
> Betreiber klagte. Expert*innen zufolge steckt dahinter eine Strategie.
Bild: Schweine werden in einem Transporter zum Schlachthof Brand Qualitätsflei…
Berlin taz | Die Klage gegen zwei Tierrechtsaktivist*innen, die im
Frühjahr vergangenen Jahres Aufnahmen der CO2-Betäubung von Schweinen in
Vechta angefertigt und veröffentlicht hatten, sei ein gezielter Versuch der
Einschüchterung der Zivilgesellschaft. Das ist das Ergebnis einer
[1][Analyse] zu dem Fall, die die No-Slapp-Anlaufstelle zum Schutz
publizistischer Arbeit am Mittwoch veröffentlicht hat.
Die Klage erfülle nahezu alle Kriterien eines gezielten rechtlichen
Einschüchterungsversuchs, so die Analyse. Sie sei exemplarisch für den
Missbrauch des Rechtssystems, „um kritische Stimmen zum Schweigen zu
bringen und die demokratische Meinungsbildung zu untergraben“.
„Slapp“ steht für Strategic Lawsuits Against Public Participation. Es
werden also Klagen meist von finanzkräftigen Unternehmen oder
Einzelpersonen angestrengt, um die Arbeit von zivilgesellschaftlichen oder
journalistischen Akteur*innen zu behindern und sie einzuschüchtern.
Geklagt hatte in diesem Fall die niedersächsische Schlachthof Brand
Qualitätsfleisch GmbH und einen entstandenen Schaden von 98.000 Euro
geltend gemacht. In dem Gerichtsverfahren wurden beide Aktivist*innen
zu Schadensersatz verurteilt, über dessen Höhe noch verhandelt wird.
## Bilder unter Verschluss
Auch darf die Tierrechtsorganisation Animal Rights Watch (Ariwa), der die
Bilder zugespielt worden waren, diese nicht weiter veröffentlichen.„Dass
Aufnahmen, die Tierleid ungeschönt zeigen, zwar als echt anerkannt, aber
trotzdem verboten werden sollen, stellt unsere Zivilgesellschaft vor eine
zentrale Frage: Wollen wir Aufklärung – oder wollen wir wegschauen?“,
kommentierte die Organisation damals.
Nun stellt auch die No-SLAPP-Anlaufstelle in dem Fall eine deutliche
Schieflage beim Umgang mit investigativem Aktivismus fest. Die finanziellen
Forderungen, die zudem an die beiden Aktivist*innen privat gerichtet
wurden statt an die Tierrechtsorganisation, seien existenzbedrohend.
Hingegen bleibe das dokumentierte Tierleid folgenlos.
Dabei habe die Öffentlichkeit ein Interesse daran, von den üblichen
Praktiken in dem Schlachthof zu erfahren, der mit „Respekt für Mensch, Tier
und Umwelt“ wirbt. Das hätten das große Medieninteresse sowie die
Veröffentlichung der Aufnahmen durch die ARD verdeutlicht, so die
No-Slapp-Einschätzung.
Obwohl das urteilende Gericht in Oldenburg das öffentliche Interesse
anerkannte, stoppte es die Verbreitung der Bilder – diese
Widersprüchlichkeit sei typisch für Prozesse, die einschüchtern sollen.
Anna Schubert, eine der beiden verurteilten Akivist*innen, sagt dazu: „Dass
das Gericht im Urteil nicht einmal die offensichtliche
Einschüchterungsabsicht thematisiert und den Streitwert nicht abgesenkt
hat, spricht Bände – und lässt Betroffene schutzlos zurück.“
## Politische Reaktionen
Die Coalition Against Slapps in Europe, ein Zusammenschluss europäischer
NGOs, beobachtet seit 2022 solche Art Rechtsmissbrauch in Europa. In ihrem
[2][Bericht] aus dem vergangenen Jahr beziffert sie die Anzahl der
Einschüchterungsklagen auf 229. Damit steigt die Zahl dokumentierter Fälle
weiter an, unter denen zunehmend auch mehr Strafprozesse sind.
Im April 2024 verabschiedete das Europäische Parlament eine Richtlinie, die
vor unbegründeten Klagen oder missbräuchlichen Gerichtsverfahren schützen
soll. Weist ein Gericht eine Klage als Einschüchterungsversuch zurück, muss
der Kläger die Kosten samt Rechtsvertretung des Angeklagten tragen. Auf dem
Tisch des deutschen Justizministeriums liegt derzeit ein Entwurf für die
Umsetzung, der sich laut kritischen Stimmen jedoch auf ein Minimum an
Schutz beschränke.
„Das Problem ist, dass Einschüchterungsklagen in Deutschland oft
kleingeredet werden, weil die Kosten im Vergleich zu den USA und
Großbritannien viel geringer sind“, sagt Roger Mann, Anwalt für Presse- und
Medienrecht und Gastprofessor in Göttingen. Aus seiner Sicht ist das viel
größere Problem, das in dem Gesetzesentwurf unberücksichtigt bleibe, dem
eigentlichen Gerichtsprozess noch vorgelagert:
Unterlassungsabmahnungen und hohe Zahlungsforderungen könnten bei kleinen
NGOs schnell die gesamte Organisation lahmlegen. Der Experte fordert
deshalb, den Schutz vor Einschüchterung mit Rechtsmitteln auf Abmahnungen
auszudehnen. „Um sich gegen unbegründete Abmahnungen zu wehren, brauchen
NGOs Anwälte, die auf Augenhöhe mit den Abmahnenden agieren.“ Äquivalent
zur geplanten Kostenerstattung in gerichtlichen Verfahren brauche es diese
auch bei außergerichtlichen Einschüchterungsversuchen.
30 Jul 2025
## LINKS
[1] https://www.noslapp.de/neuigkeiten/fallbesprechung-schlachthofprozess
[2] https://www.the-case.eu/wp-content/uploads/2024/12/CASE-2024-report-vf_comp…
## AUTOREN
Eva Kaiser
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