# taz.de -- Sieg für Ecuadors Indigene: „Ein historisches Urteil“ | |
> Der Interamerikanische Gerichtshof stärkt erstmals die Rechte der | |
> freiwillig isolierten Tagaeri und Taromenane. Ihr Überleben ist aber | |
> weiter in Gefahr. | |
Bild: Bis zum Urteil sei es ein langer Weg gewesen, sagt Juan Bay, Präsident d… | |
QUITO taz | Es war ein Meilenstein für Ecuadors Indigene: Am 13. März | |
dieses Jahres fällte der Interamerikanische Gerichtshof für Menschenrechte | |
[1][erstmals in seiner Geschichte ein Urteil zum Schutz indigener Völker in | |
freiwilliger Isolation]. Konkret ging es um die Tagaeri und Taromenane – | |
die letzten in freiwilliger Isolation lebenden Völker Ecuadors. Sie leben | |
vollkommen abgeschieden und ohne jeglichen Kontakt zur westlichen | |
Gesellschaft. | |
Die Tagaeri und Taromenane gehören zur indigenen Nationalität der Waorani – | |
einer von 14 offiziell anerkannten indigenen Nationalitäten in Ecuador. | |
Seit Ende der 1950er Jahre leben sie in freiwilliger Isolation, nachdem es | |
erste Kontakte mit Mestizen gegeben und die Erdölförderung im Andenstaat | |
stark zugenommen hatte. Während sich ein Teil der Waorani der Außenwelt | |
öffnete, zog sich ein anderer tief in den ecuadorianischen | |
Amazonasregenwald zurück. Bis heute leben die Tagaeri und Taromenane ohne | |
jeglichen Kontakt zur übrigen Gesellschaft. Doch ihr Lebensraum ist | |
zunehmend durch Bergbau- und Förderaktivitäten bedroht. | |
Das Urteil markiert den Höhepunkt eines 19 Jahre andauernden Kampfes. „Es | |
war ein langer Weg, den wir als indigene Völker gegangen sind, um die | |
Entscheidung zur Isolation respektieren zu lassen“, sagt Juan Bay, | |
Präsident der Nationalität [2][Waorani] von Ecuador (Nawe). Er ist Enkel | |
jener ersten Generation von Waorani, die sich Ende der 1950er Jahre der | |
westlichen Welt öffnete. | |
## Das Urteil ist ein Meilenstein | |
Doch was bedeutet dieses Urteil konkret? Es verpflichtet den | |
ecuadorianischen Staat, die Entscheidung der isolierten Völker zu achten | |
und ihr Leben aktiv zu schützen. „Dieses Urteil ist ein Meilenstein, weil | |
es anerkennt, dass indigene Völker in Isolation eines speziellen und | |
verstärkten rechtlichen Schutzrahmens bedürfen, um ihr Überleben zu | |
sichern“, erklärt Mario Melo, Rechtsbeistand der Tagaeri und Taromenane. | |
Seinen Ursprung nahm das Urteil bereits vor 20 Jahren. Nach zwei Massakern | |
in den Jahren 2003 und 2006 beantragten Aktivist*innen Schutzmaßnahmen | |
beim Interamerikanischen Gerichtshof für Menschenrechte. In beiden Fällen | |
war es zu gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen den Tagaeri und | |
Taromenane, illegalen Holzfällern sowie Mitgliedern des Waorani-Volkes | |
gekommen. | |
Das Vordringen extraktiver Industrien in ihre Territorien schürte | |
Spannungen und führte zu Konflikten zwischen den indigenen Gemeinschaften. | |
„Der Vormarsch von Erdöl- und Bergbauunternehmen hat nichts als | |
Ölverschmutzungen, Zerstörung, soziale Probleme, Krankheiten, den Verlust | |
von Kultur und Sprache sowie Identitätskrisen hinterlassen“, kritisiert | |
Juan Bay. „All das bedeutet den Tod für die Waorani und für die Völker der | |
Tagaeri und Taromenane.“ | |
Der Konflikt eskalierte 2013, als Mitglieder der Taromenane ein | |
Waorani-Ehepaar töteten. In Vergeltung ermordeten Waorani zwischen 30 und | |
50 Angehörige der Taromenane und entführten zwei Mädchen im Alter von zwei | |
und sechs Jahren, die später bei Waorani-Familien untergebracht wurden. | |
## Anerkennung als „ökosystemische Völker“ | |
Das Gericht stellte fest, dass der ecuadorianische Staat das „Recht auf | |
Selbstbestimmung“ der isoliert lebenden Völker verletzt und ihre | |
Territorien nicht ausreichend geschützt hat. Heute sind die Tagaeri und | |
Taromenane durch das Vordringen von Bergbau, Abholzung und Erdölförderung | |
in ihren Lebensräumen zunehmend bedroht. Ihre Existenz steht auf dem Spiel | |
– ein zentrales Moment bei der Entscheidung des Gerichts. | |
Laut Urteil bedeutete diese Vernachlässigung eine Verletzung ihrer Rechte | |
auf Gesundheit, Ernährung, Wohnraum, eine intakte Umwelt, kulturelle | |
Identität und letztlich auf ein würdevolles Leben. „Sie sind die | |
verletzlichste indigene Bevölkerungsgruppe, da ihre Isolation sie zum Ziel | |
verschiedener Interessen macht“, erklärt Mario Melo. Häufig werden sie | |
Opfer illegaler Aktivitäten oder staatlicher Politiken wie der Ausweitung | |
des Bergbaus – ihre Fähigkeit zur Gegenwehr ist dabei stark eingeschränkt. | |
Ein zentraler Punkt des Urteils ist die erstmalige Anerkennung der isoliert | |
lebenden Indigenen als „ökosystemische Völker“. Ramiro Ávila, Professor … | |
der Universidad Andina Simón Bolívar und Mitglied des Anwaltsteams, | |
erklärt, dass diese Einstufung bedeutet, „dass dieses Volk vollständig in | |
seine Umwelt eingebettet ist“. Das heißt: Das Überleben der Angehörigen, | |
ihre Weltanschauung, Kultur, Gewohnheiten und Mobilität hängen unmittelbar | |
von ihrem natürlichen Lebensraum ab. Jede Veränderung kann ihr Leben | |
gefährden. | |
## Bedrohungen bestehen fort | |
Das Urteil verlangt außerdem, dass der Staat das Ergebnis der | |
Volksabstimmung vom August 2023 respektiert. Damals stimmten 59 Prozent der | |
Ecuadorianer*innen dafür, das Erdöl in einem Teil des | |
Yasuní-Nationalparks, einem der artenreichsten Gebiete der Welt und Heimat | |
der Tagaeri und Taromenane, [3][dauerhaft im Boden zu belassen]. „Das | |
Gericht erkennt diesen Volksentscheid als wirksame Maßnahme zum Schutz der | |
Gebiete der in Isolation lebenden Völker an“, sagt Ávila. Er merkt jedoch | |
kritisch an: „Ein Jahr ist vergangen, aber nur ein Bohrloch wurde | |
geschlossen – rund 230 sind weiterhin in Betrieb.“ | |
Das Urteil ist für den ecuadorianischen Staat sowie für alle | |
Mitgliedstaaten der Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) bindend. Von | |
den 34 Mitgliedsländern haben auch Bolivien, Brasilien, Kolumbien, | |
Paraguay, Peru, Venezuela und Surinam isolierte indigene Völker auf ihrem | |
Staatsgebiet. | |
Trotz dieses historischen Sieges bestehen die Bedrohungen fort – auch durch | |
religiöse Organisationen. Am 7. Juli meldeten Umweltorganisationen einen | |
Versuch der Kontaktaufnahme mit den Tagaeri und Taromenane durch die | |
US-amerikanische Stiftung Come to the Rainforest. Dies zeigt einmal mehr: | |
Das Überleben der freiwillig isolierten indigenen Völker bleibt akut | |
gefährdet. | |
Ana Cristina Basantes ist eine Journalistin aus Ecuador und berichtet für | |
Medien wie [4][El País]. | |
Übersetzt aus dem Spanischen von Niklas Franzen | |
28 Jul 2025 | |
## LINKS | |
[1] https://www.regenwald.org/news/13407/historischer-sieg-fuer-die-isoliert-le… | |
[2] https://de.wikipedia.org/wiki/Waorani | |
[3] /Nach-historischer-Volksabstimmung/!6056925 | |
[4] https://elpais.com/noticias/latinoamerica/ | |
## AUTOREN | |
Ana Cristina Basantes | |
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