# taz.de -- Klimakrise in Kolumbien: Von Dürre zu Überschwemmungen | |
> Indigene Gemeinschaften im kolumbianischen Regenwald leiden unter | |
> Wetterextremen. Sie erschweren vor allem den landwirtschaftlichen Anbau. | |
Bild: In der Gemeinde Puerto Nariño im Süden Kolumbiens nahe der Grenze zu Pe… | |
BOGOTÁ taz | | Alles ist zerstört. Wo normalerweise Mais, Reis, Bananen, | |
Maniok und Obstbäume oder Heilpflanzen in den sogenannten „chagras“ entlang | |
des Flussufers angebaut werden, steht jetzt das Wasser. Wir befinden uns im | |
kolumbianischen Regenwald Amazoniens, nahe der Grenze zu Peru. | |
Die kleinen Anbauflächen am Flussufer sind ein wesentlicher Bestandteil der | |
Kultur der Familien, die in diesem Gebiet leben. Neben den Fischen aus dem | |
Fluss und einigen Wildtieren, die sie jagen, liefern die „chagras“ | |
normalerweise den größten Teil der Nahrung. Doch seit Anfang April 2025 ist | |
der Pegel des Amazonas und seiner Nebenflüsse gestiegen. Nun stehen die | |
Pflanzen unter Wasser und liefern die lange erwartete Ernte nicht mehr. | |
Vor einem Jahr war die Lage noch genau umgekehrt: Monatelang wurde die | |
Region von einer extremen Dürre heimgesucht. Die Felder bekamen nicht genug | |
Wasser, die Ernte fiel entsprechend dürftig aus. „Es gibt Familien, die nur | |
von dem leben, was sie anbauen. Durch die Dürre sind die Pflanzen jetzt | |
aber verdorben“, sagt Aleksis Damancio Silva, Generalsekretär der | |
[1][Organisation Aticoya], der politischen Autorität in diesem Reservat. | |
## Schwankungen zwischen Extremen | |
Im Laufe der Monate kehrte der Regen zurück und der Wasserstand | |
benachbarter Flüsse stieg erneut. Es regnete jedoch so viel, dass die | |
Flüsse inzwischen über ihre Ufer traten. Statt Trockenheit sind jetzt | |
Überschwemmungen das Problem. | |
Diese Entwicklung deckt sich mit einer Untersuchung, die im Juni 2025 in | |
der Zeitschrift [2][Nature] veröffentlicht wurde und die Veränderungen der | |
Jahresringe von Amazonasbäumen zwischen 1980 und 2010 untersuchte. Dabei | |
kommen die Forscher zum Schluss, dass die Niederschläge im Amazonasgebiet | |
zwischen Extremen schwanken: Entweder sind sie sehr spärlich oder sie | |
fallen immer häufiger und dazu in immer größeren Mengen. | |
Wissenschaftler Santiago Duque von der Nationalen Universität Kolumbiens | |
befürchtet mehr Dürren und extreme Regenfälle als Folgen des Klimawandels | |
in der Region. Eine aktuelle Studie zeige, dass die Zahl der | |
Extremwetterereignisse im Amazonasgebiet zugenommen habe. Dies lasse | |
„vermuten, dass sich das in den kommenden Jahren wiederholen wird“, sagt | |
Duque. | |
## Niederschläge und Temperaturen steigen an | |
Auch das Institut für Hydrologie, Meteorologie und Umweltstudien (IDEAM) | |
Kolumbiens prognostiziert in seinem [3][vierten nationalen Bericht zum | |
Klimawandel], dass es im Amazonasgebiet im Zeitraum zwischen 2021 und 2040 | |
zu einem Anstieg der Niederschläge zwischen 8 und 45 Prozent zu erwarten | |
ist. Der für 2100 prognostizierte Temperaturanstieg in der Region liegt | |
indes bei bis zu 5 Grad Celsius. | |
José Carlos Ahué ist ein Angehöriger des indigenen Volkes der Tikuna und | |
lebt in der Gemeinde Puerto Esperanza. Er sagt, es hätte dieses Jahr | |
„keinen Mangel an Mais und Wassermelonen“ gegeben. Aber nicht wegen einer | |
guten Ernte, sondern weil wegen der Dürre und der Überschwemmungen diese | |
Produkte erst gar nicht zum Verkauf auf dem Markt landeten. | |
Ahués wirtschaftliche Lage verschlechterte sich durch die Wetterextreme, | |
weil er mehr Lebensmittel einkaufen musste. Und weil der Fluss | |
zwischenzeitlich fast ausgetrocknet war, war der Transport schwierig, was | |
die Preise zusätzlich in die Höhe trieb. Sonst verkauft er durchschnittlich | |
500 Kilogramm Fariña pro Woche, eine aus gemahlenem Maniok gewonnene | |
Mehlsorte. „Damit verdiene ich rund 500.000 Pesos pro Woche“, sagt Ahué. | |
Jetzt sank sein Einkommen auf 350.000 Pesos (ca. 76 Euro), weil er nicht | |
mehr die gleiche Menge Maniok produzieren konnte. „Außerdem musste ich | |
Wasser kaufen, weil die Quelle ausgetrocknet war, aus der wir in meiner | |
Gemeinde das Wasser beziehen.“ | |
Schwankungen des Flusspegels sind nichts Neues und die Gemeinden können | |
sich normalerweise daran anpassen. Inzwischen ist das anders. Die | |
betroffenen Bewohner*innen wüssten nicht mehr, „wann der Fluss steigt, | |
wann er sinkt, wann sie den Boden für die Aussaat vorbereiten und wann sie | |
ernten müssen“, erklärt Professor Duque. Der Tikuna-Anthropologe Abel | |
Santos stimmt dem zu. „Das gab es zwar schon früher, aber da waren die | |
Zeiträume kürzer. Jetzt werden die Dürre- und Regenperioden länger“, sagt | |
Santos. | |
## Mehr als nur Wassermangel | |
Arturo Candamil gehört zum Tikuna-Volk und lebt in der Gemeinde Tres | |
Esquinas Boyahuarzú. Auch er berichtet, dass in der Trockenzeit der Pegel | |
des Amazonas und seiner Nebenflüsse deutlich sank, wodurch der Transport | |
sich verkomplizierte. Das verschlechterte wiederum den Zugang zu | |
Gesundheitsdiensten. „Wenn wir krank werden, liegt das Problem vor allem in | |
der Geldbörse. Wir müssen bis nach Puerto Nariño, Caballococha oder bis zur | |
Isla del Tigre fahren“, sagt Candamil. Der niedrige Wasserstand erschwere | |
die Fahrt nun oft. | |
Aufgrund des eingeschränkten Zugangs zu Trinkwasser sind die Tikuna zudem | |
immer wieder gezwungen, Wasser aus dem Amazonas zu trinken. Das erhöht das | |
Risiko für Magen-Darm- und Hautkrankheiten. Und in Zeiten von | |
Überschwemmungen steigt wiederum das Risiko für tropische Krankheiten wie | |
Dengue-Fieber, Chikungunya, Malaria und Leishmaniose. | |
Trotz dieser schwierigen Lage bemühen sich die Tikuna-Gemeinden weiterhin, | |
den Wald und seine Flüsse zu schützen, soweit ihnen das möglich ist. „Der | |
Amazonasregenwald würde nicht mehr existieren, wenn es uns, die indigenen | |
Gemeinschaften, nicht gäbe“, ist sich Ahué sicher. Obwohl die Tikuna | |
wissen, dass sie nicht die Verursacher der zunehmenden Probleme sind, | |
wollen sie zu deren Lösung beitragen. | |
Dazu müsste allerdings auch der kolumbianische Staat ihre Grundrechte | |
garantieren und ihnen mit Geld und Ressourcen zur Seite stehen. | |
Esteban Tavera ist ein Journalist aus Kolumbien. Er arbeitet für das | |
Netzwerk [4][Climate Tracker América Latina]. | |
Übersetzt aus dem Spanischen von Ole Schulz | |
26 Jul 2025 | |
## LINKS | |
[1] https://www.facebook.com/p/Aticoya-Aati-Amazon-100083798922718/ | |
[2] https://www.nature.com/articles/s43247-025-02408-9#Sec2 | |
[3] https://ideamcol-my.sharepoint.com/personal/estudios_ideam_gov_co/_layouts/… | |
[4] https://climatetrackerlatam.org/ | |
## AUTOREN | |
Esteban Tavera | |
## TAGS | |
Amazonien im Fokus | |
Kolumbien | |
Indigene | |
Regenwald | |
Fonds | |
Schwerpunkt Klimawandel | |
Kaffee | |
Schwerpunkt Klimawandel | |
Schwerpunkt Artenschutz | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Klimakrise und Finanzen: Klimaschutz ist bares Geld | |
Finanzverwalter müssen nicht im Blindflug agieren, sondern sollten besser | |
in Umweltstandards investieren. Denn Naturrisiken sind auch Finanzrisiken. | |
Zugunglück in Baden-Württemberg: Auslöser war wohl Erdrutsch nach Starkregen | |
Starkregen hat den Unfall in Baden-Württemberg verursacht, vermutet die | |
Polizei. Die Bahn sieht sich zunehmend Extremwetterereignissen ausgesetzt. | |
Wegen Klima und Abwanderung: Kaffee ist teurer | |
Bohnenkaffee war im April 12 Prozent teurer als vor einem Jahr. | |
Ernteausfälle wegen Wetterextremen und der Arbeitskräftemangel treiben die | |
Preise. | |
Blockade von Ende Gelände: Gegen Blutkohle aus Kolumbien | |
In Gelsenkirchen haben Aktivist:innen Kohlemeiler blockiert – und damit | |
auch gegen Morde und Zerstörung der Umwelt in Südamerika protestiert. | |
Nationalpark im ehemaligen Farc-Gebiet: Kolumbien schützt riesiges Waldgebiet | |
Der Nationalpark Serranía del Chiribiquete ist nun größer als die | |
Niederlande. Doch es fehlt Geld, um ihn gegen Holzfäller zu verteidigen. |