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# taz.de -- „Nius“ macht Radio: Neue rechte Welle
> Julian Reichelt expandiert mit seinem Onlinemedium „Nius“ ins Radio. In
> mehreren Bundesländern sendet es bereits. Welche Gefahren birgt das?
Bild: Von sieben bis neun Uhr morgens wird gesendet
Berlin taz | Der ehemalige Bild-Chefredakteur Julian Reichelt sitzt auf
einem weißen Sofa und redet menschenverachtendes, migrationsfeindliches
Zeug in die Kamera: Als junger, vitaler Mann habe man eine gute Zeit auf
der Flucht nach Europa, sagt er in der Morgensendung seines Onlinemediums
„Nius“ vom vergangenen Montag.
Junge Afghanen würden sich ein Bündel packen, sich auf ihrem Weg durch
Europa hier etwas zu essen und da ein neues Handy kaufen. Am Ende der Reise
erwarte sie die „shiny city on the hill“, das deutsche Bürgergeld. Für
Reichelt ist die Sozialleistung „nichts als eine Prämie für illegale
Einreise“. Die zwei Kollegen zu seiner Rechten lachen immer wieder, nicken
bestätigend. Dass Menschen, die sich unrechtmäßig in Deutschland aufhalten,
kein Bürgergeld bekommen, wird nicht erwähnt.
Das zweistündige Onlineformat „Nius Live“, das von Montag bis Freitag
gesendet wird, ist Teil [1][von Reichelts rechtspopulistischem
Onlinemedium]. Julian Reichelt gründete „Nius“ im Juli 2023, nachdem er die
Bild wegen Vorwürfen des Machtmissbrauchs verlassen musste. Seitdem wird
unter dem Slogan „Stimme der Mehrheit“ gegen alles Stimmung gemacht, was
ihnen [2][zu links, grün, woke oder divers vorkommt]. Finanziert wird die
Plattform durch den CDU-nahen IT-Millionär Frank Gotthardt.
Bislang konnte man „Nius“ nur im Internet lesen, schauen und hören. Aber
vergangenes Jahr beantragte Reichelt die Zulassung für ein bundesweites TV-
und Radioprogramm. Im linearen Fernsehen passiert noch nichts, aber zurzeit
arbeitet „Nius“ in mehreren Bundesländern daran, im Radio zu senden.
Im Saarland, in Niedersachsen und in Teilen Hamburgs ist „Nius“ seit Juli
über Digitalradio (DAB+) zu empfangen. Für den Großraum Berlin ist der
Sendestart für Anfang November geplant. Die taz hat von den Deutschen
Landesmedienanstalten erfahren, dass sich „Nius“ nun auch in Thüringen für
einen Sendeplatz beworben hat. Das heißt, man muss künftig nicht mehr
online gezielt nach „Nius“ suchen, sondern kann unterwegs im Auto oder beim
Radiohören in der Küche zufällig auf den Sender stoßen.
## Normalisierung von Inhalten
„Radio trägt zur Normalisierung von Inhalten bei“, sagt Christian von
Sikorski daraufhin. Er ist Professor an der Freien Universität Berlin und
forscht zur Wirkung von Medien. Was im Rundfunk gesendet wird, unterliege
einer Kontrolle. Wenn etwas also im Radio ausgestrahlt werde, legitimiere
es den Inhalt, sagt von Sikorski.
Das Radio wurde schon von den Nationalsozialisten als Propagandainstrument
missbraucht. Mit dem Volksempfänger, einem kleinen, im Auftrag von Joseph
Goebbels entwickelten Radio, schickten sie ihre Botschaften direkt ins
Wohnzimmer. Heute soll der Medienstaatsvertrag sichern, dass keine
extremistischen oder verfassungsfeindlichen Inhalte gesendet werden.
Das „Nius Radio“ kann man bundesweit bereits im Onlinestream hören. Die
Musik bewegt sich zwischen Udo Lindenberg und Maroon 5. Von sieben bis neun
Uhr morgens senden mittelalte Männer in Anzügen live vom weißen Sofa und
klingen dabei wie eine Dauerwerbesendung für die AfD.
Es geht vor allem darum, welche Gemeinheiten die AfD aushalten muss, welche
Gefahr Migration angeblich bedeute, wie schwach die Ampelregierung sei. Es
wird von grünen „Ökoextremisten“ gesprochen und von NGOs, die zu viele
Steuergelder für Entwicklungszusammenarbeit erhalten. Frauen tauchen meist
nur auf, wenn sie zu Kindern und Familie, Literatur und
Schwangerschaftsabbrüchen befragt werden.
## Die journalistische Sorgfaltspflicht
Vergangenes Jahr prüfte die Medienanstalt Berlin-Brandenburg, ob Inhalte
von „Nius“ die journalistische Sorgfaltspflicht verletzt hätten. Dabei habe
es sich jedoch um Einzelfälle und keinen flächendeckenden Verstoß
journalistischer Mindeststandards auf der Plattform gehandelt, teilte die
Medienanstalt mit. Deshalb habe sie im September 2024 die Zulassung des
Senders erteilt. Die Verweigerung oder Widerrufung einer Zulassung seien
die medienrechtliche Ultima Ratio. Die Hürde hierfür liege wegen der
Meinungs- und Rundfunkfreiheit sehr hoch.
Wissenschaftler Christian von Sikorski nennt neben der Strategie, rechte
Inhalten über das Radio zu normalisieren, drei weitere Nutzen des Mediums.
Ein Onlinemedium erreiche ältere, konservative Nutzer:innen tendenziell
nicht. Das sei beim Radio, das Älteren vertrauter ist, anders. „Nius“
könnte so also mehr Menschen erreichen.
Zweitens, so von Sikorski, könne Radio als klassisches Medium Akteure aus
der Mitte der Gesellschaft eher einbinden. Ein Unternehmer etwa, der mit
einem alternativen Onlinemedium nicht geredet hätte, tut dies mit einem
Radiosender womöglich eher. „Radio hat einen seriösen Anstrich“, sagt von
Sikorski. Die Statements des Unternehmers könnten dann auch crossmedial
genutzt werden, also auf Social Media oder der Onlineplattform ausgespielt
werden. Wenn gewöhnliche Stimmen, wie die eines Unternehmers, Teil des
Radioprogramms sind, finde wiederum eine Normalisierung der Inhalte statt.
Und drittens, ganz wichtig: „Mehrfachkontakte“, sagt der Medienforscher.
Wenn man einen [3][AfD-Politiker über das Bürgergeld schimpfen hört], einem
die gleiche Botschaft von einer Influencerin auf Instagram begegnet und man
als Nächstes die gleichen Ansichten im Radio hört, setze sich das fest. „Es
geht also nicht nur darum, über ein neues Medium neue Zielgruppen zu
erreichen, sondern die gleiche Botschaft auf unterschiedlichen Kanälen zu
verbreiten, sodass sie sich verfestigt“, sagt Christian von Sikorski.
## „Politische Kampagnen und Aktivismus“
Danica Bensmail, Bundesgeschäftsführerin der Deutschen Journalistinnen- und
Journalisten-Union, beobachtet die Zulassung von „Nius“ als Radiosender mit
großer Sorge. „Das Geschäftsmodell der Onlineplattform basiert auf
politischen Kampagnen und Aktivismus unter dem Deckmantel des
Journalismus“, sagt Bensmail. Das jüngste Beispiel: Die Kampagne gegen die
Verfassungsgerichtskandidatin Frauke Brosius-Gersdorf.
Bensmail verweist auf eine [4][Auswertung des Thinktanks Polisphere], die
zeigt, dass „Nius“ in dieser Kampagne eine zentrale Rolle spielte. Zur
Erinnerung: Abtreibungsgegner:innen skandalisierten Aussagen über
eine mögliche Legalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen in den ersten
zwölf Wochen in rechten Medien so weit, bis [5][Brosius-Gersdorf ihre
Kandidatur schließlich zurückzog].
Laut Polisphere war „Nius“ einer der stärksten Multiplikatoren der
Kampagne, mehr als 20 Artikel wurden in nur zehn Tagen veröffentlicht. Also
trug „Nius“ maßgeblich zur Verbreitung der diffamierenden Inhalte über die
Juraprofessorin bei. Vor diesem Hintergrund fürchtet Danica Bensmail, dass
„die unjournalistische Haltung und ressentimentgeladene Meinungsmache“ von
„Nius“ nun über DAB+ vor einer potenziell größeren Hörerschaft verbreit…
wird.
„Radio genießt in Deutschland ein hohes Maß an Vertrauen“, sagt Bensmail.
„Nius“ könne dieses nutzen und sich als eindeutig rechtes Meinungsportal in
das seriöse Gewand des Radios hüllen. „Wird das Vertrauen für ideologisch
gefärbte Wutkampagnen genutzt, leidet die Glaubwürdigkeit der gesamten
Branche.“ Die Medienanstalten seien nun gefordert, den Sender kritisch zu
prüfen.
Die Medienanstalt Berlin-Brandenburg teilte auf Anfrage mit, dass sie
fortlaufend Beschwerden zu verschiedenen Inhalten von „Nius“ erhalte und
diese genau prüfe. „Nius“ selbst antwortete auf die Anfrage der taz zur
Programmgestaltung oder ob geplant ist, das Radio in ganz Deutschland zu
senden, nicht.
15 Aug 2025
## LINKS
[1] /Der-Onlinekanal-Nius/!6073595
[2] /Wer-mit-Nius-redet-legitimiert-Hetzkampagnen/!6093011
[3] /Neue-Zahlen-zum-Buergergeld/!6003214
[4] https://www.polisphere.eu/de/causa-brosius-gersdorf/
[5] /Wahl-zum-Bundesverfassungsgericht/!6105695
## AUTOREN
Sophie Fichtner
Josefine Rein
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