| # taz.de -- Energiepolitik der Union: Studien nach Wunsch | |
| > Wirtschaftsministerin Reiche setzt für ihre Energiepolitik auf ein | |
| > Institut, das für seine Nähe zur fossilen Energiewirtschaft berüchtigt | |
| > ist. | |
| Bild: Katherina Reiche (M.) besucht bei ihrer Sommertour das Kraftwerk Schwarze… | |
| Berlin taz | Hier stehen die Lobbyisten Schlange: Wann immer es gilt, der | |
| Politik Argumente zu liefern, damit sie sich in die gewünschte Richtung | |
| entscheidet – das Energiewirtschaftliche Institut an der Universität zu | |
| Köln (EWI) liefert dafür eine Studie. Schon 2012 untersuchte es die | |
| Entwicklung der Stromkosten durch den Ausbau der erneuerbaren Energien, | |
| Auftraggeber war die Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft e. V. | |
| Aus dem Ergebnis bastelte sich die von der Industrie finanzierte | |
| Lobbyorganisation die Kampagne „Rettet die Energiewende – stoppt das EEG!“ | |
| Tatsächlich kippte damals die Stimmung unter Wähler:innen, die Regierung | |
| kürzte die Einspeisetarife so stark, dass alle Hersteller von Solaranlagen | |
| hierzulande pleitegingen, fast 80.000 Arbeitsplätze wurden vernichtet. | |
| Genau dieses Institut hat [1][Bundeswirtschaftsministerin Katherina Reiche] | |
| nun damit beauftragt, ein Gutachten zu erstellen, das die Energiepolitik | |
| der kommenden Jahre bestimmen wird. [2][Mit dem sogenannten | |
| Energie-Monitoring will sie den „zu erwartenden Strombedarf sowie den Stand | |
| der Versorgungssicherheit, des Netzausbaus, des Ausbaus der erneuerbaren | |
| Energien, der Digitalisierung und des Wasserstoffhochlaufs“ überprüfen.] | |
| Von dem Ergebnis hängt ab, wie viel und auch welche Energien die | |
| Bundesregierung fördern wird. Verfechter der Energiewende sind alarmiert. | |
| Ergebnisse des EWI könnten auf keinen Fall zur Grundlage von politischen | |
| Entscheidungen gemacht werden, warnen NGOs – aber auch die | |
| energiepolitische Sprecherin der SPD-Bundestagsfraktion Nina Scheer. | |
| ## Positiver Befund für Nord-Stream-Pipeline | |
| Sie alle berufen sich darauf, dass die EWI-Untersuchung von 2012 kein | |
| Ausrutscher war: Bereits 2013 machte das Institut mit der Studie | |
| [3][„Potenziale für Erdgas im Straßenverkehr“] weiter – Auftraggeber: | |
| Zukunft Gas e. V., der Lobbyverband der deutschen Erdgasindustrie. Deren | |
| Aufsichtsrat leitet der Ex-Staatssekretär Friedbert Pflüger (CDU), der | |
| gleichzeitig jenes Konsortium beriet, das die Nord-Stream-Pipelines baute. | |
| Auch für dieses Konsortium erstellte das Kölner Institut eine Studie, deren | |
| Ergebnis war, [4][dass der Bau einer zweiten Röhre positiven Einfluss auf | |
| die Gaspreisentwicklung in Europa haben wird]. | |
| 2015 war der [5][Deutsche Braunkohlen-Industrie-Verein e. V.] Auftraggeber, | |
| das Ergebnis der Studie – grob vereinfacht: Nationale Maßnahmen zur | |
| Reduktion der Treibhausgasemissionen bringen fürs Klima gar nichts. 2016 | |
| ließ sich der Netzbetreiber Amprion von den Kölner Forschern aufschreiben, | |
| dass der Konzern im Vergleich zu anderen Konkurrenten bei den Netzentgelten | |
| benachteiligt wird. | |
| Mal lässt sich RWE vom EWI eine [6][Studie über den Braunkohlebedarf im | |
| Rheinischen Revier] schreiben, mal Eon eine über den Wasserstoffmarkt. Wer | |
| sich über so viel Industriehörigkeit in der Wissenschaft wundert, der muss | |
| wissen: RWE und Eon finanzierten das Institut. In den Jahren 2010 bis 2013 | |
| zahlten die beiden Konzerne jährlich je 4 Millionen Euro, die als | |
| „Fördergeld“ deklariert wurden. Laut Lobbypedia sicherten sich die beiden | |
| Konzerne außerdem das Recht, je einen stimmberechtigten Vertreter in die | |
| Berufungskommission für neue Professuren zu entsenden. | |
| Stiftungsprofessor war von 2007 bis 2012 [7][Marc Oliver Bettzüge]: Sein | |
| Gehalt wurde von 2007 bis 2012 durch den Stifterverband für die Deutsche | |
| Wissenschaft, unter anderem wiederum von Eon und RWE, aber auch von der | |
| Ruhrkohle AG, dem Lausitzer Braunkohlekonzern Vattenfall Europe Mining & | |
| Generation oder von der Bayerngas GmbH bezahlt. Seit 2012 wird Bettzüges | |
| Professur mit Haushaltsmitteln der Uni Köln finanziert, er ist auch der | |
| geschäftsführende Direktor des Instituts. Und bestens vernetzt: | |
| Beispielsweise war er Mitglied des Beirats von „Zukunft Gas“, jener | |
| Lobbyorganisation, für die das EWI Gutachten anfertigte. | |
| Gegründet wurde das Energiewirtschaftliche Institut 1943, zeitgleich eine | |
| Gesellschaft zur Förderung des Energiewirtschaftlichen Instituts an der | |
| Universität zu Köln e. V., deren Hauptaufgabe es war, die Einrichtung zu | |
| finanzieren. Zuletzt saßen im Vorstand dieser Gesellschaft unter anderem | |
| der damalige Eon-Vizechef Guido Knott, Ewald Woste, damals Vizepräsident | |
| des Lobbyverbandes BDEW, und Marc Oliver Bettzüge. | |
| Das Lobbyregister des Deutschen Bundestages listet Guido Knott heute unter | |
| dem Registereintrag R002421 in den Bereichen „Energie“ und „Umwelt“, Ew… | |
| Woste wird unter der Nummer R007230 als „aktiver Interessenvertreter“ | |
| geführt. Politisch engagiert sich Bettzüge in der CDU, er ist Mitglied im | |
| „Wirtschaftsrat der CDU“. Was nach einem Gremium der Union klingt, in | |
| Wirklichkeit aber einer der einflussreichsten Lobbyverbände in Deutschland | |
| ist. Und Bettzüge ist einer der Experten, die die Bundesregierung in den | |
| „Rat für Klimafragen“ berufen hat. | |
| Vor diesem Hintergrund ist ein Gutachten interessant, das Bettzüges EWI im | |
| Jahr 2010 vorlegte: „Energieszenarien für ein Energiekonzept der | |
| Bundesregierung“. In diesem wollte die Regierung aus Union und FDP wissen, | |
| wie sich Laufzeitverlängerungen der deutschen AKWs von 4, 12, 20 und 28 | |
| Jahren auswirken. Ein Ergebnis: „Längere Laufzeiten von Kernkraftwerken | |
| (wirken sich, die Red.) dämpfend auf die Strompreise aus.“ Damals nahm die | |
| Regierung das Gutachten zur Grundlage, die Laufzeiten der deutschen AKWs | |
| bis 2025 zu verlängern. | |
| Auch andere Ergebnisse aus dem Gutachten von 2010 sind interessant. So | |
| behauptet es, im Jahr 2025 werde es in Deutschland CCS geben, also das | |
| unterirdische Verpressen von Klimagasen – denn dann sei dafür die | |
| gesellschaftliche Akzeptanz geschaffen. Oder: Windenergie wird sehr stark | |
| ansteigen, im Jahr 2040 werden „maximal 77 TWh“ produziert. | |
| Tatsächlich wurden im vergangenen Jahr in Deutschland bereits 136,4 | |
| Terawattstunden Windstrom produziert. CCS gibt es in Deutschland immer noch | |
| nicht, und eine Akzeptanz ist nicht in Sicht. Wenige Wochen nachdem die | |
| schwarz-gelbe Bundesregierung damals das Atomgesetz geändert hatte, | |
| ereignete sich die Reaktorkatastrophe von Fukushima, in deren Folge acht | |
| Reaktorblöcke abgeschaltet wurden – mehr als die Hälfte der deutschen | |
| Atomstromkapazität. | |
| ## Ausschreibung des aktuellen Gutachtens ist mysteriös | |
| Vielleicht hat Katherina Reiche damals als Staatssekretärin im | |
| Bundesumweltministerium – das gemeinsam mit dem Wirtschaftsministerium | |
| federführend war – schon Erfahrungen mit dem EWI gemacht. Die Ausschreibung | |
| des aktuellen Gutachtens ist jedenfalls mysteriös, ursprünglich soll die | |
| BET Consulting GmbH aus Aachen das Gutachten anfertigen, eine Anfrage der | |
| taz blieb unbeantwortet. Zwar erklärte eine Sprecherin des EWI, sich zu | |
| aktuellen Aufträgen nicht äußern zu wollen – und das, obwohl es sich um | |
| öffentliches Steuergeld und eine steuerfinanzierte Universität handelt. | |
| Das Wirtschaftsministerium wiederum bestätigte der taz auf Anfrage, dass | |
| das EWI Auftragnehmer ist. Im Beirat des EWI-Fördervereins sitzen etwa | |
| Vertreter:innen von Eon und Reiches vorherigem Arbeitgeber, der | |
| 100-prozentigen Eon-Tochter Westenergie. | |
| Gemäß der Ausschreibung liegt ein erster Entwurf jetzt in Berlin vor, das | |
| Ministerium hat nun Zeit, einen Monat lang Nachbesserungen zu fordern. | |
| 5 Aug 2025 | |
| ## LINKS | |
| [1] /Wirtschaftsministerin-Katherina-Reiche/!6099270 | |
| [2] /Reiches-umstrittenes-Energiegutachten/!6099622 | |
| [3] https://www.ewi.uni-koeln.de/de/publikationen/potenziale-von-erdgas-als-co2… | |
| [4] https://www.ewi.uni-koeln.de/de/publikationen/impacts-of-nord-stream-2-on-t… | |
| [5] https://www.ewi.uni-koeln.de/de/publikationen/auswirkungen-von-deutschen-co… | |
| [6] https://www.ewi.uni-koeln.de/de/publikationen/auswirkungen-des-kohleausstie… | |
| [7] https://lobbypedia.de/wiki/Marc_Oliver_Bettz%C3%BCge | |
| ## AUTOREN | |
| Nick Reimer | |
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