| # taz.de -- Künstliche Intelligenz an Universitäten: Eine neue Ära des Studi… | |
| > Über 90 Prozent der Studierenden nutzen im Studium KI. Expert*innen | |
| > und Beteiligte streiten, ob das der Lehre und dem Lernen hilft oder | |
| > schadet. | |
| Bild: Studierende, die Chatbots für ein Essay verwenden, erinnern später kaum… | |
| Berlin taz | Ginge es nach Stephan Krusche, würden alle Menschen in | |
| Deutschland zu KI-Gurus werden. Weil das aber wohl unmöglich ist, kümmert | |
| sich der Informatik-Professor der Technischen Universität München (TUM) | |
| fürs Erste um seine Studierenden und Kolleg*innen. | |
| Wer ihm zuhört, merkt schnell, wie begeistert Krusche auf [1][die neue Welt | |
| der künstlichen Intelligenz (KI)] blickt. Bereits kurz nach der | |
| Veröffentlichung von ChatGPT im November 2022 brach für ihn und die gesamte | |
| Tech-Branche eine „Goldgräber-Stimmung“ aus: Immer tiefer hinein in den | |
| digitalen Wilden Westen, um „Ideen, die wir nicht umsetzen konnten, weil | |
| die Technologie limitiert war“, endlich zu realisieren. | |
| Krusche ist überzeugt, dass KI die universitäre Bildung revolutionieren | |
| kann: Student*innen müssen dank KI-Tutoren nicht mehr ewig auf Feedback | |
| warten. Überlastete Professoren können sich bei der Erstellung von | |
| Kursinhalten helfen lassen. Bestenfalls bekommen auch Bürofachkräfte oder | |
| wissenschaftliche Mitarbeiter*innen künftig weniger stupide Aufgaben | |
| übertragen – es gibt ja die KI. | |
| Doch nicht jeder denkt so. Manche sehen im Chatbot-Hype den nahenden | |
| Zusammenbruch der Hochschulbildung. Wo sich beide Seiten einig sind: KI ist | |
| längst nicht mehr aus den Laptops der Studis wegzudenken. | |
| ## KI inzwischen fester Bestandteil des Studiums | |
| Das bestätigt [2][eine Studie der Hochschule Darmstadt]. Aktuell nutzen | |
| über 90 Prozent der Studierenden KI-basierte Tools für die Uni – vor zwei | |
| Jahren waren es noch 63 Prozent. Binnen weniger Jahre, so die Autor*innen, | |
| habe sich KI „von einer punktuellen Hilfestellung zu einem festen | |
| Bestandteil des Studiums entwickelt“. | |
| Daraus machen Studierende auch keinen Hehl. Eine Berliner Studentin der | |
| Politikwissenschaft etwa erzählt der taz, dass sie ChatGPT gerade zur | |
| Vorbereitung auf eine Prüfung in einem Spanischkurs nutzt. Sie hat dazu | |
| einen Prompt eingegeben, der die KI auf Basis bisheriger Seminarinhalte | |
| neue Übungsaufgaben produzieren lässt. Gerade füllt sie Wortlücken mit | |
| Vokabeln aus. Die KI als Lernassistent? „Ich kann das nur empfehlen“, sagt | |
| sie. | |
| Auch die Zusammenfassung von Forschungsliteratur durch die KI ist bei | |
| Studierenden beliebt, um sofort die Kernaussagen bisweilen langatmiger | |
| Journalartikel vor sich zu haben. | |
| Ein Student der TU München, der anonym bleiben möchte, gibt zu: „Ich habe | |
| keinen Satz selber geschrieben in meiner Bachelorarbeit.“ Er habe aber | |
| natürlich selbst die inhaltlichen Überlegungen gemacht, Literatursichtung | |
| mal ausgenommen, da habe ihm auch eine KI geholfen. Dafür hat er seine | |
| Stichpunkte der KI gegeben und gesagt: „Paraphrasiere mir das mal in einem | |
| scientific Ton.“ | |
| Grundsätzlich warnen Hochschulen davor, sorglos Aufgaben an KI auszulagern, | |
| etwa in der Textarbeit. „Ein KI-Modell kann bestenfalls Daten | |
| zusammenfassen, wobei ich selbst da skeptisch bin“, sagt Martin Wan, | |
| Projektleiter der [3][Hochschulrektorenkonferenz (HRK)] beim Hochschulforum | |
| Digitalisierung. „Wenn es heißt, ein KI-Modell fasst Informationen eines | |
| Textes zusammen, dann fasst es diese in der Regel nicht analytisch | |
| verstehend zusammen, sondern es kürzt bzw. verkürzt sie algorithmisch.“ | |
| Die HRK ist ein Zusammenschluss von 271 deutschen Hochschulen und beteiligt | |
| sich am Hochschulforum, einem vom Bundesforschungsministerium geförderten | |
| Thinktank, der sich schwerpunktmäßig mit Herausforderungen durch | |
| Digitalisierung und KI beschäftigt. | |
| ## Fähigkeiten wie Textverständnis könnten verloren gehen | |
| Aus Sicht von Wan werde insbesondere die Quellenkritik im Zeitalter | |
| computergenerierten Denkens „noch wichtiger als jemals zuvor“. Er sieht | |
| seinen Auftrag auch darin, „im Sinne der Persönlichkeitsentwicklung“ darauf | |
| hinzuwirken, dass Studierende KI-Modelle souverän benutzen. | |
| Die Selbstverständlichkeit, mit der Studis KI einsetzen, stört auch Martina | |
| Thiele von der Uni Tübingen. Die Professorin für Medienwissenschaft sieht | |
| die Gefahr einer Abhängigkeit, des Verlernens von Kulturtechniken wie dem | |
| Lesen und Verstehen längerer Texte oder dem eigenständigen Entwickeln | |
| schlüssiger Argumentation. Expert*innen sprechen von „De-Skilling“, also | |
| dem Verlorengehen von Fähigkeiten, weil man sie zu wenig trainiert. | |
| Die Gründe, vermehrt auf KI zurückzugreifen, liegen laut Thiele auch im | |
| Druck, den viele Studierende verspüren. „Wir sind in so einem Hamsterrad. | |
| Der Konkurrenzdruck wird immer größer bei Studierenden und | |
| Wissenschaftler*innen.“ Die Verlockung, zu Hilfsmitteln zu greifen, sei da | |
| groß. | |
| Thiele sieht weitere negative Begleiterscheinungen der KI, die ihr in der | |
| Debatte zu kurz kommen. Sie meint, die dazu nötigen Rechenzentren würden | |
| enorm Energie verbrauchen. Dazu kommen Fragen bei Urheberrechten und | |
| geistigem Eigentum. „Es ist mehr als bedenklich, eigene Texte, mehr noch | |
| aber die anderen Autor*innen ungefragt in die KI-Systeme einzuspeisen“, | |
| meint Thiele, „Wir füttern da wirklich einen Kraken.“ | |
| Auch TUM-Professor Krusche erkennt Gefahren der neuen Technologie, jedoch | |
| immer mit dem Blick auf die von ihm wahrgenommenen Vorteile. „Die guten | |
| Studenten werden besser“, sagt Krusche; bei schwachen oder mittelmäßigen | |
| Studierenden, die viel KI nutzen, merke man jedoch, „dass sie nicht die | |
| gewünschten Kompetenzen entwickeln“. | |
| Ob Krusches Beobachtungen auf alle Studierenden zutreffen, ist bisher kaum | |
| erforscht. Eine [4][Untersuchung des Massachusetts Institute of Technology | |
| (MIT)] liefert jedoch Ansatzpunkte. Das MIT untersuchte über mehrere Phasen | |
| die Hirnaktivität von 54 Teilnehmer*innen beim Schreiben eines Essays. | |
| Sie wurden in drei Gruppen eingeteilt: Ein Teil durfte beim Verfassen des | |
| Textes KI benutzen, ein Teil Google samt der auffindbaren Suchergebnisse, | |
| ein dritter Teil blieb ohne Hilfsmittel. Das Ergebnis: Je mehr externe | |
| Unterstützung, desto weniger Netzwerkbildung im Gehirn. | |
| Und auch andere Kompetenzen litten: Die erste Versuchsgruppe identifizierte | |
| sich kaum mit ihren Essays und konnte selbst kurz nach dem Schreibprozess | |
| nur noch wenig daraus zitieren. Die Autor*innen bilanzieren, dass die | |
| Hirnaktivität bei denjenigen nachließ, die nur mit KI gearbeitet hatten. | |
| ## „Jedes Fach muss es für sich selbst als Thema wahrnehmen“ | |
| Dass routinierte Nutzer*innen Vorteile haben, birgt laut Krusche auch | |
| Gefahren: Menschen, die KI nicht nutzen können oder wollen, werden | |
| abgehängt; ähnlich wie es früher mit dem Internet war. Das | |
| [5][Hochschulforum Digitalisierung] arbeitet daran, im Uni-Kontext | |
| möglichst viele Menschen mitzunehmen: etwa über „KI-Labs“, in denen | |
| Lehrende Einsatzszenarien erproben und diskutieren. Insbesondere aber über | |
| die AG Künstliche Intelligenz, die Herausforderungen der Hochschulbildung | |
| auslotete [6][und im März Handlungsempfehlungen vorlegte]. | |
| „Jedes Fach muss es für sich selbst als Thema wahrnehmen“, mahnt | |
| HRK-Experte Wan. „KI betrifft nicht nur die Informatiker oder nur die | |
| Ingenieure. Sondern es betrifft auch den Germanisten genauso wie den | |
| Philosophen.“ Nicht nur handwerkliche Aspekte der KI gelte es dabei zu | |
| berücksichtigen, auch die Funktionsweisen der Technologie müssten kritisch | |
| hinterfragt und im Nutzungsverhalten berücksichtigt werden. | |
| Dass Chatbots bestehendes Herrschaftswissen und unbewusste | |
| [7][Diskriminierung verstetigen] und somit indirekt gesellschaftliche | |
| Diskurse beeinflussen könnten, ist auch eine Sorge, die viele Studierende | |
| umtreibt. | |
| Auch Krusche möchte so viele Studierende und Professor*innen wie | |
| möglich mit KI vertraut machen und entwickelte innerhalb der | |
| Open-Source-Lernplattform Artemis einen Chatbot namens Iris, der | |
| Studierenden bei Übungsaufgaben und einem besseren Verständnis der | |
| Vorlesungen helfen soll. „Ich sehe vor allem das schnelle Feedback und die | |
| schnelle Hilfestellung bei den Studenten als Möglichkeit, dass die | |
| Lernerfahrung besser und die Frustration gesenkt wird“, erklärt Krusche. | |
| Besonders beim Programmieren sei so ein Chatbot hilfreich, denn „Studenten | |
| müssen sich durch sehr viele Fehlermeldungen durchkämpfen, die sie oft gar | |
| nicht verstehen.“ Ein TUM-Student, der auch Artemis nutzt und Probleme beim | |
| Programmieren hatte, kannte Iris nicht. Die Kommunikation zwischen | |
| Studierenden, Professoren und Universitäten ist auch ein Problem. | |
| ## Studierende wünschen sich stärkere Vorgaben | |
| Denn Studierende wünschen sich vor allem stärkere Vorgaben zur KI-Nutzung – | |
| deutschlandweit sprechen sich [8][einer Befragung des Centrums für | |
| Hochschulentwicklung (CHE)] zufolge rund 70 Prozent dafür aus. Das Angebot | |
| ihrer Hochschulen zum Kompetenzerwerb im Bereich KI bewerten Studierende im | |
| Schnitt mit 2,7 von 5 Sternen, ein Fünftel mit nur einem Stern. | |
| Das liegt aber nicht daran, dass Universitäten keine Vorgaben oder Angebote | |
| machen. Dass die Freie Universität (FU) Berlin bereits im Mai 2023 [9][ein | |
| sechsseitiges Eckpunktepapier] zum Umgang mit KI-basierten Tools | |
| veröffentlichte, war vielen Studierenden dort schlicht nicht bekannt. | |
| Im FU-Papier wird beispielsweise empfohlen, bei Prüfungen unter Aufsicht | |
| KI-Tools nicht zuzulassen. Bei Hausarbeiten sollen die jeweiligen | |
| Prüfungsausschüsse über die Zulässigkeit entscheiden. Ein Einsatz von KI | |
| bei einem Verbot stelle bei beiden Fällen einen Täuschungsversuch dar. | |
| Bei der Nutzung von KI-Detektoren ist die Uni – [10][im Sinne des | |
| Forschungsstandes] – zurückhaltend: Es sei „angesichts derzeit nicht | |
| hinreichender Ergebnisqualität und mangels Überprüfbarkeit der Ergebnisse“ | |
| durch Prüfende zweifelhaft, ob Ergebnisse der Software „prüfungsrechtlich | |
| Bestand haben können“. | |
| Werden Präsentationen und mündliche Prüfungen zur Alternative? | |
| In Tübingen bemerkte Thiele durch KI „halluzinierte“ Quellenangaben im | |
| Literaturverzeichnis, einmal sogar eine nicht existente Studie von ihr | |
| selbst. Mittlerweile werden Texte direkt im Seminar, mal mit, mal ohne | |
| KI-Unterstützung geschrieben, Ergebnisse verglichen. Und es gibt mehr | |
| Präsentationen und mündliche Prüfungen. | |
| Ein Student von der FU spricht sich gegen ein grundsätzliches Verbot von | |
| KI-Tools bei Prüfungsszenarien aus: „Wer es nutzt und dann auf die Fresse | |
| fliegt, der soll halt auf die Fresse fliegen.“ | |
| 24 Jul 2025 | |
| ## LINKS | |
| [1] /Schwerpunkt-Kuenstliche-Intelligenz/!t5924174 | |
| [2] https://opus4.kobv.de/opus4-h-da/frontdoor/deliver/index/docId/533/file/gpt… | |
| [3] https://www.hrk.de/ | |
| [4] https://www.media.mit.edu/projects/your-brain-on-chatgpt/overview/ | |
| [5] https://hochschulforumdigitalisierung.de/ | |
| [6] https://hochschulforumdigitalisierung.de/wp-content/uploads/2025/01/HFD_AP_… | |
| [7] https://thenextweb.com/news/chatgpt-advises-women-to-ask-for-lower-salaries… | |
| [8] https://www.che.de/2025/ein-viertel-der-studierenden-nutzt-taeglich-kuenstl… | |
| [9] https://www.fu-berlin.de/campusleben/lernen-und-lehren/2023/230511-umgang-m… | |
| [10] https://arxiv.org/ftp/arxiv/papers/2403/2403.19148.pdf | |
| ## AUTOREN | |
| Marc Tawadrous | |
| Sönke Gorgos | |
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