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# taz.de -- Zensur in Russland: Wenn Lesen kriminell ist
> In Russland wird die Internetsuche nach „extremistischen Inhalten“
> strafbar. Darunter fallen auch Recherchen zu LGBTQI, Alexei Nawalny und
> Nazi-Deutschland.
Bild: Das Recherchieren „verbotener Inhalte“ steht in Russland unter Strafe
Moskau taz | Nehmen wir eine Rentnerin. In Russland. Sie hat vielleicht
irgendwo die Buchstabenfolge LGBTQI aufgeschnappt. Und gibt das neugierig
in eine Internetsuchmaschine ein. Damit könnte sie sich strafbar machen und
müsste bis zu 5.000 Rubel (etwa 55 Euro) Ordnungsstrafe zahlen.
Das hat die Duma, das russische Parlament, an diesem Donnerstag in einem
übereilten Verfahren beschlossen. An ein Gesetz zu Transport- und
Speditionstätigkeiten, was nichts mit dem Lesen von Internetseiten zu tun
hat, haben die Abgeordneten eine Änderung angehängt, um das Ganze binnen
kürzester Zeit in zweiter und dritter Lesung anzunehmen.
Lediglich 19 von 324 Abgeordneten stimmten gegen die Neuerungen. Die
Gesetzesänderung richtet sich gegen die in der russischen Verfassung
garantierten Rechte und hebt die Zensur im Land auf ein neues Level.
## In „böswilliger Absicht“ nach„extremistischem Material“ suchen
Jegliche Suche „in böswilliger Absicht“, so steht es nun im Gesetz 13.53,
nach „extremistischem Material, auch durch die Verwendung von Software und
Hardware für den Zugriff auf Informationsressourcen und
Telekommunikationsnetze, zu denen der Zugriff beschränkt ist“ – also durch
verschlüsselte virtuelle Netzwerke (VPN), die eine Umgehung gesperrter
Internetseiten möglich machen –, soll vom 1. September an bestraft werden.
Bislang wurde schon die Verbreitung „falscher Inhalte“ bestraft. Für die
Worte „Kein Krieg“ oder öffentlich verbreitete Kritik am Putin-Regime gibt
es Verwaltungsstrafen. Zwei davon wegen des „gleichen Vergehens“ führen zum
Strafverfahren. Letztes Jahr wurden allein wegen der sogenannten
„Diskreditierung der russischen Armee“ und „Fakes“ 36 Menschen verurtei…
zehn davon zu mehrjährigen Haftstrafen.
Nun steht bereits das Lesen „verbotener Inhalte“ unter Strafe. Dazu gehört
alles, was in Russland unter „Extremismus“ fällt: [1][Informationen zu
LGBTQI], [2][denn Russland betrachtet die – nicht vorhandene –
„internationale LGBT-Community“ als „extremistisch“]. Auch der in einer
Strafkolonie umgekommene Oppositionspolitiker [3][Alexei Nawalny und seine
Antikorruptionsstiftung] werden im Land als „Extremisten“ geführt. Selbst
wenn ein/e Schüler*in für ein Referat zur NS-Zeit über Hitler
recherchierte, könnte er/sie sich strafbar machen. Auch jegliche Aufrufe
zum politischen Umsturz oder zu Separatismus fallen unter „Extremismus“.
## Der Staat kennt den Suchverlauf Einzelner
Wie die „böswillige Absicht“ überprüft werden soll, können nicht einmal…
sagen, die den Gummiparagrafen in die Duma eingebracht haben, aber
„massenhaft“ solle das nicht geschehen. Doch auch Bestrafungen Einzelner –
als eine Art Schauprozess – tun im Land das Seine: Der Eindruck, dass alle
wegen allem bestraft werden könnten, setzt sich weiter fest. Die Angst,
ohnehin das Grundelement des Putin’schen Regimes, breitet sich weiter aus.
Manche Beobachter*innen sprechen von Überprüfungen der Telefone auf
der Straße. Zudem sind russische Internetanbieter verpflichtet, den
Sicherheitsdiensten im Land Informationen zu übermitteln. Das heißt, der
Staat weiß über den Suchverlauf Einzelner Bescheid.
Da nun auch VPN immer mehr in den Blick der Justiz geraten, wird die
Beschaffung von Informationen immer schwerer. Tausende von Seiten (von
unabhängigen in- und ausländischen Medien, von NGOs,
Menschenrechtsorganisationen, aber auch Facebook und Instagram etwa) sind
in Russland gesperrt. Youtube ist verlangsamt. Der Staat arbeitet am
eigenen Messengerdienst und könnte bald Whatsapp, Signal, Telegram sperren.
Es soll nur das in die Köpfe der Menschen kommen, was das Regime für
„richtig“ hält. Alles andere wird bestraft.
17 Jul 2025
## LINKS
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[3] /Russische-Opposition-nach-Nawalnys-Tod/!6066617
## AUTOREN
Inna Hartwich
## TAGS
Russland
Duma
Internetzensur
Zensur
Schwerpunkt LGBTQIA
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