| # taz.de -- Adam Becker über den Mars und Big-Tech: „Die Bedrohung ist nicht… | |
| > Leben auf dem Mars und interstellare Reisen. Der US-Astrophysiker Adam | |
| > Becker entlarvt die Mythen der Superreichen, die der Erde den Rücken | |
| > gekehrt haben. | |
| Bild: Schön, aber hochgefährlich: Der Mars als 7 Meter großes Modell in Lond… | |
| taz: Herr Becker, in Ihrem Buch „More Everything Forever“ machen Sie uns | |
| nicht viel Hoffnung auf eine zukünftige Kolonisierung des [1][Mars]. Warum | |
| nicht? | |
| Adam Becker: Das Problem mit dem Mars besteht darin, dass es dort | |
| [2][fürchterlich ist.] Die Strahlung ist enorm, die Schwerkraft zu niedrig. | |
| Es gibt keine Luft, seine Oberfläche ist bedeckt mit giftigen | |
| Perchloratverbindungen; was erst 2008 entdeckt wurde, als die Raumsonde | |
| Phoenix den Staub auf der Oberfläche analysierte. Für Leute wie Elon Musk | |
| repräsentiert der Mars dennoch einen Plan B, falls der Erde etwas zustößt, | |
| etwa ein Asteroid einschlägt. Jedoch wäre unser Planet selbst mit einem so | |
| schlimmen Asteroiden wie dem, der vor 66 Millionen Jahren alle Dinosaurier | |
| umbrachte, eher bewohnbar als der Mars. Es gibt im Grunde nichts, was der | |
| Erde passieren könnte, was sie zu einer schlechteren Option machen würde | |
| als den Mars. | |
| taz: Gibt es besser geeignete Planeten als den Mars? | |
| Becker: Außerhalb [3][unseres Sonnensystems] ließen sich Planeten finden, | |
| die womöglich eher zu besiedeln wären als alle in unserem Sonnensystem. Die | |
| sind allerdings unfassbar weit entfernt: die nächsten etwas mehr als vier | |
| Lichtjahre. Das ist eine unglaublich lange Zeit. | |
| taz: Wie weit ist eine lange Zeit? | |
| Becker: Tausende, Zehntausende von Jahren. Lichtgeschwindigkeit ist das | |
| schnellste, was wir kennen. Wir haben noch nie einen Menschen dazu | |
| gebracht, auch nur 1 Prozent von 1 Prozent der Lichtgeschwindigkeit zu | |
| erreichen. Es gibt viele Gründe zu der Annahme, dass es nie gelingen wird. | |
| Nähert man sich – beispielsweise mit einem Raumschiff – der | |
| Lichtgeschwindigkeit, dann verwandelt das jedes einzelne interstellare | |
| Staubkorn in eine Atomwaffe. Der Aufprall mit einem Objekt, so klein wie | |
| ein Sandkorn, wäre katastrophal: Die kinetische Energie würde eine | |
| Explosion auslösen, die kein Insasse des Raumschiffs überleben würde. | |
| taz: Jenseits der Erreichbarkeitsfrage: Was wäre, wenn es eine Alternative | |
| zur Erde gäbe? | |
| Becker: Wenn wir einen Planeten wie unseren finden würden, mit ähnlichen | |
| Temperaturen, einer Atmosphäre mit Stickstoff-Sauerstoff-Gemisch, wäre das | |
| erst mal sensationell. Großartig. Nie gesehen. Allerdings würde es uns vor | |
| schwerwiegende Probleme stellen. | |
| taz: Warum? | |
| Becker: Würden wir einen erdähnlichen Planeten finden, wäre unser erster | |
| Gedanke nicht: Lasst uns dorthin reisen, sondern: Oh, das sollten wir | |
| erforschen. Denn unter den Umständen wäre es denkbar, dass es dort bereits | |
| Leben gibt. Wäre das der Fall, haben wir kein Recht, uns dort | |
| niederzulassen. Denn das ist deren Erde, ihr Zuhause. Als Wesen von einem | |
| anderen Planeten geht da doch keiner hin und sagt: „Oh toll, da wollen wir | |
| hin, an der Oberfläche sind nur ein paar Affen. Die werden wir schnell | |
| los.“ Dass wir so etwas einem anderen Planeten antun würden, kann ich mir | |
| nicht vorstellen. | |
| taz: Wenn das so ist, warum kümmern wir uns nicht mehr um die Erde? | |
| Becker: Die in meinem Buch zitierten Tech-Promis lieben es geradezu, | |
| Bedrohungsszenarien zu thematisieren. Doch die für die Menschheit wirkliche | |
| existenzielle Bedrohung ist nicht künstliche Intelligenz, auch Asteroiden | |
| sind es nicht. Die existenzielle Bedrohung sind eben diese Milliardäre. | |
| Dass wir als Spezies die globale Erwärmung bekämpfen müssen, bezweifelt | |
| fast niemand mehr. Wer oder was hält uns davon ab, den Klimawandel | |
| anzugehen? Die Personen, die diese riesigen Unternehmen leiten. Genauso | |
| wissen wir, dass wir etwas tun müssen, um die Demokratie zu verteidigen. | |
| Was hindert uns daran? Milliardäre. | |
| taz: Geld folgt anderen Interessen als Menschen. | |
| Becker: Die wenigen Leute, die über das meiste Geld verfügen, haben völlig | |
| andere Interessen als der Rest von uns. Für sie macht es keinen | |
| Unterschied, ob ihre Ideen gut sind oder schlecht. Weil sie ohnehin so viel | |
| Macht haben, dermaßen viel Geld, können sie eine Realisierung mit Geld und | |
| Talent zuschütten, selbst wenn das Resultat allen schadet. Sogar ihnen | |
| selbst. Faktisch geht es diesen Milliardären nämlich immer schlechter. | |
| Sicher, sie bereichern sich – aber auf lange Sicht wäre es für sie und ihre | |
| Nachkommen besser, sie würden die Demokratie verteidigen. Denn traditionell | |
| endet die Geschichte für ultrareiche Tyrannen nicht gut. | |
| taz: Weltuntergang oder Rettung der Menschheit – ist es die Fixierung auf | |
| alles Binäre, die den Blick verstellt? | |
| Becker: Übel wird es enden, weil die Perspektiven der Superreichen so | |
| absolut sind, weil sie es nicht gewohnt sind, über Nuancen nachzudenken. | |
| Diese Milliardäre sind eben die größte Bedrohung. Vielleicht, weil sie eine | |
| solche Angst haben vor dem Tod. Sie sehen überall Bedrohungen, und im | |
| Handumdrehen führt das zu diesem Schwarz-Weiß-Denken, das sich seinerseits | |
| zu einer „self-fulfilling prophecy“ auswachsen kann. Am Ende bleiben dann | |
| wohl nur drei Möglichkeiten: Tyrann wird gestürzt von einem anderen | |
| Wahnsinnigen; Tyrann fährt alles an die Wand; oder er wird aus seinem | |
| Anwesen gezerrt. Kein schöner Anblick. | |
| taz: Welche Rolle spielt bei alldem die Debatte über künstliche | |
| Intelligenz? | |
| Becker: Da wurden uns nur diese zwei Narrative angedreht: Entweder führt | |
| die Technologie in den Weltuntergang – oder zu einer Art grenzenlos | |
| paradiesischer Utopie. Beide Szenarien liegen daneben. Vermittelt wird, es | |
| ginge hierbei um Gegensätze, dabei handelt es sich um ein und dieselbe | |
| Sache. Sie basiert auf der – haltlosen – Prämisse einer gottähnlichen, fa… | |
| allmächtigen KI. Die werde, so das Versprechen, bald alles in den Schatten | |
| stellen. Alles wird dauernd besser. Im nächsten Schritt soll diese | |
| superintelligente KI imstande sein, zu kreieren, zerstören und | |
| transformieren – so gut, dass es die Kapazitäten der Menschheit übersteigt. | |
| Das würde entweder uns in eine Utopie geleiten oder alle töten. Fantasy | |
| pur. Es gibt keinen mir bekannten Grund, anzunehmen, dass an diesen | |
| Geschichten etwas dran ist. Dagegen gibt es eine Menge Gründe, die | |
| darlegen, weswegen das alles nicht eintreten wird. | |
| taz: Welche? | |
| Becker: Bei Big Tech, unter den Personen auf Entscheiderebene, basieren | |
| die Vorstellungen auf Science-Fiction, „Raumschiff Enterprise“ und „Star | |
| Wars“. Neulich habe ich ein Paper gesehen von der | |
| Apple-Forschungsabteilung, aus dem hervorgeht: Auch die neueste, heißeste | |
| Form von KI stößt an prinzipielle Grenzen; diese Anwendungen können – oft | |
| sogar – sehr einfache Probleme nicht lösen. Zwar schlucken die Apps riesige | |
| Mengen an Daten, sie finden auch statistisch wahrscheinliche Muster, aber | |
| letzten Endes schaffen sie nur eine Art Remix des Vorhandenen. Es sind | |
| Spielereien, die mal stimmen – und Altbekanntes wiedergeben – oder | |
| halluzinieren. Als KI sollte man sie wirklich nicht betrachten. | |
| taz: Sondern? | |
| Becker: Als automatisierte Textgeneratoren. Die Leute sagen bei | |
| KI-Anwendungen, mit Blick aufs Display: „Oh, it is thinking“, dabei ist das | |
| gar kein Nachdenken. Es ist die Herstellung homogenisierter Gedanken, wie | |
| für ein Produkt. Sonst nichts, keine Idee, auch kein Einfall. Mit Denken | |
| hat das so viel gemeinsam wie ein Hotdog mit einem Steak: Fleisch in | |
| winzige Stücke gehackt und in eine Hülle gesteckt, damit es aussieht wie | |
| Fleisch. Ist nicht wie das Original. Damit sind wir noch gar nicht bei den | |
| Auswirkungen auf die Umwelt: CO2-Fußabdruck, Wasserverbrauch, der für die | |
| Chipherstellung vorangetriebene Abbau von Metallen der Seltenen Erden. | |
| Zweitens Diebstahl geistigen Eigentums, der erforderlich war, um die | |
| Modelle zu trainieren. Der dritte Punkt ist noch unterbelichtet und | |
| betrifft die Ausbeutung von Arbeitskräften. | |
| taz: In der früheren Entwicklung oder der aktuellen Phase? | |
| Becker: Verstärkt in letzter Zeit. Angeheuert werden Leute vor allem in | |
| Entwicklungsländern, viele in Afrika, die dann schauen und entscheiden, was | |
| die übelsten Sachen sind, die die KI-Apps produzieren. Und dann | |
| entscheiden: so nicht. Kein Computer kann einem solche Entscheidungen | |
| abnehmen, dafür braucht man – konkret: die Anbieter – Menschen. Was die zu | |
| sehen bekommen, ist oft grauenhaft. Im Wesentlichen wurden die Apps vom | |
| Internet trainiert und da gibt es alle möglichen schrecklichen Inhalte. Als | |
| Folge dieses Jobs, dieser Checks, hört man von herzzerreißenden Geschichten | |
| über die Personen, die diese Arbeit machen, die psychologischen Belastungen | |
| und wie sich das auf deren Privatleben auswirkt, auch die geistige und | |
| körperliche Gesundheit. Sie erhalten dafür ein paar Cent. Das ist echt | |
| übel. Und das ist ein Riesenthema, wird aber von den Machern sorgfältig | |
| unter den Teppich gekehrt. Und zudem auch kaum thematisiert. | |
| taz: In Ihrem Buch „More Everything Forever“ setzen Sie sich auch mit | |
| vielen unterschiedlichen Theoretikern auseinander, immer wieder auch mit | |
| Peter Thiel und seiner – nach Kristallkugeln in Tolkiens legendärem | |
| Fantasy-Epos „Herr der Ringe“ benannten – Firma Palantir. | |
| Becker: In seinem Buch „Zero to One“ schreibt Peter Thiel so in etwa: | |
| Konkurrenz ist was für Trottel. Das erstrebenswerte Ziel sei stattdessen, | |
| ein Segment des Marktes zu monopolisieren. Der aus diesem Denkansatz | |
| ableitbare, ultimative Endpunkt ist in letzter Konsequenz ein Unternehmen, | |
| das alles kontrolliert. Es geht nicht einfach um eine Utopie, es geht um | |
| privatisierte Utopien: die Marskolonie, in der alles Elon Musk gehört; eine | |
| Zivilisation in gigantischen Raumstationen, in der alles Jeff Bezos gehört; | |
| eine algorithmisch garantierte Utopie des Überflusses hier auf der Erde, wo | |
| OpenAI alles generiert. Das sind die Visionen, die diese Leute haben. | |
| 16 Jul 2025 | |
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| Matthias Penzel | |
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