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# taz.de -- Erinnerung an „Löwenzahn“: Peter Lustig als Coping-Strategie
> Vor 45 Jahren kam unser Kolumnist aus Kabul nach Berlin, im Fernsehen
> startete „Löwenzahn“. Dessen Titelmelodie, meint er, kann in schweren
> Zeiten helfen.
Bild: Wissen, wie es geht: hat der 2016 verstorbene Peter Lustig (rechts) in de…
Kuscheln mit den Ohren, kennen Sie das? Nicht mit den Lauschern anderer
Leute, ich meine den eigenen Hörsinn, eher das innere Ohr. Sich an ein
Kuscheltier schmiegen, das physisch nicht existiert, akustisch aber
Wohlbefinden auslöst. Töne, die einen prompt in die Kindheit zurückführen.
So geht es mir mit der Titelmusik von „Löwenzahn“.
Die gezupfte Gitarre, das verspielte Klavier, der markante Schellenring,
Peter Lustigs Stimme. Herzallerliebst.
Als im September 2001 die Flieger ins World Trade Center krachten, später
die ersten Bomben auf Afghanistan fielen und die Welt auch sonst den
Verstand verlor, wurde es in meinem Kopf immerzu löwenzahnig. Heute summe
ich die Melodie wieder vor mich hin.
Krisen, Kriege, Kriegsverbrechen, so war das auch damals, als wir 1980 aus
Kabul nach Westberlin flohen. Fast zur selben Zeit muss die Sendung
gestartet sein. Dass wir uns das 45. Jubiläum teilen, ist ein schöner
Zufall. Bewusst wurde es mir erst, als ich online stöberte. Zur
Geburtsstunde gibt es unterschiedliche Angaben. Weil aber vor fünf Jahren
das ZDF als Haussender und auch die taz den [1][vierzigsten Geburtstag
feierten], sollte das hinkommen.
Nachdem ich mich sprachlich eingerenkt hatte, begann auch für mich die
schöne Zeit mit dem blauen Bauwagen und Peter Lustig. Ich liebte ihn! Als
Kind versprach ich mir seine Nickelbrille, sollte ich je eine Sehhilfe
brauchen. Tja, was soll ich sagen, erst seit wenigen Wochen bin ich
tatsächlich Brillenträger. Eine Nickelbrille wurde es trotzdem nicht, mein
Bild davon hat mir [2][Hans-Georg Maaßen] verdorben.
## Geistig-moralische Wende
Eigentlich spannend, dass Löwenzahn kurz vor der geistig-moralischen Wende
Helmut Kohls startete. Da hieß es auch schon, Leistung müsse sich wieder
lohnen, und Peter Lustig – der Erklärbär im Müßiggang – wirkte wie ein
provokanter Gegenentwurf. Eine Sendung über Umwelt und Technik,
ausgerechnet in dem Jahr, in dem sich die Grünen unter dem Argwohn der
anderen Parteien gründeten – kaum zu glauben!
Allein der Einstieg: renitentes Unkraut, das den Asphalt sprengt. Die
Titelmusik mit tanzbaren Offbeats, gegen jede deutsche Ufftata-Mentalität.
Als wenn das nicht schon gereicht hätte, wurden viele Folgen ausgerechnet
in der Hochburg der Fahnenflüchtigen aus Westdeutschland gedreht – in
Westberlin.
Die Verbindungen zwischen Peter Lustig und Berlin waren tiefgehender. Die
Stadt hat ihm einen Satz zu verdanken, der in Deutschland weltberühmt
wurde. Als John F. Kennedy vor dem Rathaus Schöneberg „Ick bin ein
Berliner“ sagte, arbeitete er als verantwortlicher Tontechniker beim
übertragenden US-Militärsender AFN.
Es kommt noch dicker! Zu Mauerzeiten war er eine Art Schmuggler. Er
besuchte regelmäßig seinen alten Kommilitonen Dieter Herrmann in Ostberlin
und versorgte ihn mit allerlei Ware. „So habe ich die Archenhold-Sternwarte
in Treptow mitfinanziert. Dieser Kommilitone ist dort irgendwann Direktor
geworden, und ich habe ihm alles Mögliche gebracht, was gefehlt hat,
Schrauben zum Beispiel. (…) Teilweise war ich jede Woche drüben – als
Kleinkurier der Freiheit“, zitiert ihn der Tagesspiegel aus Anlass
[3][seines Todes im Februar 2016].
Seine letzten Tage verbrachte Peter Lustig in der alten norddeutschen
Wahlheimat bei Husum, wohin er nach einigen Jahren in Charlottenburg
zurückgezogen war. Seine Asche wurde der See übergeben. Schade für uns! Wie
viel leichter könnten wir mit dem Zeitgeist umgehen, hätten wir einen mit
ihm verbundenen Ort, an dem wir die Melodie summen könnten. Ich finde: Es
ist Zeit für eine Peter-Lustig-Straße! Und bis dahin geht’s nach
Babelsberg, wo der Original-Bauwagen steht.
16 Jul 2025
## LINKS
[1] /40-Jahre-Loewenzahn/!5682393
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[3] /Nachruf-auf-Peter-Lustig/!5278185
## AUTOREN
Bobby Rafiq
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